Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Antisemitischer Terror​: Das vergessene Attentat von München​
> Sieben Menschen starben 1970 bei einem Anschlag auf die Israelitische
> Kultusgemeinde in München. Jetzt gibt es eine neue Spur. Sie führt nach
> rechts.
Bild: Bis heute nicht aufgeklärt: Vor 55 Jahren brannte das Jüdische Altenhei…
München taz | Es ist bis heute einer der tödlichsten und doch auch einer
der am schnellsten in Vergessenheit geratenen Anschläge in der Geschichte
der Bundesrepublik: Am Abend des 13. Februar 1970 starben in München sieben
Menschen bei einem Brandanschlag. Der Fall ist noch immer ungeklärt. Nur an
einem konnte kein Zweifel bestehen: Die zwei Frauen und fünf Männer wurden
ermordet, weil sie jüdisch waren. Nun gibt es eine neue Spur.
Es muss gegen 21 Uhr gewesen sein, als damals ein Unbekannter – vielleicht
waren es auch mehrere – das Gemeindezentrum der Israelitischen
Kultusgemeinde München und Oberbayern betrat. Zu der Zeit befand es sich
noch in der Reichenbachstraße im Glockenbachviertel, ein unscheinbares
Haus, Altbau, die Treppe aus Holz. Damals wurden jüdische Einrichtungen in
Deutschland noch nicht rund um die Uhr von der Polizei geschützt.
So kamen der oder die Täter unbehelligt in das Haus. Wie später die
Ermittlungen ergeben sollten, fuhren sie zunächst mit dem Fahrstuhl ganz
nach oben in den vierten Stock, setzten ihn außer Betrieb, gingen dann zu
Fuß wieder hinunter und vergossen dabei im Treppenhaus ein Gemisch aus
Benzin und Öl. 20 Liter sollen es insgesamt gewesen sein. Beim Verlassen
des Hauses setzten der oder die Mörder das Gemisch in Brand und flohen.
Das Feuer verbreitete sich rasend schnell, die Menschen im Haus saßen in
der Falle. In den oberen Stockwerken befand sich ein jüdisches Altenheim,
auch einige Studentenunterkünfte. Es war Freitagabend, der Schabbat hatte
gerade begonnen, im Haus waren zu der Zeit über 50 Menschen.
## „Wir werden vergast, wir werden verbrannt!“
Die Feuerwehr war schnell vor Ort, Zeugen hörten eine Frau aus dem Haus
rufen: „Wir werden vergast, wir werden verbrannt!“ Viele der Bewohner
können die Feuerwehrleute aus dem brennenden Gebäude retten, 15 von ihnen
verletzt. Nicht aber David Jakubowicz. Nicht aber Leopold Arie Leib Gimpel.
Nicht aber Regina Rivka Becher. Nicht aber Siegfried Offenbacher. Nicht
aber Max Meir Blum. Und auch nicht das Ehepaar Rosa Drucker und Georg
Eljakim Pfau. Sie alle waren zwischen 59 und 71 Jahre alt, sie alle hatten
den Holocaust überlebt. Jetzt starben sie im Feuer im Münchner
Glockenbachviertel.
Manches Detail, das die besondere Tragik dieses Mordabends unterstrich,
wurde im Nachgang bekannt. So war in der Süddeutschen Zeitung zu lesen,
dass David Jakubowicz, der den Holocaust in einem Vernichtungslager
überlebt hatte, nur wenige Monate zuvor aus New York nach München
zurückgekehrt war. Nun wollte er den Lebensabend in Israel verbringen. Der
Koffer stand schon gepackt da, den Abflug hatte er nur wegen des Schabbats
um ein paar Tage verschoben.
Leopold Gimpel, der im zweiten Stock wohnte, habe nur schnell ein Buch bei
einem Bekannten im vierten Stock zurückgeben wollen, als das Feuer
ausbrach. Seine Frau habe noch aus der eigenen Wohnung gerettet werden
können. Und der 71 Jahre alte Max Meir Blum sprang aus dem vierten Stock in
den Hof, um den Flammen zu entgehen. Den Sturz überlebte er nicht.
## Linksextremisten im Visier
Es wurde eine 60-köpfige Sonderkommission eingerichtet, man ermittelte in
alle Richtungen: Neonazis, palästinensische Terrorgruppen, Linksextremisten
… Doch die Suche nach dem oder den Tätern verlief erfolglos, das Attentat
blieb ein Cold Case. Über die Jahrzehnte wurden die Ermittlungen immer mal
wieder aufgenommen – und eingestellt. Verdächtigt wurden etwa die
Tupamaros, eine linksextreme Terrorgruppe rund um Fritz Teufel und
[1][Dieter Kunzelmann]. Die Tupamaros hatten beispielsweise 1969 einen
Sprengsatz in der Jüdischen Gemeinde Berlin platziert.
