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# taz.de -- Ukrainerin in russischer Haft: Langsam zu Tode gefoltert
> Die Journalistin Wiktorija Roschtschyna wurde im Gefängnis von Taganrog
> getötet. Journalistische Recherchen bringen weitere grausame Details ans
> Licht.
Bild: Mitglieder von Reporter ohne Grenzen bei einer Aktion für in Russland in…
Berlin taz | Im Februar 2025 wurden nach einem weiteren Austausch zwischen
Russland und der Ukraine 757 Leichen in die Ukraine zurückgebracht. Eine
unterschied sich deutlich von den anderen. Sie war kleiner und leichter und
befand sich in einem weißen Sack mit der russischen Aufschrift „НМ, СПА…
757“, was für „unbekannter Mann, akute Verletzung der Koronararterien,
Leiche 757“ steht.
Als die Ermittler den Sack öffneten, fanden sie jedoch die misshandelte
Leiche einer jungen Frau – der gefrorene und mumifizierte Körper wies
zahlreiche Blutungen und Quetschungen, gebrochene Knochen, Spuren von
Elektroschocks, abrasierte Haare und Anzeichen für eine Autopsie auf. Eine
genaue Untersuchung ergab, dass das Gehirn, die Augäpfel und ein Teil des
Kehlkopfes fehlten.
Nachdem ein DNA-Test eine Übereinstimmung von 99,9 Prozent bestätigt hatte,
wurde klar, dass Russland die Leiche der ukrainischen Journalistin
Wiktorija Roschtschyna eineinhalb Jahre nach ihrem Verschwinden und mehr
als ein halbes Jahr nach der offiziellen Todeserklärung an die Ukraine
zurückgegeben hatte.
Ukrainische Ermittler, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten vermuten,
dass die Russen die Leiche der Journalistin absichtlich so lange
zurückgehalten und einige Organe aus dem Körper entfernt hatten, um die
Todesursache der 27-Jährigen zu verschleiern.
## 50 Interviews
Zunächst versuchten die ukrainischen Medien Slidstvo.Info, Suspilne und
Graty in Zusammenarbeit mit der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne
Grenzen in einer gemeinsamen Recherche die Umstände des Verschwindens von
Wiktorija aufzuklären.
Anschließend veröffentlichte ein Konsortium von zwölf führenden
internationalen Medien [1][auf Initiative der Pariser Redaktion von
Forbidden Stories ] eine Recherche darüber, was mit der ukrainischen
Journalistin in russischer Gefangenschaft geschehen sein könnte. Zu diesem
Zweck führte ein Team von 45 Journalisten fast 50 Interviews mit Personen,
die die russische Haft überlebt hatten, sowie mit Zeugen, die mit Wiktorija
inhaftiert waren.
„Wiktorija hatte eine Leidenschaft für den Journalismus und einen
ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Sie war sehr fleißig und prinzipientreu,
ja kompromisslos“, erinnern sich ihre ukrainischen Kollegen an Wiktorija
Roschtschyna. In Saporischschja geboren, wuchs sie in Krywyj Rih auf, wo
ihre Eltern noch heute leben.
Mit 16 Jahren begann sie bei einer Zeitung in Kyjiw zu arbeiten. Danach
wurde sie Gerichtsreporterin beim Fernsehsender Hromadske, wo sie sich den
Ruf einer kompromisslosen Journalistin erwarb, die trotz zahlreicher
Absagen von Anwälten und Staatsanwälten jedoch immer eine Antwort bekam.
## Video mit Dankesbotschaft
Die groß angelegte Invasion Russlands in die Ukraine verstärkte Wiktorijas
journalistischen Eifer noch – sie wollte vor allem darüber berichten, was
mit den Menschen unter russischer Besatzung geschieht. Doch bereits im März
2022, als sie sich im besetzten Teil der Region Saporischschja aufhielt,
wurde sie zum ersten Mal vom russischen Geheimdienst FSB festgenommen. Nach
zehn Tagen Gefangenschaft ließen die Russen die Journalistin frei und
zwangen sie, eine Videobotschaft mit Dankesworten an die russischen
Besatzer aufzunehmen.
