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# taz.de -- Der Hausbesuch: Sich mit Liebe am Krieg rächen
> Aida Demirović-Krebs ist in Bosnien und Herzegowina aufgewachsen. Als der
> Krieg kam, floh ihre Familie nach Dortmund. Ihre alte Heimat besucht sie
> regelmäßig.
Bild: Die Wände erzählen von Heimat. Das ist Banja Luka, aber Dortmund ist ih…
Keinesfalls will sich Aida Demirović-Krebs in die gesellschaftliche
Abwärtsspirale hineinziehen lassen, die entsteht, wenn Menschen anfangen,
ihre Mitmenschen in „wir“ und „ihr“ zu trennen. Im Fanklub [1][der
bosnisch-herzegowinischen] Nationalmannschaft war sie trotzdem.
Draußen: Eine Wohngegend unweit der Dortmunder Innenstadt. Kleine
Mehrfamilienhäuser reihen sich aneinander. Es ist ruhig. Neben einer Bank
gegenüber einer Trinkhalle steht ein gelbes Postfahrrad mit breiten
Satteltaschen. Der Postbote sitzt auf der Bank und macht Mittagspause.
Drinnen: Etwa 90 Quadratmeter ist die Wohnung groß. Sie strahlt Wärme und
Lebendigkeit aus. Auf einem buntgemusterten Teppich steht ein großes graues
Sofa. Die Kissen darauf sind lila, genau wie die Vorhänge im Wohnzimmer. In
zwei Vitrinen gegenüber des Sofas stapeln sich Geschirrsets. „Das hier
nehmen wir oft am Wochenende, wenn die Familie zum Frühstück kommt“, sagt
Aida Demirović-Krebs und deutet auf ein Exemplar in grün-rotem
Blumendesign. Leises Plätschern erfüllt den Raum. Es kommt vom kleinen
Aquarium, das auf dem Couchtisch steht.
Banja Luka: Die Wände erzählen von Heimat. Über dem Esstisch hängt ein
altes Holzfenster, die Sprossen teilen es in sechs kleine Quadrate. Das
Glas wurde durch Spiegel ersetzt. „Solche Fenster sind typisch für alte
bosnische Häuser“, sagt Aida Demirović-Krebs. Zwei gerahmte Bilder zeigen
die Burg von Banja Luka, ihrer Heimatstadt im Norden von Bosnien und
Herzegowina. Auf einem anderen ist das Haus der Familie abgebildet, ein
altes Gebäude mit Fenstern wie dem über dem Esstisch. Ein paar Meter davor
fließt der Vbras. „In dem Fluss sind wir als Kinder immer geschwommen,
obwohl er eiskalt war.“
Die Großmutter: Um den Hals trägt Demirović-Krebs eine Kette mit einem
kleinen Rahmen, der eine feine Stickarbeit in Glas fasst: eine rote Blume
mit grünen Blättern. Keranje ist eine traditionelle bosnische Handarbeit,
Demirović-Krebs hat die Kette von zwei älteren bosnischen Frauen, die diese
Kultur noch pflegen. „Als meine Oma älter wurde, hat sie mich immer
gebeten, ihr dabei zu helfen, das Garn einzufädeln. Die Nadeln sind nämlich
so klein, dass sie sie kaum noch sehen konnte.“ Als Kind war
Demirović-Krebs bei ihrer Großmutter, wenn die Eltern gearbeitet haben.
Fast die gesamte Familie lebte in Banja Luka. Demirović-Krebs erzählt von
gemeinsamen Festen und dem Baden im heißen Thermalwasser im Erdgeschoss des
Hauses.
Krieg: 1992, da ist Demirović-Krebs zwölf Jahre alt, richtet ein serbischer
Mitschüler auf dem Schulhof eine Waffe auf sie und ihre Freundinnen. „Wer
von euch ist Moslem oder Katholik?“, fragt er. „Bis auf eine Freundin waren
wir alle muslimisch oder katholisch, haben aber gesagt, wir wären es
nicht.“ Der Krieg war in die Stadt gekommen. „Viele Leute wurden
vertrieben, verprügelt, mein Vater musste zur Zwangsarbeit.“ Ein Jahr zuvor
hatte der Krieg in Slowenien begonnen. Aida Demirović-Krebs war da gerade
mit der Familie bei einer Tante in Sarajevo. „Da haben wir noch alle
gesagt, das könnte uns in Bosnien und Herzegowina nie passieren, weil wir
hier mit so vielen Kulturen gemeinschaftlich leben.“ Aber ein Jahr später
waren Tod und Vertreibung auch in Banja Luka. „Zuerst haben wir gehofft,
dass es aufhört. Aber irgendwann wollten wir nicht mehr mit dieser
ständigen Angst leben.“
Dortmund: Kurz vor ihrem 14. Geburtstag kommt sie mit ihren Eltern und
ihrem Bruder nach Dortmund. In einem Brief schreibt sie in dieser Zeit an
eine Freundin: „Wir werden uns an dem Krieg rächen, mit unserer Liebe,
unserem Glück und unserer Freundschaft.“ In Dortmund bekommen ihre Eltern
eine Arbeitserlaubnis für drei Monate. Sechs Wochen vor Ablauf muss sie neu
beantragt werden. Sieben Jahre lang geht das so. Danach gibt es eine
Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre, erst nach neun Jahren einen
dauerhafter Aufenthaltstitel. Ihr Vater, Ingenieur für
Lebensmitteltechnologie, arbeitet in einer Bäckerei. Die Mutter, Juristin,
putzt in einer Anwaltskanzlei. „Ich habe nie große Zukunftspläne gemacht,
weil ich Angst hatte, sie werden zerstört. Bekannte von mir sind damals
kurz vor dem Abi abgeschoben worden.“
Das Studium: Weil sie für Gerechtigkeit kämpfen will, [2][studiert sie nach
dem Abitur zunächst Jura]. „Ich hatte aber den Eindruck, die meisten, die
ich dort kennenlernte, studieren das eher, um viel Geld zu verdienen. Das
war nichts für mich.“ Also bricht sie ab und wechselt zu Pädagogik,
arbeitet anschließend in der Jugendhilfe, aber auch für die Lokalzeitung,
das Radio und als Social-Media-Managerin einer Band. Heute ist sie, genau
wie ihr Bruder, bei der Stadt Dortmund angestellt.
