# taz.de -- Städtepartnerschaft Berlin – Tel Aviv: Keine normale Beziehung | |
> Am Montag gehen Berlin und Tel Aviv eine Städtepartnerschaft ein. Das | |
> wirft in diesen Zeiten Fragen auf. Die Antworten fallen unterschiedlich | |
> aus. | |
Bild: Solidaritätszeichen am Rande des Festivals of Lights; nun folgt die offi… | |
Berlin taz | Partys, queere Szene, Start-ups, teure Mieten: Vieles | |
verbindet Berlin und Tel Aviv. Das wird nun offiziell – mit einer | |
Städtepartnerschaft. Am Montag kommt der Bürgermeister von Tel Aviv, Ron | |
Huldai, zur Unterzeichnung nach Berlin. „Ich freue mich außerordentlich“, | |
verkündete der Regierende Bürgermeister Kai Wegner. Jetzt könne man die | |
jahrelange kulturelle und wirtschaftliche Verbindung zwischen den | |
Metropolen vertiefen. | |
Im Abgeordnetenhaus beschlossen die Parteien die von CDU und SPD | |
vorgeschlagene Städtepartnerschaft einstimmig. Geplant sind laut Melanie | |
Kühnemann-Grunow (SPD) vor allem Begegnungen und Jugendaustausch. | |
„Bei aller Solidarität mit Israel sehe ich diese Partnerschaft mit einem | |
lachenden und einem weinenden Auge“, sagt Kühnemann-Grunow. Vor der | |
massiven Zerstörung in Gaza und dem Leid der Zivilbevölkerung könne man die | |
Augen nicht verschließen. „Aber Tel Aviv steht für etwas anderes“, sagt d… | |
stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Die | |
dortige Zivilgesellschaft protestiere gegen den Krieg, sei bunt, queer und | |
offen. Genau wie die in Berlin. | |
Tatsächlich ist Tel Aviv im israelischen Kontext durchaus liberal, erklärt | |
Gil Shohat, Leiter des Israel-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel | |
Aviv. In der Selbstwahrnehmung sei die Stadt eine „Insel des Säkularismus“. | |
Andererseits gebe es große soziale Ungleichheiten. Ron Huldai, seit 1998 | |
Bürgermeister von Tel Aviv, habe zwar viele Start-ups in die Stadt gelockt, | |
Tel Aviv aber auch an Investoren „ausverkauft“. Die Mieten seien extrem | |
hoch. „Das geht mit Verdrängungsprozessen einher“, sagt Shohat. Eine | |
weitere Ähnlichkeit zu der Stadt, die sich früher „arm, aber sexy“ nannte. | |
## Nummer 19 | |
Es ist [1][Berlins 19. Städtepartnerschaft]. Neben Istanbul, London und | |
Kiew zählen auch Warschau und Windhuk zumindest auf dem Papier zu Berlins | |
engen Freund:innen. Für Tel Aviv ist Berlin die sechste Partnerstadt in | |
Deutschland, insgesamt hat die Mittelmeermetropole 21 | |
Städtepartnerschaften. | |
Mehrere Berliner Bezirke haben bereits ein Abkommen mit israelischen | |
Städten und Gemeinden. Steglitz-Zehlendorf beispielsweise ist der | |
[2][israelischen Stadt Sderot] seit 1975 freundschaftlich verbunden. Das | |
gefällt heutzutage nicht allen: Im Herbst 2024 beschmierten Unbekannte die | |
Beschilderungstafel auf dem Sderotplatz in Zehlendorf. Auch Blumen, die | |
Teilnehmer einer Gedenkveranstaltung dort niedergelegt hatten, wurden | |
gestohlen. | |
Für das Land Berlin ist Tel Aviv die erste israelische Partnerin. Dabei | |
heißt die Hauptstadt Israels eigentlich Jerusalem. „Das freiheitliche Tel | |
Aviv passt aber viel besser zu uns“, findet Kühnemann-Grunow. | |
Durch die gemeinsame Geschichte mit Jaffa sei Tel Aviv auch „sinnbildlich | |
für die Situation zwischen jüdischen und palästinensischen | |
Staatsbürger:innen Israels“, sagt Gil Shohat. Die Bevölkerung von Tel | |
Aviv sei bis auf Jaffa größtenteils jüdisch. Wenig bekannt ist: Viele | |
Palästinenser, die 1948 aus Jaffa vertrieben wurden, flüchteten nach Gaza. | |
Shohat erklärt, die meisten Bewohner Jaffas hätten deshalb dort Verwandte. | |
Sie seien „sehr von der Katastrophe in Gaza betroffen“. Dies finde in den | |
israelischen Medien wenig Beachtung. | |
## Der 7. Oktober | |
Auch in Berlin hat der 7. Oktober Auswirkungen. „Seit dem Terrorangriff der | |
Hamas auf Israel sind antisemitische Vorfälle in Berlin gravierend | |
angestiegen“, sagt Julia Kopp, die Projektleiterin von [3][RIAS Berlin]. | |
Bei der Meldestelle für Antisemitismus seien allein in der ersten Hälfte | |
des Jahres 2024 insgesamt 1.383 antisemitische Vorfälle eingegangen. „Das | |
sind mehr als in jedem anderen Jahr seit Beginn der Dokumentation 2015.“ | |
Auch die antisemitischen Gewalttaten hätten zugenommen. | |
