# taz.de -- Jüdischer Boxer Harry Haft: Immer nur ums Überleben boxen | |
> Boxen gehörte nach 1945 zu den beliebtesten Sportarten in den | |
> Displaced-Persons-Camps. Eine der bemerkenswertesten Geschichten ist die | |
> des Boxers Hertzko Haft. | |
Bild: Hertzko Haft, Künstlername „Harry Haft“, auf einer undatierten Aufna… | |
Warum nicht? So könnte die Reaktion lauten, wenn man liest, dass nach dem | |
8. Mai 1945 in den DP-Camps, also den Lagern, in denen viele [1][displaced | |
persons] (abgekürzt: DPs) in Deutschland lebten, neben Fußball Boxen der | |
beliebteste Sport war. | |
Im Dezember 1946 fand in München ein bemerkenswertes Ereignis statt. 10.000 | |
Menschen fanden sich im Kronebau ein, damals ein provisorisches | |
Holzgebilde, um drei Tage ein Boxturnier anzuschauen. 120 jüdische Boxer | |
aus allen Besatzungszonen kämpften hier. | |
Auch [2][Hertzko Haft] aus dem polnischen Bełchatów kam nach München. Mit | |
15 Jahren hatten ihn die Nazis ins KZ geworfen: zunächst in ein | |
Arbeitslager, dann nach [3][Auschwitz]. Er musste einem SS-Offizier namens | |
Schneider dienen, und weil der sich über seinen Leibeigenen amüsieren | |
wollte, meldete er Haft zum [4][Schauboxen vor den Wachmannschaften] an, | |
obwohl der noch nie geboxt hatte. | |
In Hafts [5][Erinnerungen], die sein Sohn für ihn aufschrieb, ist der | |
Moment seines ersten Kampfes beschrieben: „Der erste Gegner wurde in den | |
Ring geführt. Hertzko war schockiert, als er ihn sah. Vor ihm stand ein | |
halbtoter, bis auf die Knochen abgemagerter Mensch. (…) Er erkannte sofort, | |
dass dieser Mann sich nicht freiwillig gemeldet hatte. Hertzko erinnerte | |
sich an Schneiders Worte, dass der Kampf erst dann zu Ende sei, wenn einer | |
der Boxer nicht weiterkämpfen könne. Jetzt verstand er, was das bedeutete.“ | |
## Der Krieg vorbei, die Brutalität nicht | |
Durch Boxen konnte Hertzko Haft Auschwitz und andere Lager überleben. Als | |
die SS ihn und seine Mithäftlinge auf einen Todesmarsch schickte, konnte er | |
flüchten. Die Brutalität ging weiter. Aus Angst, verraten zu werden, | |
erschoss er auf der Flucht eine Frau. Als er endlich unter dem Schutz der | |
US-Army stand, brachten GIs ihn dazu, ein illegales Bordell einzurichten – | |
bis die US-Behörden es schlossen. Auch der Schmuggel von Zigaretten war | |
lukrativ, flog aber bald auf. | |
Haft hörte von dem jüdischen Boxturnier in München. Er meldete sich an und | |
trainierte. Und er gewann im Schwergewicht. K. o. in der ersten Runde. | |
Nicht nur den Titel als Schwergewichtsmeister erhielt er, sondern auch eine | |
bronzene Apollo-Statue für den besten Boxer des Turniers. | |
1945 lebten in Deutschland etwa sieben Millionen DPs: geflohene Menschen, | |
entlassene Kriegsgefangene, Vertriebene, Ex-Zwangsarbeiter, Menschen, | |
KZ-Überlebende. Juden und Jüdinnen waren die kleinste Gruppe. Zunächst | |
waren es etwa 25.000, die Zahl wuchs auf etwa 200.000 an. Schon im November | |
1945 wollte eine Gruppe einen jüdischen Sportclub Makkabi gründen. | |
„Wir haben noch immer die Schrecken des Hungers, der Qualen, des Todes und | |
der Krematorien vor Augen“, heißt es in dem Aufruf. Daher wollten sie | |
„durch Sport die Seele zu neuer physischer und moralischer Kraft | |
entwickeln“. Die jüdischen Menschen in den DP-Camps waren vergleichsweise | |
jung. Nur zwei Prozent waren älter als 60 Jahre. | |
Aus Hertzko wird Harry | |
Im DP-Camp Zeilsheim in Frankfurt am Main fand im Juli 1946 die erste | |
Boxmeisterschaft statt, zu der vier jüdische Klubs gemeldet hatten. Ein | |
halbes Jahr später kam es in München zum großen Turnier. „Wir, der Rest des | |
europäischen Judentums, wollen aktiv an der Gründung der jüdischen | |
Selbstständigkeit mitarbeiten“, hatte es im Makkabi-Aufruf geheißen. | |
Doch Hertzko Haft hatte anderes im Sinn. Er wollte nach Amerika. Und weil | |
er gezwungenermaßen boxen gelernt hatte, wurde er dort Profiboxer. Zum | |
Überleben, wie immer in seinem Leben. Aber auch weil er hoffte, dass so | |
seine Jugendliebe Leah, von der ihn die Nazis getrennt hatten, seinen Namen | |
läse. (Er fand sie später tatsächlich, aber die beiden kamen nicht | |
zusammen.) Er nannte sich Harry Haft, phonetisch noch nah genug an Hertzko | |
und doch für das US-Profiboxen leichter zu vermarkten. | |
Haft gewann elfmal hintereinander, meist durch K. o., doch irgendwann | |
setzten Niederlagen ein. Im Juli 1949 trat er gegen. Rocky Marciano an. Der | |
spätere Weltmeister wurde damals schon von der Mafia geführt. Haft verlor, | |
es war sein allerletzter Boxkampf. Danach musste er sich anders durchs | |
Leben schlagen, er starb 2007. | |
Was denn sonst! So lautet vermutlich die etwas treffendere Reaktion, wenn | |
man hört, warum Boxen bei jüdischen DPs so populär war. | |
15 May 2025 | |
## LINKS | |
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[5] https://www.werkstatt-verlag.de/blog/die-karriere-unseres-buches-uber-hertz… | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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