# taz.de -- Konflikt in Kamerun: Von der Welt vergessen | |
> Im englischsprachigen Teil Kameruns kämpfen Separatisten und Armee auf | |
> dem Rücken der Bevölkerung. Eine Lösung der Krise ist im Wahljahr nicht | |
> in Sicht. | |
Bild: Buea 2018, auf dem Höhepunkt der Kämpfe: Elitesoldat des „Rapid Inter… | |
Buea taz | Die beiden Schalen der Justitia-Waage auf Felix Agbor Nkongho | |
Ballas Schreibtisch hängen in Schieflage. Ob Zufall oder nicht, der Anblick | |
des kleinen Modells auf dem massigen Schreibtisch des kamerunischen | |
Menschenrechtsanwalts wirkt wie ein Sinnbild. „Die Menschen sind müde“, | |
sagt Balla. „Seit Jahren sterben jeden Tag Menschen.“ | |
Fast neun Jahre nach Beginn der sogenannten anglofonen Krise in Kamerun ist | |
immer noch kein Ende in Sicht. Stattdessen findet sich die Bevölkerung im | |
englischsprachigen Landesteil in einer Gewaltspirale zwischen bewaffneten | |
Separatisten und Armee wieder. „Gleichzeitig ist das Interesse abgeebbt“, | |
sagt Balla. | |
Kameruns Konflikt zählt zu den [1][sogenannten vergessenen Krisen] der | |
Welt. Tausende wurden bereits getötet, Hunderttausende sind im eigenen Land | |
auf der Flucht. Auslöser für den Konflikt war 2016 eine Entscheidung der | |
Regierung, französischsprachige Lehrer und Anwälte in die Schulen und | |
Gerichte der anglofonen Regionen zu entsenden. „Wir sprechen hier aber kein | |
Französisch“, sagt Lucas Mola. „Ich habe es in der Schule nie richtig | |
gelernt.“ | |
Der Tourguide organisiert eigentlich Ausflüge und Wanderungen. Doch seit | |
Ausbruch des Konflikts bleiben die Touristen weg. Aufgewachsen in Buea, | |
spricht Mola Englisch, der Großteil des Landes aber spricht Französisch. | |
Wer im Kamerun einen Pass beantragen, eine Firma gründen oder ein wichtiges | |
Dokument beglaubigen lassen will, muss dafür meist nach Yaoundé reisen. | |
## Sprachliche Aufteilung ist koloniales Überbleibsel | |
In der Hauptstadt aber wird fast ausschließlich Französisch gesprochen. Wer | |
dies nicht spricht, muss sich im eigenen Land auf eigene Kosten einen | |
Übersetzer organisieren – nur ein Beispiel für eine strukturelle | |
Benachteiligung, die viele Anglofone empfinden: mangelnde politische | |
Repräsentation, ungleiche Verteilung staatlicher Investitionen, Ignoranz | |
gegenüber ihrer kulturellen Identität. | |
Die sprachliche Aufteilung Kameruns ist ein koloniales Überbleibsel. Nach | |
dem Ersten Weltkrieg wurde die deutsche Kolonie Kamerun zwischen Frankreich | |
und Großbritannien aufgeteilt. Nach der Unabhängigkeit 1960 schlossen sich | |
die britischen „Southern Cameroons“ in einem umstrittenen Referendum wieder | |
Kamerun an – mit dem Versprechen von Autonomie in einer föderalen Struktur, | |
was aber nicht eingelöst wurde. | |
Der Frust darüber entlud sich 2016 zunächst in friedlichen Demonstrationen, | |
als Anwälte und Lehrer auf die Straße gingen. Kameruns Militär reagierte | |
mit Einschüchterung, Verhaftungen und Folter, Teile der Bewegung | |
radikalisierten sich. Einige riefen die unabhängige „Republik Ambazonien“ | |
aus, samt einer Übergangsregierung im Exil und einer bewaffneten Gruppe | |
namens Ambazonia Defence Forces (ADF). | |
„Was wir in den letzten Jahren beobachten, ist eine immer stärkere | |
Fragmentierung des Konflikts“, sagt Ladd Serwat von Acled, einer | |
internationalen Konfliktbeobachtungsstelle. „Während die Separatisten | |
anfangs erhebliche finanzielle Unterstützung durch im Ausland lebende | |
anglofone Kameruner erhalten haben, sind diese Geldströme seit etwa 2019 | |
deutlich zurückgegangen.“ Gründe dafür seien verstärkte Gegenmaßnahmen d… | |
Staates, aber auch eine wachsende Entfremdung zwischen der Diaspora und den | |
bewaffneten Gruppen vor Ort. | |
## Zwischen den Fronten | |
„Die immer stärker zersplitterten Separatistengruppen richten ihre Gewalt | |
