# taz.de -- Mythos und Propaganda: Meisterwerk mit fragwürdiger Botschaft | |
> Im Berliner Babylon-Kino wurde der Film „Alexander Newski“ anlässlich des | |
> „Tags der Befreiung“ gezeigt. Dies blieb nicht ohne Proteste. | |
Bild: Nikolai Tscherkassow als Aleksander Newski in Sergej Eisensteins gleichna… | |
Zu den Filmen, die mich als Kind am meisten beeindruckt haben, gehörte | |
Eisensteins „Alexander Newski“. Die gesichtslosen Ritter des Deutschen | |
Ordens in unheimlichen Helmen erobern Pskow, werfen russische Säuglinge ins | |
Feuer, und Woiwode kreuzigen sie. | |
Auch heute hat der Film seine künstlerische Kraft nicht verloren – eines | |
mächtigen historischen Mythos. Die Musik von Sergei Prokofjew verstärkt | |
diesen Eindruck um Vielfaches. [1][Sergei Eisenstein] drehte den Film in | |
sehr kurzer Zeit – vom Frühjahr bis zum Herbst 1938. Von seinem Erfolg bei | |
Stalin hing buchstäblich sein Leben ab. | |
Seit 1935 befand er sich in Ungnade. Sein halbfertiger Film über die | |
Zwangskollektivierung wurde verboten. Es begann der Große Terror. Die | |
Entscheidung, Eisenstein zu verhaften, war bereits getroffen. [2][Doch | |
Stalin] gewährte ihm eine letzte Chance, einen „richtigen“ Film zu drehen. | |
Und „Alexander Newski“ wurde ein solcher Film. Die Figur des russischen | |
Fürsten, der im 13. Jahrhundert das Land gegen das Vordringen der Deutschen | |
und Schweden verteidigte, ist eine mythologische. Über die historische | |
Schlacht auf dem Peipussee berichten die zeitgenössischen Chroniken nur in | |
wenigen Zeilen. | |
Es gibt aus der Zeit kein Bild von Newski selbst. Doch Eisenstein sagte: | |
„Das ist auch gut so – wie ich es zeige, so wird es sein. „Und tatsächli… | |
wurde das von ihm geschaffene Bild zum neuen sowjetischen Gründungsmythos: | |
nationalistisch, antiwestlich, mit Blick in eine heroisch verklärte | |
Vergangenheit. | |
## Newskis Worte wurden zum Staatsslogan | |
Die Worte von Newski: „Wer mit dem Schwert zu uns kommt, wird durch das | |
Schwert umkommen“, wurden zu einem Staatsslogan. Die Statue des | |
sowjetischen Soldaten mit dem Schwert im Treptower Park ist eine direkte | |
visuelle Anspielung auf Newski. | |
Nun zeigte das Berliner Kino Babylon „Alexander Newski“ mit Live-Orchester | |
und Chor [3][als Anlass um den 8. Mai herum], den „Tag der Befreiung“. Aber | |
es gab Proteste, besonders aus der ukrainischen Diaspora. | |
Denn es brachte eine ganze Reihe von politischen und kulturellen | |
Bruchlinien zum Vorschein – und warf darüber weitere Fragen auf. Etwa | |
solche nach Moral und Ästhetik, nach der Verantwortung von Künstler:innen. | |
Und wie man mit Kunstwerken umgehen sollte, die nicht nur Meisterwerke | |
sind, sondern auch eindeutig Propaganda. | |
Der Film zeigt einen „gerechten Krieg“ – den heroischen Kampf für die | |
nationale Einheit gegen einen unmenschlichen Westen. Dies ist heute das | |
ideologische Narrativ, mit dem Putins Regime seinen Krieg gegen die Ukraine | |
rechtfertigt. Nur, Putin hat keinen Eisenstein. | |
Seine kulturelle Front besteht aus zweitklassigen Popsänger:innen und | |
Propagandalyrikern. Aber Eisenstein und sein „Newski“ tun es immer noch. | |
Ganz direkt, aber auch subtil – als Symbol einer „großen russischen | |
Kultur“, die dann zur Legitimation des Staates selbst wird. | |
## Die Aufführung zeigt die deutsche Ambivalenz zum sowjetischen Erbe | |
Alexander Newski wird in der Propaganda als der historische Vorgänger | |
Stalins dargestellt. Im Jahr 2016 wurde er zum „himmlischen Schutzpatron | |
der Landstreitkräfte der Russischen Föderation“ ernannt. | |
Dass der Film in Berlin in diesen Tagen aufgeführt wird, zeigt, wie | |
ambivalent das deutsche Verhältnis zum sowjetischen Erbe nach wie vor ist. | |
Denn es war für viele nie leicht, diese Befreiung mit der anschließenden | |
Diktatur zu vereinen, die die sowjetischen Truppen im Osten hinterließen. | |
Deshalb ist der Protest gegen die Aufführung verständlich. „Newski“ ohne | |
Einordnung oder Kritik – das fühlt sich an wie ein neuer Dienst an der | |
Propaganda. Eine Vorführung mit begleitender Diskussion hätte eine wichtige | |
Debatte anstoßen können – über die Verbindung zwischen Ästhetik und | |
Ideologie. Über dieses Meisterwerk mit fragwürdiger Botschaft. | |
2 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Irina Scherbakowa | |
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