Bei 71,6 Prozent der Vorfälle handelt es sich laut Kopp um israelbezogenen | |
Antisemitismus. Dieser liege zum Beispiel vor, wenn dem Staat Israel das | |
Existenzrecht abgesprochen werde. Meistens sei israelbezogener | |
Antisemitismus aber nicht das einzige Motiv bei einem antisemitischen | |
Vorfall. | |
„Wir stellen fest, dass es immer wieder an Empathie und Solidarität | |
mangelt“, sagt Julia Kopp. Betroffene von Anfeindungen im öffentlichen Raum | |
erführen oft nur wenig Unterstützung durch umstehende Menschen. Deshalb | |
brauche es klare und glaubwürdige Positionierungen seitens Politik und | |
Stadtgesellschaft, sagt Julia Kopp. „Dazu gehört auch eine klare und | |
transparente Bestimmung von Antisemitismus.“ | |
Der Regierende Bürgermeister betonte in einem Statement zur | |
Städtepartnerschaft seine Verantwortung für den „Schutz jüdischen Lebens in | |
unserer Stadt“. Dass die Partnerschaft beim Kampf gegen Antisemitismus in | |
Berlin hilfreich sei, erwartet Melanie Kühnemann-Grunow nicht. | |
## Warum nicht Ramallah, Nablus oder Gaza-Stadt? | |
„Hier in Tel Aviv wird die geplante Städtepartnerschaft gar nicht | |
wahrgenommen“, sagt Gil Shohat. Vielmehr seien die aktuellen Gedenktage im | |
Land Thema. Dazu gehört der „Jom haScho’a“, also der Tag des Gedenkens an | |
die Opfer der Shoa. Und innenpolitisch sei die Stimmung sowieso aufgeheizt. | |
Der Tel Aviver Bürgermeister Ron Huldai, schon seit Jahren ein Kritiker | |
Netanjahus, stehe aufseiten der Protestbewegung, erklärt Shohat. „Er hält | |
sich aber zurück.“ | |
In Tel Aviv gehen regelmäßig Tausende für die Freilassung der Geiseln auf | |
die Straße. Auch der Streit um die Justizreform ist wieder voll | |
aufgeflammt. Zuletzt beschloss die israelische Regierung Ende März, dem | |
Parlament bei der Ernennung von Richter:innen mehr Macht einzuräumen. | |
Dies wird als ein weiterer Angriff auf die Gewaltenteilung im Land | |
kritisiert. | |
„Das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza wird in den Protesten meist | |
ausgelassen“, sagt Gil Shohat. Der Grund: die Einigkeit solle nicht | |
gefährdet werden. Doch das Entsetzen über die Situation in Gaza wachse. So | |
haben in den letzten Wochen 4.000 bis 5.000 Menschen mit Bildern von | |
getöteten Kindern aus Gaza gegen die israelischen Kriegsverbrechen | |
demonstriert. Dabei ging es auch um eine „politische Lösung der Situation | |
zwischen Israelis und Palästinensern“, sagt Shohat. | |
Die Protestbewegung sehe er mit Respekt, sagt Ferat Koçak (Linke) und | |
fordert, dass auch kritische Stimmen im Dialog zwischen den Städten ihren | |
Platz finden – „nicht nur die politischen Entscheidungsträger“. | |
Gleichzeitig kritisiert der Bundestagsabgeordnete den „brutalen Krieg im | |
Gazastreifen“, bei dem schon zehntausende Zivilist:innen getötet | |
wurden. Er betont zudem die „massive Ausweitung von Siedlungen und | |
Vertreibungen im Westjordanland“. An beiden sei auch das wirtschaftlich | |
starke und politisch wichtige Tel Aviv beteiligt. Eine Städtepartnerschaft | |
ohne öffentliche Distanzierung von der israelischen Kriegsführung hält | |
Koçak deshalb für „moralisch fragwürdig“. | |
„Ein echtes Signal für Frieden“ wäre laut dem Linken-Politiker eine | |
zusätzliche Partnerschaft mit einer palästinensischen Stadt – etwa | |
Ramallah, Nablus oder Gaza-Stadt. „In meinem Bezirk Neukölln lebt die | |
größte palästinensische Community außerhalb Palästinas“, sagt Koçak. Er | |
halte es für wichtig, dass ihre Perspektiven in diesem Diskurs Gehör | |
finden. Sollte der Senat keine Partnerschaft anstreben, werde er in der | |
Bezirksverordnetenversammlung Neukölln den Anstoß dafür geben. | |
Am Montag kommt erst einmal Ron Huldai nach Berlin. Bis Redaktionsschluss | |
waren noch keine Gegenproteste angemeldet. Gegen Nachmittag werden das Tel | |
Aviver Oberhaupt und der Regierende Kai Wegner die Städtepartnerschaft im | |
Roten Rathaus unterzeichnen. | |
5 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlin.de/rbmskzl/politik/senatskanzlei/internationales/staedte… | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Sderot | |
[3] https://report-antisemitism.de/rias-berlin/ | |
## AUTOREN | |
Klarissa Krause | |
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