# taz.de -- Sportlicher Rundumschlag: Domestizierter Glam | |
> Nicht mehr nur im Spitzensport, sondern auch in den Niederungen der | |
> Randsportarten ist Sport zunehmend von Reichen für Reiche. | |
Bild: In den Niederlanden sehr populär: Korfball | |
Leider lässt sich das folgende Zitat nicht mehr ganz klären. Es lautet | |
ungefähr: Die Kunst des späten 21. Jahrhunderts wird eine Kunst von Reichen | |
für Reiche sein. Das gilt viel mehr noch für den Sport, und vielleicht ist | |
der Vollzug dieser Binse schon weit früher zu melden; ungefähr zeitgleich | |
mit dem Klimawandel, also ungefähr jetzt. Und der Satz gilt längst nicht | |
mehr nur für den Spitzensport, und da für die Sportarten, die das meiste | |
Geld generieren – also für Fußball, Tennis, Basketball, American Football | |
usw. –, sondern das Prinzip sickert von oben in einer pervertierten | |
Trickle-Down-Bewegung bis in die Niederungen der Randsportarten hinein. | |
Es ist ja schon merkwürdig, dass sich ehemalige Fußballprofis nach ihrer | |
Karriere selbst einen Fußballverein kaufen könnten, den sie fortan | |
mitführen – wie beispielsweise [1][der Ex-Bremer Fabian Ernst beim Næstved | |
BK]. Hier wird der goldene Traum vom Tellerwäscher, selbst einmal den Laden | |
zu übernehmen, Realität: Ehemalige Angestellte eines Vereins haben dort so | |
viel verdient, dass sie irgendwann über dem Verein selbst stehen. Noch aber | |
schaffen es eher Schauspieler in die News, die mit walisischen | |
Kleinvereinen dreimal hintereinander den Aufstieg feiern ([2][AFC | |
Wrexham]); und noch sind Dickschiffe wie der FC Bayern in jedem Sinn too | |
big to fail; aber die Zeit wird kommen. Das Kapital wartet schon. | |
Das alles geht mit einer weiteren Eventisierung des Sports einher. Neulich | |
habe ich in die Liveübertragung eines Eishockey-Matches reingeschaltet und | |
belustigt die eingeblendeten Mannschaftsaufstellungen mitverfolgt: Der | |
Kommentator musste bis zu 40 Namen pro Mannschaft verlesen, und er verlas | |
sie alle. Nun wird das für Eishockey-Fans längst gang und gäbe sein, so wie | |
für Darts-Fans die Einlaufmusik der Werfer; ein Phänomen ist es dennoch. | |
Niemand bleibt mehr in Deckung in einem Sport, der telegen ist; | |
nicht-telegene Sportarten sterben aus oder fristen wie Sportschießen eine | |
Randexistenz, die politisch dubios werden kann. | |
Die Konkurrenz ist hart: Denn Millenials pushen derweil neue | |
Trendsportarten, die socialmedia-tauglich sind: Tennis auf zu kleinen | |
Feldern; Surfbretter, auf denen man stehend paddelt; Squash, das auch | |
Tennis sein will und so weiter. Auf den Retrotrend wartet man noch, aber | |
auch er könnte bald kommen: Warum sollten nicht auch Sportarten wie Korf- | |
oder Faustball wieder ins Rampenlicht, instafähig sind sie – und zudem, | |
nimmt man nur Korfball, auch irgendwie woke. | |
## Disziplin, Struktur, Selbstausbeutung | |
Das alles hat natürlich auch Effekte bis in die Körper der Sportlerinnen | |
und Sportler hinein. Dass Sportler Spießer sind, ist ja nicht nur eine | |
weitere Binse. Sie fußt auf der Tatsache, dass Erfolg im Sport des | |
Neoliberalismus auf Disziplin, Struktur, Selbstausbeutung beruht: Wie man | |
in der [3][hr-Dokumentation über die blutjunge Tischtennisspielerin | |
Josephina Neumann], mittlerweile 15 Jahre alt, sehen und hören kann, | |
besteht das Leben eines Profis auch einer kleineren Sportart aus | |
Acht-Stunden-Tagen von klein auf. Acht Stunden Training, was nicht nur | |
Technik und Taktik, sondern auch mentales Training, psychologische | |
Schulungen und so fort einschließt. | |
Weitere Stichworte: Internate, Sponsoring, Akademien, Lehrgänge, | |
Werbeverträge, häufige Vereinswechsel immer Richtung oben, häufige Reisen | |
zu Turnieren und Wettkämpfen. Das alles kostet natürlich Geld, und das | |
wächst schließlich nicht auf Bäumen. Und es ist durchaus nicht so, dass | |
Sportvereine alle Kosten übernehmen würden, im Gegenteil: Mir persönlich | |
sind Eltern bekannt, die für den Traum vom Fußballprofitum ihres | |
talentierten Sohnes bei Austria Wien tief in die eigene Tasche greifen | |
müssen. Für Menschen aus sogenannten einfacheren Verhältnissen, für die | |
dieses Modell lange Zeit eine Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs | |
darstellte, wird es immer schwieriger, da noch mithalten zu können. Viele | |
bleiben auf der Strecke; noch viel mehr schaffen es gar nicht an die | |
Startblöcke. | |
Es muss also viel investiert werden, Zeit und Geld. Sponsoren suchen, das | |
wird irgendwann nicht mehr reichen. Fallen staatliche Subventionen weg, | |
sieht es düster aus für Land und Leute, also auch für die Sportnation | |
Deutschland. | |
Zurück zum Spießigen: Alternative Lebensmodelle sind da per se unmöglich. | |
Sportler gehen früh schlafen. Sie bleiben in ihrer Blase – oder, in | |
Sportarten mit mehr Scheinwerferlicht, holen sich in der Außenwelt etwas | |
Glam ab, der dann, so möglich, wieder domestiziert wird. In den | |
Schattenbereichen kommt es zu Übertretungen, die justiziabel werden können. | |
Kurzum: Erquicklich ist das alles nicht. Profisport muss man wollen. Aber | |
das reicht inzwischen nicht mehr: Man muss es wollen können, das ist wohl | |
die Formel nicht der Zukunft, denn die hat längst begonnen. Es ist die | |
Formel der Gegenwart. | |
4 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.deichstube.de/news/werder-bremen-fabian-ernst-verkauft-club-nae… | |
[2] https://www.sport1.de/news/internationaler-fussball/2025/05/das-nachste-kap… | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=NiVmNYqXM4s | |
## AUTOREN | |
René Hamann | |
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