zunehmend gegen die eigene Bevölkerung, was viele Unterstützer im Ausland | |
abgeschreckt hat. Und mit dem Rückgang der Geldflüsse steigt wiederum der | |
Druck auf die Gruppen, sich auf andere Weise zu finanzieren“, sagt Serwat. | |
Entführungen gegen Lösegeld und Zwangssteuern seien mittlerweile zentrale | |
Einnahmequellen der Separatisten: „Die Bevölkerung, für deren Rechte | |
ursprünglich gekämpft wurde, ist selbst zur Zielscheibe geworden.“ | |
Für Menschenrechtsanwalt Felix Agbor Nkongho Balla hat die Gewalt eine | |
weitere beunruhigende Folge: „Wir sind an einem Punkt, wo gefeiert wird, | |
wenn ein Soldat getötet wird, und gefeiert wird, wenn ein Separatist | |
getötet wird. Aber so eine Verherrlichung von Gewalt beeinflusst die | |
Psyche. Das macht mir Sorgen.“ | |
Was das bedeutet, zeigt sich in den Geschichten jener, die zwischen den | |
Fronten leben. „Ich habe keine Lust auf Ärger“, sagt Edgar und möchte | |
nicht, dass sein echter Name genannt wird. Der junge Mann teilt seine | |
Geschichte nur, weil ihn ein gemeinsamer Freund um den Gefallen bittet. | |
Während im Hintergrund ein Actionfilm läuft, spricht Edgar leise und | |
bedacht. „Ich habe 2015 meinen Abschluss in Personalmanagement gemacht und | |
wollte danach mein eigenes Business starten“, erzählt er. Ein Jahr später | |
begann die Krise. Zunächst habe er noch Mais produzieren können, aber 2018 | |
wurde es zu gefährlich. „Ich musste mein Land aufgeben, in das ich all mein | |
Geld gesteckt hatte“, sagt er. | |
## Regierung hält an harter Linie fest | |
Dann kam die Zusage für ein Studium in Kanada, doch das Visum wurde | |
abgelehnt. Edgar startete neu, baute sich wieder eine Farm auf – und musste | |
erneut fliehen. „Vier Stunden bin ich zu Fuß durch den Busch gerannt, bis | |
ich in Sicherheit war“, erzählt er. Seit 2024 betreibt er nun ein kleines | |
Restaurant und bestellt ein kleines Stück Land. Es ist das dritte Mal, dass | |
er sich von null eine neue Existenz aufbaut. | |
„Wenn du kein Französisch kannst, hast du kaum eine Chance“, sagt Edgar. | |
Aber der „Struggle“, wie er den bewaffneten Kampf nennt, sei von einer | |
kleinen Minderheit gekapert worden. „Wir sind nicht alle Ambas“, sagt er | |
und meint damit die Kämpfer der ADF. Mit Blick auf die anstehenden Wahlen | |
im Oktober hat Edgar nur einen Wunsch: „Dass es uns danach besser geht.“ | |
Wählen gehen wird er aber nicht. | |
Je näher die Präsidentschaftswahlen 2025 rücken, desto größer wird die | |
Sorge vor einer weiteren Zunahme von Gewalt. Die Regierung hält an ihrer | |
harten Linie fest. Geht es nach Professor Kingsley Ngange von der | |
Universität Buea, ist die nicht hart genug. „Unser Präsident ist ein | |
friedlicher Mensch“, sagt er über [2][Kameruns Staatschef Paul Biya] und | |
verweist auf dessen Ausbildung als Priester. „Wir haben Glück, dass wir ihn | |
in diesen Krisenzeiten an unserer Seite haben.“ | |
Seit 42 Jahren regiert Biya bereits, das [3][Bild des ewigen Regenten] | |
hängt prominent im Büro des Professors, und an seiner Haltung zu den | |
Separatisten lässt er keinen Zweifel. Von „Analphabeten“ ist die Rede, von | |
„Kriegstreibern“, die das Land ins Chaos gestürzt hätten. „Das haben wir | |
jetzt davon“, donnert er durch den Raum. Am Handgelenk blitzen eine breite | |
goldene Uhr und ein massives Armband, am Finger ein markanter Ring. Die | |
Forderungen nach Gleichberechtigung und Selbstbestimmung hält er für | |
vorgeschoben. | |
Auf eine Sache aber können sich wohl alle einigen: Die Gewalt hat nichts | |
gelöst. „Es ist leicht, eine Krise zu beginnen, aber wie beenden wir sie?“, | |
stellt Kingsley Ngange die Frage aller Fragen. | |
21 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Flucht-aus-Kamerun-nach-Nigeria/!5607778 | |
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## AUTOREN | |
Helena Kreiensiek | |
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