| # taz.de -- Neues Museum für Migration in Rotterdam: Woher die Menschen kommen… | |
| > Das Museum Fenix in Rotterdam ist innerlich wie äußerlich dem Thema | |
| > Migration gewidmet. Der Bau kommt von einem chinesischen Architekturbüro. | |
| Bild: Glänzende Spirale auf altem Dach: Das von MAD Architects umgebaute Museu… | |
| Noch nie waren so viele Menschen auf Wanderschaft, sei es auf der Flucht | |
| vor Hunger und Krieg, sei es auf der Suche nach Sicherheit und Auskommen. | |
| Und doch wäre es falsch, von der Gegenwart als „der“ Ära der Migration zu | |
| sprechen. Denn Migration hat es immer gegeben, sie ist zeitlos, universell | |
| und zutiefst menschlich. | |
| Das jedenfalls ist die Prämisse, unter der das nun eröffnete Rotterdamer | |
| Museum der Migration angetreten ist. Sein eingängiger Name „Fenix“ hat | |
| keinen Bezug zu seinem Gegenstand, sondern leitet sich vom Namen des | |
| ehemaligen Lagerhauses von 1923 her, das nach einem verheerenden Brand | |
| wiederaufgebaut worden war. Im längst nicht mehr als Warenumschlagplatz | |
| genutzten, innerstädtischen Teil des Rotterdamer Hafens gelegen, wurde es | |
| von der erst 2016 gegründeten Stiftung Droom en Daad als Sitz eines von ihr | |
| finanzierten Museums gewählt, das sich dem komplexen Gegenstand der | |
| Migration vorwiegend über Kunstwerke nähern will. | |
| Keine Zahlen und Schaubilder also. Das ist in einer Stadt wie Rotterdam, in | |
| dem über 120 Nationen zusammenleben, wohl kaum mehr nötig. Und schon gar | |
| nicht an diesem Ort am Wasser, von wo aus jahrzehntelang die Schiffe | |
| abgingen, die Millionen von europäischen Auswanderern in ferne Länder | |
| brachten, und umgekehrt Einwanderer vor allem aus den niederländischen | |
| Kolonien Fuß zu fassen suchten. | |
| Kürzlich erst machte Fenix auf sich aufmerksam, als es den Erwerb eines | |
| Porträts [1][des Humanisten Erasmus von Rotterdam] aus der Hand von Hans | |
| Holbein d. J. meldete. Die Irritation war wohlkalkuliert: ein | |
| Altmeister-Gemälde in dieser Umgebung? Aber genau da passt es hin, war doch | |
| Erasmus so etwas wie der Hausheilige der Hafenstadt, zeitlebens ein | |
| Migrant, verfemt wegen seiner Gedanken, ein politischer Flüchtling par | |
| excellence. | |
| ## Albert Einstein auf dem Dampfer | |
| Das nun im Museum gezeigte Ölgemälde ist so klein, als ob es gleich dem | |
| Dargestellten jederzeit von dannen ziehen könnte. Der Blick schweift von | |
| hier zur Fotografie von Albert Einstein, bald nach seiner – freilich | |
| triumphalen – Ankunft in Princeton, aufgenommen vom gleichfalls | |
| geflüchteten Juden Philippe Halsman. In einer Vitrine daneben die | |
| amerikanische Ausgabe der „Relativitätstheorie“, die die Wissenschaft | |
| schier auf den Kopf stellte. | |
| Auf 6.000 Quadratmetern im Obergeschoss des Lagerhauses sind 150 Werke von | |
| Künstlern aller Kontinente wie [2][Francis Alÿs], [3][William Kentridge] | |
| oder [4][Yinka Shonibare] luftig verteilt, einem jeden ein eher | |
| persönliches Objekt zugeordnet. Es gibt weder chronologische noch | |
| geografische Ordnung, sondern allenfalls Themen, wobei etwa „Verlust“ oder | |
| „Glück“ Facetten eines jeden Kunstwerks beleuchten. | |
