# taz.de -- Contergangeschädigter DJ über Autonomie: „Das war etwas, was me… | |
> Die Zeit in einem Internat für Behinderte war für Matze Lawin schwierig. | |
> In seiner Autobiografie beschreibt er, wie er einen positiven Lebensweg | |
> fand. | |
Bild: Nach dem Abiutur begann Matze Lawin zu reisen: Bis heute ist er regelm� | |
taz: Matze Lawin, Sie wirken in Ihrer Autobiografie sehr positiv. Schränkt | |
Sie Ihre Behinderung trotzdem manchmal ein? | |
Matze Lawin: Wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich das nicht von der Hand | |
weisen. Ich bin contergangeschädigt, ich habe verkürzte Arme und an jedem | |
Arm nur zwei Finger. Wenn man mit kurzen Armen durch die Welt geht, dann | |
gibt es immer Barrieren und Hindernisse, die anders ausfallen als bei | |
Menschen mit langen Armen. Und es ärgert mich schon mal, wenn es mir | |
Schwierigkeiten bereitet, eine Zahnpastatube aufzudrehen oder dass mir | |
bestimmte Dinge leichter runterfallen. | |
taz: Aber davon lassen Sie sich nicht unterkriegen? | |
Lawin: Ich glaube, nur das ist für mich der richtige Lebensweg. Positiv an | |
die Dinge zu gehen, Lebensfreude nicht nur zu entwickeln, sondern auch nach | |
außen zu strahlen. Weil, was man nach außen strahlt, bekommt man auch | |
wieder zurück. | |
taz: Warum beginnt Ihr Buch erst nach dem Abitur? | |
Lawin: Ich hatte eine sehr schwierige Zeit in einem Internat für | |
Körperbehinderte, wo ich mit elf Jahren hinkam und dann für zweieinhalb | |
Jahre bleiben musste. Das war etwas, was fast mein Leben zerstört hätte. | |
Meine [1][Kindheit war auch nicht einfach], weil ich nicht gut damit | |
umgehen konnte, wenn mich andere Kinder angeguckt und angefasst haben. | |
taz: Und warum wollten Sie das nicht erzählen? | |
Lawin: Ich habe lange überlegt und mich dann aber entschieden, dass ich ein | |
positives Buch schreiben möchte. Und es soll zu einem Zeitpunkt anfangen, | |
an dem ich Glück, Autonomie und Selbstständigkeit empfunden habe. Das war | |
nach meinem Abitur, als ich mich entschieden habe, loszutrampen. Ich wollte | |
vor dem Pädagogikstudium ein paar Monate die Welt kennenlernen und ganz | |
alleine unterwegs sein. | |
taz: So selbstständig reisen können viele Contergangeschädigte nicht, oder? | |
Lawin: Mit meinen Einschränkungen konnte ich vieles machen, was andere | |
nicht können. Nach mehr als 60 Jahren fällt vielen Contergangeschädigten | |
das Leben immer schwerer, weil die Gliedmaßen, die eh schon geschädigt | |
sind, durch die atypischen Bewegungen [2][im Alter nicht besser werden]. | |
Und dann schreibe ich ein Buch und feiere das Leben. Da habe ich mich | |
gefragt, ob ich das überhaupt darf. Ich habe mir aber gesagt, das ist mein | |
Leben und ich möchte das so. Und könnte aber verstehen, wenn es Leute gibt, | |
denen es aufstößt. | |
taz: Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, als DJ zu arbeiten? | |
Lawin: Ich war auf einem Flohmarkt in Bremen und da sagte jemand zu mir: | |
„Hey, die suchen da für ein Projekt zwei DJs, wollen wir das nicht machen?“ | |
Fünf Monate später sind da 900 Leute hingekommen. Ich liebte Musik schon | |
als Kind. Und dann habe ich gedacht, mache ich doch mein Hobby zum Job, | |
solange wie das läuft und ich bin heute noch DJ und Musikveranstalter. | |
taz: Fragen Sie sich manchmal, wie Ihr Leben verlaufen wäre, wenn Sie doch | |
Behindertenpädagoge geworden wären, wie Sie es eigentlich geplant hatten? | |
Lawin: Ich habe meiner Professorin damals einen Stich ins Herz versetzt. | |
Sie hat gesagt, ich wäre doch der perfekte Behindertenpädagoge. Ich sei | |
lebenslustig und hätte positive Energie. Und in einer Gesellschaft, in der | |
man sich viele Ziele setze, die nie erreicht werden, brauche man solche | |
Menschen wie mich. Ich wollte aber nie [3][in die Institutionen] gehe – ich | |
war ja in diesem Internat und habe es gehasst. Und ich habe dann meiner | |
Professorin etwas gesagt, was ich bis heute lebe. | |
taz: Was war das? | |
Lawin: Ich habe gesagt, ich werde in jeder Sekunde meines Lebens auch immer | |
ein bisschen Behindertenpädagoge sein, weil ich viele Begegnungen mit | |
Menschen habe. Aber ich werde DJ sein, an das DJ-Pult meines Lebens gehen. | |
Und das habe ich gemacht. | |
14 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Louisa Eck | |
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