Verbindungen: Im städtischen Kulturzentrum Dietrich-Keuning-Haus macht Aida
Demirović-Krebs die Öffentlichkeitsarbeit und organisiert Veranstaltungen.
Konzerte, Salsa-Abende, politische Vorträge, Ausstellungen, Basketball,
Theater. Das Ziel: ein Haus, in dem alle miteinander sein können. „Es
erfüllt mich, wenn ich sehe, dass ein 80-jähriger pottdeutscher Jürgen sich
bei uns im Ehrenamt genauso wohlfühlt wie [3][eine 15-jährige Romnja aus
Rumänien], die seit zehn Jahren im Tanzkurs ist.“ Es bräuchte mehr solcher
Geschichten, die verbinden, findet Aida Demirović-Krebs. „Ich habe diese
Geschichten ja erlebt. Selbst im Krieg habe ich gesehen, dass nicht die
einen nur gut und die anderen nur böse sind.“
Hoffnung: Demirović-Krebs möchte Zwischentöne finden, darin Gemeinsamkeiten
erkennen und dafür verschiedene Perspektiven beleuchten. „Nur das kann uns
weiterbringen.“ Mehrfach hat sie Austauschprogramme zwischen deutschen und
bosnischen Schüler*innen organisiert, ein Rom*nja- und
Sinti*zze-Kulturfestival mitgestaltet und Angebote für geflüchtete
Jugendliche entwickelt. Sie sei mit Geschichten vom Zusammenhalten
aufgewachsen, sagt sie. „Mein Uropa zum Beispiel war bosnischer Imam. Als
1941 kroatische Faschisten viele serbische Mitbürger*innen aus Banja
Luka vertreiben wollten, hat er sich mit der Unterzeichnung einer Petition
für ihren Schutz ausgesprochen.“
Familie: In den Nullerjahren war Demirović-Krebs Teil eines Fanklubs der
bosnisch-herzegowinischen Nationalmannschaften mit Mitgliedern auf der
ganzen Welt. „Ganz egal welche Sportart, wir sind überall hingefahren.“ Auf
einer Stadiontribüne in Ungarn – dieses Mal ist es ein Handballspiel –
lernte sie vor sechzehn Jahren Mario kennen. Einen Berliner, der mit Anfang
zwanzig in ein bosnisches Dorf gezogen war, um dort für eine deutsche Firma
zu arbeiten. Sie verlieben sich; sie führt dann eine Fernbeziehung mit dem
Deutschen in Bosnien. Heute leben sie zusammen in Dortmund, haben ein
gemeinsames Kind.
Heimat: Für ihr Kind ist Dortmund Heimat. Für sie selbst ist es Banja Luka.
Mehrmals im Jahr fährt die Familie dort hin. „Ich möchte, dass mein Kind
eine Verbindung zu meiner Heimat hat.“ Doch vor jeder Reise wägen sie ab,
ob es gerade sicher ist. Milorad Dodik, der Präsident des bosnisch-serbisch
verwalteten Landesteils, dessen Regierungssitz Banja Luka ist, droht immer
wieder damit, die Region von Bosnien abzuspalten. Die Angst vor einem
Krieg, sie ist immer noch da.
Zuhause: Dortmund ist für sie ein Zuhause geworden. Obwohl das amtliche
Prozedere lange verhindert hat, dass das so sein kann. Die Abstimmung im
Bundestag, bei der Friedrich Merz im Januar AfD-Stimmen in Kauf nahm, hat
Spuren bei ihr hinterlassen. [4][In einer Rede bezeichnete Merz die
Demonstrierenden anschließend als Spinner, legte nahe, sie hätten nicht
mehr alle Tassen im Schrank und sagte], die Zeit linker Politik sei vorbei.
„Als ich das Video gesehen und mir vorgestellt habe, dass das der nächste
Bundeskanzler wird, habe ich geweint“, sagt sie.
Weitermachen: Der gesellschaftliche Rechtsruck macht ihr Angst; sie lässt
sich davon aber nicht lähmen. Sie sucht weiter nach dem, was die Menschen
verbindet: Debatten, Jam-Sessions, Ausstellungen, Festivals. „Vielleicht
mache ich diese Arbeit auch, um dem 13-jährigen Mädchen gerecht zu werden,
das damals geschrieben hat, sie werde sich mit Liebe und Freundschaft am
Krieg rächen“, sagt sie mit feuchten Augen.
26 Jul 2025
## LINKS
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[4] /Protestaktion-gegen-CDU-Chef-Merz/!6074157
## AUTOREN
Marie Gogoll
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