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# taz.de -- Abgrenzung zur AfD: Der Umgang der Union mit der AfD ist Ausdruck v…
> Es braucht die klare Trennlinie zwischen politischen Mitbewerbern und
> den Feinden der Demokratie. Ein Gastbeitrag von MdB Anton Hofreiter
> (Grüne).
Bild: Kein Haufen verirrter Einzelfälle: Die AfD-Fraktion im Bundestag
In den vergangenen Monaten und Wochen mehren sich die Stimmen, die eine
neue Haltung zur AfD fordern. Jens Spahn (CDU) plädierte dafür, mit der AfD
so umzugehen wie mit jeder anderen Oppositionspartei. Philipp Amthor (CDU)
will eine „leidenschaftlich-inhaltliche Auseinandersetzung“ führen.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bereut die Abstimmung mit der AfD
nicht wegen des Bruchs demokratischer Standards, sondern weil sie die
politische Linke mobilisiert habe. Und Bundesinnenminister Alexander
Dobrindt (CSU) sieht selbst nach der Einstufung der AfD als gesichert
rechtsextrem keinen Grund für ein Verbot und auch keinen Anlass zum
Umdenken. Es reiche, die rechtsextreme Partei einfach „wegzuregieren“.
Es sind konservative Minister, Fraktionsvorsitzende, Stellvertreter,
führende Parlamentarier, die den Weg für eine schleichende Normalisierung
ebnen – denn um nichts anderes geht es hier. Die Reihen der Union wirken
unbeholfen, ausgerechnet in jener Stunde, in der eine klare Linie gefragt
wäre. Ohne klare Sprache, Strategie und – das größte Problem – ohne
Bewusstsein für die Gefahren. Die öffentliche Zustimmung vieler zur AfD
erfordert eine politische Auseinandersetzung, nicht aber inhaltliche und
rhetorische Übernahmen.
Der derzeitige Umgang der Union mit der AfD ist aus mehreren Gründen ein
Fehler. Zum einen ist der Glaube, man könne den Märtyrerstatus der AfD
durch Teilhabe entzaubern, ein gefährlicher Irrtum. Er folgt der liberalen
Illusion, dass Einbindung immer zähmt. Dabei verkennt die Union, dass das
politische Ziel der AfD nicht die Mitgestaltung in der Demokratie ist,
sondern ihre Abschaffung. Die AfD lebt von Stimmungen statt von Lösungen,
von Ausgrenzung statt von Verantwortung.
## Die missverstandene Stimme des „Volkes“
Das Stilisieren als Opfer dient dabei als taktisches Mittel. Stets
inszeniert sich die AfD als die angeblich unterdrückte Mehrheit – als
missverstandene Stimme des „Volkes“. Sie konstruiert Bedrohungen, um sich
selbst als einzige Gegenkraft zu präsentieren. Opfermythen ersetzen
Argumente, ressentimentgeladene Erzählungen treten an die Stelle
politischer Lösungen. Gesellschaftliche Großkonflikte werden kreiert,
Politikfelder zu Empörungsbühnen gemacht.
Sie seien Opfer einer Klimahysterie, einer Umvolkung und einer staatlichen
Zensur. Dieses Opfernarrativ wirkt unabhängig davon, ob man die AfD im
politischen Diskurs und in der parlamentarischen Arbeit inkludiert oder
nicht. Ob es ein Verbotsverfahren gibt oder nicht. Es ist systematisch
angelegt – und wird durch inhaltliche Zugeständnisse nicht entkräftet,
sondern verstärkt. Das zeigt die Forschung.
Das bestätigt aber auch AfD-Chef Tino Chrupalla, wenn er sagt: „Wir sind
das Original.“
Darüber hinaus stellt sich mir die Frage, worüber man genau mit einer
Partei „leidenschaftlich-inhaltlich“ debattieren will, die Grundprinzipien
unserer Ordnung negiert. Über die Antastbarkeit der Menschenwürde? Über die
Verharmlosung eines imperialistischen russischen Angriffskriegs, über
völkisch-nationalistische Deportationsfantasien gegen Millionen von
Menschen oder die Leugnung des menschengemachten Klimawandels, dessen
Bekämpfung im Grundgesetz verankert ist?
## Keine gemeinsame politische Grundlage
Mit der AfD gibt es keine gemeinsame politische Grundlage, auf der ein
demokratischer Streit möglich wäre. Wer trotzdem auf inhaltliche
Auseinandersetzung setzt, verwischt die Trennlinie zwischen politischem
Gegner und Feinden der Demokratie. Die Union erhebt die AfD zum legitimen
Gesprächspartner – als ginge es um unterschiedliche Antworten auf dieselben
Fragen. Doch dabei verliert sie nicht nur die nötige Abgrenzung, sondern
auch ihre eigene politische Unterscheidbarkeit.
Zum anderen dürfen wir uns keiner Illusion hingeben: Die AfD ist kein
Haufen verirrter Einzelfälle. Die Rede einiger Konservativer von den
„Vernünftigen“ oder „nicht negativ aufgefallenen“ AfD-Abgeordneten ist
fahrlässig und verkennt die Dimension. Dies ist eine Partei, die völkisches
Denken rehabilitiert, Geschichte umdeutet, die NS-Zeit relativiert,
rassistische Sprache nutzt und demokratische Institutionen ablehnt.