Nach ihrer Rückkehr nach Kyjiw versuchte Hromadske, Wiktorija zum Aufhören
zu bewegen, doch sie wollte weiter über die Besatzung berichten. Das
Medienunternehmen beendete daraufhin die Zusammenarbeit, doch Wiktorija
reiste weiterhin als freie Journalistin in die russisch besetzten Gebiete
der Ukraine und schrieb unter anderem für das Nachrichtenportal Ukrainska
Prawda. Insgesamt unternahm sie mindestens vier Reisen dorthin. Von ihrer
letzten Reise kehrte sie nicht mehr zurück.
Wiktorija Roschtschyna war eine der wenigen ukrainischen Journalisten, die
es wagten, über die Verbrechen der Russen in den besetzten Gebieten zu
berichten. Und sie war die einzige, die dies unter ihrem eigenen Namen tat.
Ziel ihrer letzten Reise war es, ein Netzwerk von informellen Haftzentren
und Folterkammern für ukrainische Zivilisten im besetzten Teil der Region
Saporischschja aufzudecken und eine Liste der daran beteiligten FSB-Agenten
zu erstellen. Am Ende wurde sie selbst Opfer derer, die sie entlarven
wollte.
[2][Wie das Medium Graty schreibt], fuhr Roschtschyna am 25. Juli 2023 mit
dem Bus von Kyjiw nach Polen und überquerte am nächsten Tag die
lettisch-russische Grenze. Anschließend reiste sie vermutlich weiter
Richtung Süden durch Russland und erreichte den besetzten Teil der Region
Saporischschja.
## Elektroschocks und Schnittwunden
Die Journalistin begann ihre Recherche in der strategisch wichtigen Stadt
Enerhodar, in der sich das Atomkraftwerk Saporischschja befindet. Anfang
August meldete sie sich zum letzten Mal, wurde dann höchstwahrscheinlich
von der örtlichen Polizei in Enerhodar festgenommen und einige Tage später
in die ebenfalls besetzte Stadt Melitopol gebracht. Dort verbrachte sie die
nächsten fünf Monate in einer inoffiziellen Haftanstalt.
Wiktorijas Zellennachbarin, mit der die Journalisten sprechen konnten,
berichtete, dass die Journalistin dort von den Russen gefoltert worden sei.
Wiktorijas Körper sei mit blauen Flecken übersät gewesen, sie sei während
der Verhöre mit Elektroschocks gefoltert worden und habe große
Schnittwunden an Händen und Füßen gehabt.
Im Dezember wurde sie in ein Untersuchungsgefängnis in der russischen Stadt
Taganrog verlegt, das unter ukrainischen Gefangenen bereits als Synonym für
brutalste Folter und Tod galt. Dort wurde Wiktorija Roschtschyna zuletzt
lebend gesehen.
Aussagen von ukrainischen Soldaten und Zivilisten, die aus der
Gefangenschaft entlassen wurden, dokumentieren systematische Folterungen im
Untersuchungsgefängnis SIZO-2 in Taganrog. Bereits bei der Ankunft begannen
Schläge mit Stöcken und Metallstangen, die das örtliche Personal als
„Empfang“ bezeichnet. Vier der ukrainischen Gefangenen starben bereits in
dieser Phase.
## Abfälle als Gefängnismahlzeit
Insgesamt wurden in diesem Gefängnis bis Herbst 2024 15 Todesfälle
ukrainischer Gefangener registriert. Folter auf dem elektrischen Stuhl und
mit Strom durch Wasser, Erhängen, fast vollständiges Ertränken und endlose
Schläge und dazu noch minimale Ernährung – grausamste Haftbedingungen,
unter denen Russland gefangene Ukrainer festhält.
Diese Bedingungen hatten erhebliche Auswirkungen auf den Gesundheitszustand
von Wiktorija Roschtschyna, die sich auch weigerte, das Gefängnisessen zu
sich zu nehmen. Dieses wurde oft aus abgelaufenen Lebensmitteln oder
Abfällen zubereitet. „Sie wog etwa 30 Kilo. Sie konnte nicht einmal ihren
Kopf aus dem Kissen heben. Aber mit meiner Hilfe ist sie aufgestanden“,
zitiert Graty eine Zellennachbarin der Journalistin.