Die Theorie, dass deutsche Linke – im Verbund mit Palästinensern – für den
Anschlag verantwortlich waren, [2][vertritt beispielsweise auch der
Historiker Wolfgang Kraushaar] und veröffentlichte sie 2013 in seinem Buch
„,Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?'
München 1970: über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus“.
Aber auch Heinz Galinski, der spätere Präsident des Zentralrats der Juden
in Deutschland, ging 1970 schon von einem solchen Zusammenhang aus.
Die Vermutung war nicht abwegig – zumal wenn man sich erinnert, dass nur
drei Tage vor dem Anschlag palästinensische Terroristen am Münchner
Flughafen die Passagiere eines El-Al-Fluges überfallen hatten. Der Israeli
Arie Katzenstein starb, als er sich auf eine Granate warf und so den
übrigen Fluggästen das Leben rettete. Erst vor drei Monaten, zum 55.
Jahrestag des Mordes, wurde auf dem ehemaligen Flughafengelände ein
Erinnerungsort eingeweiht.
## Verdächtiger soll sich zu Anschlag geäußert haben
Doch jetzt gibt es eine neue Spur – und sie führt in eine andere Richtung.
[3][Laut Spiegel] soll ein Mann „aus dem kriminellen Milieu Münchens“ mit
dem Brandanschlag in Zusammenhang stehen. Viel weiß man nicht über den
Verdächtigen, der inzwischen auch nicht mehr lebt: Er sei Deutscher
gewesen, berichtet der Spiegel, in den Siebzigern sei er mehrfach durch
Straftaten aufgefallen. Vor allem aber soll er „offensiv antisemitische und
rechtsextreme Ansichten vertreten haben“. Angeblich soll er sich in der
Vergangenheit selbst zu dem Anschlag geäußert haben – wem gegenüber und in
welcher Art, ist unklar.
Ob der Mann tatsächlich als Haupttäter verdächtigt wird, ob er
gegebenenfalls Komplizen hatte, von wem der Hinweis auf ihn kam, dazu gibt
es bislang keine weiteren Angaben. Auch nicht zu der Frage, ob er Kontakte
ins rechtsextreme Milieu unterhielt. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte
Anfang letzter Woche lediglich mitgeteilt, dass erneut Ermittlungen in dem
Fall aufgenommen worden seien. Grund dafür sei ein Hinweis an den
Antisemitismusbeauftragten der bayerischen Justiz, Andreas Franck, gewesen.
Der Hinweis richte sich gegen eine bestimmte Person, hieß es, der Verdacht
erscheine nachvollziehbar. Obwohl der Mann bereits tot sei, sei ein
Ermittlungsverfahren wegen siebenfachen Mordes eröffnet worden – vor allem,
um das Motiv des Täters zu klären. Zu den Details des Spiegel-Berichts
wollte sich Franck allerdings mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen
nicht äußern.
Sollte sich der Verdacht erhärten, dass der Anschlag auf das Altenheim
einen rechtsextremen Hintergrund hat, würde die Stadt München ihren
traurigen Spitzenplatz im Ranking des rechten Terrors ausbauen: 1980 und
2016 gab es hier – [4][auf dem Oktoberfest] und [5][am
Olympiaeinkaufszentrum] – zwei der größten rechtsextremistisch motivierten
Anschläge. Insgesamt wurden dabei 21 Menschen ermordet und über 200
verletzt.
4 May 2025
## LINKS
[1] /Dieter-Kunzelmann-ist-tot/!5503898
[2] /Kraushaar-ueber-linken-Antizionismus/!5072007
[3] https://www.spiegel.de/panorama/muenchen-anschlag-im-februar-1970-ermittler…
[4] /Anschlag-auf-das-Oktoberfest/!5715478
[5] /Rechter-Terroranschlag-in-Muenchen-2016/!5945212
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
Brandanschlag
Antisemitismus
Rechtsextremismus
München
Attentat
Social-Auswahl
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Rechter Terror
Kommune 1
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rassistischer Anschlag in München 2016: Kassel, Hanau, Halle – und München
Am 22. Juli 2016 ermordete ein Jugendlicher neun Menschen in München. Die
Hinterbliebenen fürchten das Vergessen des rassistischen Anschlags.
Oktoberfest-Attentatsopfer über Behördenversagen: „Kaltschnäuzig und piet�…
Ein zerfetzter Fuß, ein Trauma, Erniedrigung – Hans Roauer ist ein Opfer
des Oktoberfestattentats. Er ist wütend – aber nicht auf den Attentäter.
Kraushaar über linken Antizionismus: „Eine geheime Entlastungsstrategie“
Haben Linksradikale den tödlichen Brandanschlag auf die Israelitische
Kultusgemeinde 1970 in München verübt? Der Historiker Wolfgang Kraushaar
rollt den Fall neu auf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.