| Gleich beim Aufstieg aus dem grundsätzlich ticketlos betretbaren | |
| Erdgeschoss fällt der Blick auf das gut sechs Meter lange Stoffmodell eines | |
| New Yorker Stadtbusses der Linie M5, das Red Grooms detailgetreu | |
| ausgestattet hat, Fahrgäste inklusive. Ein hölzernes Boot mit | |
| Außenbordmotor, das 19 Geflüchtete nach Lampedusa brachte und von der | |
| dortigen Küstenwacht beschlagnahmt wurde, erinnert an die dunkle Seite der | |
| Migration – und stellt, vor einem großen Fenster mit Blick auf den | |
| benachbarten „Tränenkai“ der Auswandererschiffe aufgestellt, die | |
| Nachbarschaft von gewollter und erzwungener Migration eindrücklich her. | |
| Mit solchen visuellen Verweisen arbeitet Sammlungsleiterin Hanneke Mantel, | |
| nicht mit dem moralischen Zeigefinger, gerade um die Allgegenwart von | |
| Migration, von Aufbruch und Ankommen, von Verlust und gelungenenfalls | |
| Neugewinn von Heimat deutlich zu machen. Das bedeutet mitnichten | |
| Indifferenz. Im Erdgeschoss gibt es eine zweite, besser zuerst zu | |
| besichtigende Ausstellung von 190 Fotografien. Der Titel „The Family of | |
| Migrants“ spielt auf die Goodwill-Ausstellung „The Family of Man“ an, mit | |
| der das New Yorker MoMA 1959 eine Welttournee startete. | |
| ## Abschied eines „Gastarbeiters“ in Wolfsburg | |
| Auch in Rotterdam ist die ganze Menschheit einbegriffen, aber eben unter | |
| dem Signum ihrer [5][ständigen Bewegung]. Es gibt schockierende | |
| Kriegsfotos, aus Beirut oder aus Vietnam, aber es gibt auch das Glück eines | |
| Brüderpaares beim Wiedersehen an der innerdeutschen Grenze, es gibt den | |
| Abschied eines „Gastarbeiters“ in Wolfsburg und dessen Besuch bei der | |
| sizilianischen Herkunftsfamilie, es gibt die Trostlosigkeit zugewiesener | |
| Hotelzimmer beim Weg ins Exil, es gibt den leeren Blick aus der endlos | |
| dahinziehenden „Transsib“. Migration ist allgegenwärtig. | |
| Fenix will ein offenes Museum sein, buchstäblich für alle und jeden. Man | |
| muss nicht einmal die Ausstellungen besichtigen. Denn den Umbau zum Museum | |
| hat das chinesische Architekturbüro MAD vorgenommen, das in seinen durchweg | |
| spektakulären Bauten mit dynamischen Formen Bewegung sowohl optisch wie | |
| real für die Benutzer erzeugt. | |
| Die ideale Voraussetzung also für dieses spezielle Rotterdamer Projekt, dem | |
| MAD mit Prinzipal Ma Yansong eine doppelläufige, weit schwingende Treppe | |
| mit polierter Edelstahlverkleidung implementiert hat, hinauf auf die | |
| Dachterrasse. | |
| Der Rundumblick auf das mit immer neuen architektonischen Einfällen | |
| glänzende Rotterdam stimmt optimistisch. Erasmus war da, Einstein bestieg | |
| hier das Schiff, die zahllosen asiatischen Gastronomen der Stadt kamen. Die | |
| Gastronomie des Museums hat Maksut Aşkar übernommen, der ein | |
| Sterne-Restaurant in Istanbul führt – was nicht seine Heimat ist, sondern | |
| Anatolien. Das Museum ist ein Erfolg, wenn jeder Besucher sich künftig | |
| fragt, woher er kommt, wie wichtig das für sein Hier und Heute ist, und ob | |
| überhaupt. | |
| 20 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernhard Schulz | |
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