Im Juni 2024 verschlechterte sich Wiktorijas Zustand weiter, sie wurde auf
einer Trage aus der Zelle gebracht und ins Krankenhaus eingeliefert. Nach
einigen Wochen wurde sie in deutlich besserem Zustand ins Gefängnis
zurückgebracht und in eine Einzelzelle verlegt.
Während der ganzen Zeit wussten weder Angehörige noch Kollegen etwas über
den Aufenthaltsort der Journalistin, sie hatte weder das Recht auf
Korrespondenz noch auf einen Anwalt. Wiktorija wurde von russischer Seite
weder angeklagt noch erhielt sie einen offiziellen Verfahrensstatus. Erst
im August durfte sie mit ihren Eltern telefonieren. Während des
vierminütigen Gesprächs wirkte sie nach Angaben ihres Vaters zurückhaltend,
aber fröhlich und sagte, sie werde im nächsten Monat ausgetauscht und nach
Hause gebracht.
## Immer noch offene Fragen
Am 8. September 2024 sei sie zusammen mit anderen Gefangenen, die für den
Austausch vorbereitet wurden, aus ihrer Zelle geholt worden, um eine
Videoaufnahme mit Aussagen zu machen, berichtete Wiktorijas ehemalige
Zellennachbarin deren Vater. Seitdem fehlte von Wiktorija jede Spur, auch
beim Austausch am 14. September tauchte sie nicht auf.
Im Oktober erhielt ihr Vater eine offizielle E-Mail von der russischen
Militärpolizei. Darin wurde lediglich mitgeteilt, dass seine Tochter am 19.
September verstorben sei, ohne nähere Angabe zur Todesursache oder den
Umständen des Todes.
Auch den Journalisten ist es bisher nicht gelungen, herauszufinden, was mit
Wiktorija am Tag vor dem Austausch passierte – ob sie auf dem Weg in die
Freiheit erstickte, eine Hirnblutung erlitt oder während des Transports
andere gesundheitliche Probleme auftraten.
Auch die ukrainischen Ermittler halten sich angesichts des Zustands der
Leiche bislang mit einer Einschätzung der Todesursache zurück. Wiktorijas
Vater Wolodymyr weigert sich, an den Tod seiner Tochter zu glauben und
wartet auf Ergebnisse weiterer gerichtsmedizinischer Untersuchungen.
## Druck auf russische Behörden
„Wir wissen nicht genau, wie sie getötet wurde. Vielleicht haben die Russen
deshalb ihre Leiche so lange zurückgehalten. Sicher ist aber, dass sie
alles getan haben, um die Todesursache zu vertuschen. Internationale
Beobachtermissionen müssen Druck auf die russischen Behörden ausüben und
Zugang zu den ukrainischen Soldaten und Zivilisten fordern, die von
Russland festgehalten werden“, ist die Journalistin Tetjana Bezruk, eine
ehemalige Kollegin von Wiktorija Roschtschyna, überzeugt.
Nach Angaben des ukrainischen Instituts für Masseninformation (IMI) wurden
seit 2014 112 Journalisten von Russland auf ukrainischem Territorium
festgenommen oder inhaftiert. 30 von ihnen befinden sich noch immer in
russischen Gefängnissen und Folterkammern.
Insgesamt könnte die Zahl ukrainischer Zivilisten in russischer
Gefangenschaft nach Angaben des ukrainischen Ombudsmanns Dmytro Lubinets
bei bis zu 16.000 Personen liegen. Nur von 1.800 Personen sei bekannt, wo
sie sich derzeit aufhielten. Bisher konnten nur 171 entführte ukrainische
Bürger im Rahmen von Austauschaktionen in ihre Heimat zurückkehren.
2 May 2025
## LINKS
[1] https://forbiddenstories.org/russia-detainees-investigation-viktoriia-roshc…
[2] https://graty.me/pyat-misyacziv-tomu-rosiya-zayavila-pro-zagibel-ukra&#x457…
## AUTOREN
Anastasia Magasowa
## TAGS
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Gefangenschaft.
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