Die AfD Thüringen druckt auf Seite eins ihres Wahlprogramms ein Gedicht
eines antisemitischen NS-Kulturpolitikers. Ihre Abgeordneten bezeichnen
sich selbst als das „freundliche Gesicht des Nationalsozialismus“.
Kontakte zur NPD, zur Identitären Bewegung, zu rechtsextremen Medien sind
dokumentiert. Auf EU-Ebene distanzieren sich rechtsextreme und
rechtspopulistische Parteien – aus taktischen Gründen – von der AfD.
## Gesichert rechtsextrem
Ehemalige Parteiführungen distanzieren sich regelmäßig von ihren
Nachfolgern – weil die Partei immer extremer wird. Neun Landesverbände und
zehn Jugendorganisationen gelten als gesichert rechtsextrem oder als
Verdachtsfälle. Die AfD-Bundespartei ist als gesichert rechtsextrem
eingestuft. Die AfD-Bundestagsfraktion war schon bisher Arbeitgeber für
über hundert Rechtsextreme. Mit zusätzlichen 69 Mandaten im Vergleich zu
2021 wächst dieses Netzwerk weiter.
Umso naiver ist die derzeitige Zwar-aber-Rhetorik. Zwar säßen in ihren
Reihen Geschichtsrevisionisten, Verschwörungsideologen – aber man müsse sie
nur wegregieren. Zwar teile man ihre Sprache nicht, aber sie vertrete reale
Sorgen. Zwar lehne man ihre Inhalte ab, aber man müsse ihre Wählerschaft
ernst nehmen. Zwar sei die Partei rechtsextrem, aber für ein Verbot fehle
die Grundlage. Diese „Zwar-aber“-Rhetorik ist kein Ausdruck von
Differenzierung – sie ist die Verweigerung, sich mit den eigentlichen
Herausforderungen auseinanderzusetzen.
Die Union tut so, als nehme man die Gefahr ernst, um ihr zugleich jede
Konsequenz zu verweigern. Mehr noch: Auf europäischer Ebene findet bereits
ein schleichender, aber bewusster Rechtsruck statt. Die Europäische
Volkspartei (EVP) stimmte in den letzten Monaten mit rechtsextremen
Parteien ab, wodurch diese überhaupt erst Mehrheiten erhielten. Das sollte
uns ein Warnsignal sein.
Die Unbeholfenheit der Union zeigt sich auch in der zu kurz gedachten
Analyse – oder möglichen Taktik –, dem demokratischen Mitbewerber die
alleinige Verantwortung für den Zuwachs der AfD zuzuschieben.
## Rechte Positionen wurden zur Norm
Es sei die grüne Planwirtschaft, die links-grüne Migrationspolitik, die
Schmarotzermentalität in der Sozialpolitik – nur deshalb sei es zur
Verdopplung der AfD gekommen. Dabei wird neben der inhaltlichen Ausrichtung
progressiven Stimmen vorgeworfen, sie würden die Probleme ignorieren. Es
geht jedoch nicht darum, Probleme zu leugnen, sondern darum, ihnen nicht
mit den Erzählungen und Feindbildern der Rechten zu begegnen.
Die AfD, die unter einer unionsgeleiteten Regierung entstanden ist, hat
ihre Stimmen verdoppelt – auch, weil ihre Positionen Schritt für Schritt
zur Norm wurden. Statt eigene politische Schwerpunkte zu setzen, wird auf
die rechtspopulistische Agenda reagiert, Themen und Forderungen werden
übernommen.
Einen Teil der AfD-Wählerschaft wird man nicht zurückgewinnen können. Das
ist unbequem, aber die empirische Forschung zeigt es deutlich: Es gibt in
Teilen der deutschen Bevölkerung autoritäre Denkmuster und einen Wunsch
nach autoritärer Herrschaft.
Der andere Teil jedoch hat über Jahre das Vertrauen in demokratische
Institutionen verloren. Viele dieser Menschen fühlten sich – unabhängig
davon, wen sie wählten – nicht gehört. Ihre Anliegen wurden marginalisiert,
ihre Sorgen ignoriert. Die etablierten Parteien – allen voran Union und SPD
– setzen auf ein „Weiter so“ und damit auf jene Politik, die zum
Vertrauensverlust geführt hat.
## Die Sorgen ernst nehmen
Wer nicht den Mut aufbringt, strukturelle Ungleichheiten zu bekämpfen, wird
diese Menschen nicht zurückholen. Und er wird ihnen nicht vermitteln
können, welchen Wert Demokratie und ihre Institutionen tatsächlich haben.
Was es braucht, ist eine Politik, die diese Sorgen ernst nimmt und ihnen
wirksam begegnet. Dafür braucht es nicht die AfD – weder inhaltlich noch
rhetorisch.
Es braucht keinen autoritären Neoliberalismus mit sozialdarwinistischer
Gesellschaftspolitik. Stattdessen eine Politik, die gerechter, nicht
härter, die solidarischer, nicht repressiver ist. Eine gerechte Verteilung
von Vermögen. Eine Entlastung der unteren Einkommen statt
Steuererleichterungen für Spitzenverdiener. Es braucht ein Klimageld, das
soziale Härten abfedert. Und es braucht die klare Trennlinie zwischen
politischen Mitbewerbern und den Feinden der Demokratie.
Dafür braucht es Mut und Haltung. Beides ist derzeit in der Union nicht
ausreichend zu erkennen.
1 Jun 2025
## AUTOREN
Anton Hofreiter
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Grüne
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GNS
Regierungsbildung
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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