# taz.de -- Ex-Kanzler Olaf Scholz: Er wird als Zwischenfigur in die Geschichte… | |
> Olaf Scholz war Kanzler ohne Projekt. In einer Zeit entscheidender Fragen | |
> hatte der SPD-Politiker meist nur ein Achselzucken parat. | |
Bild: Da war er noch Kanzler: Olaf Scholz, nachdem Friedrich Merz den ersten Wa… | |
Wer war noch mal [1][Olaf Scholz]? Geschichte ist grausam, und | |
Geschichtsschreibung ist es auch, und es wird in vielem unerklärlich | |
bleiben, wie a) dieser Mann ohne Eigenschaften und auch ohne eigentlichen | |
Körper entgegen aller arithmetischen Logik Bundeskanzler werden konnte und | |
b) warum er die Chance nicht nutzte, als sie sich ihm bot. | |
Wie also kann man seinen eigenen Traum verschlafen? Olaf Scholz wird als | |
Zwischenfigur in die Geschichte eingehen, eingequetscht in die | |
Zeitenwenden. Und er wird sich selbst, denke ich, genauso enttäuscht haben | |
wie die, die ihn gewählt hatten. Er war ein [2][Kanzler ohne Projekt], der | |
in einer Zeit entscheidender Fragen, die Projekte so dringend gebraucht | |
hätte, um Demokratie und Gesellschaft mit einem Energie- und Visionsschub | |
zu versorgen, meist nur ein Achselzucken parat hatte. | |
Wie kann man, fragte ich mich bei manchen Auftritten, arrogant sein und | |
unsicher zugleich? Scholz havarierte dieses Land durch Post-Corona, | |
[3][Ukrainekrieg], 7. Oktober, Gaza und [4][Trump], ohne dass wirklich klar | |
wurde, wie sich seine Apathie zur Hysterie der Historie verhielt. Seine | |
bevorzugte grammatikalische Konstruktion war das Sedativum. Diskurs war für | |
ihn wie Daumenkino – etwas, das man macht, obwohl es keinen Spaß und auch | |
keinen Sinn macht. Geblieben ist ein Land, das demokratisch unterzuckert | |
ist. | |
Es war schwer zu sagen, was das Sozialdemokratische an Olaf Scholz war, | |
außer dass er kein Grüner war, keiner von der FDP oder von der CDU und | |
sicher auch kein Linker. Er versuchte, die Abwesenheit von Haltung zu einer | |
Haltung zu machen – was gründlich schiefging, weil irgendeine Grundlage für | |
Entscheidungen schon vorhanden sein muss, selbst wenn man Entscheidungen | |
für überbewertet hält. | |
## Wie Angela Merkel – nur schlechter | |
Wie also kann man Unentschiedenheit als Prinzipientreue verkaufen? Schon | |
[5][Angela Merkel], Kind des neoliberalen Zeitalters, ließ die Dinge so | |
lange laufen, bis sich irgendeine Art von Evidenz einstellte, die sie als | |
ihre eigene verkaufen konnte. Ihr Credo war, übernommen von Margaret | |
Thatcher: There is no alternative. Wie soll man dann auch entscheiden? | |
Manchmal kamen Katastrophen dazu und halfen ihr ein wenig auf die Sprünge – | |
Fukushima etwa oder Krisen wie der Syrienkrieg und die Geflüchteten –, aber | |
im postpolitischen Modus gab sie den demokratischen Gestaltungsauftrag an | |
Regierende weitgehend auf. | |
Scholz schloss sich da recht nahtlos an. Er schien schon Schwierigkeiten | |
genug zu haben, die Machtverhältnisse innerhalb seines Kabinetts und seiner | |
Koalition zu klären – so lange ließ er etwa die Debatte um das | |
Heizungsgesetz ungeschützt laufen. Um wie viel schwerer wäre es ihm | |
gefallen, die Machtverhältnisse im Land zu wirklichen Veränderungen zu | |
nutzen, wenn er es nur gewollt hätte. Aber es schien fast, als ob er | |
wusste, wie aussichtslos dieses Unterfangen wäre. | |
Er wollte lieber kein Held sein und es nicht mal versuchen – als ein | |
tragischer Held, der alles riskiert und verloren hat. Die Wirklichkeit, die | |
Scholz umgab, schien deshalb immer ein wenig verschwommen, sein Verhältnis | |
zur Welt etwas abgefedert, höflich gesagt: distanziert. Man hätte meinen | |
können, es interessiere ihn alles nicht sonderlich, wenn man nicht immer | |
wieder gehört hätte, dass alles ganz anders sei. | |
## Wie Scholz privat ist, spielt keine Rolle | |
[6][Der wirkliche Scholz also]. Auf den alle so gar nicht warteten, weil | |
sie nicht wirklich gespannt waren, etwas über diesen Mann zu erfahren, den | |
sie sich nie gewünscht hatten. Man hört das ja oft, dass Politiker oder | |
Politikerinnen „eigentlich ganz anders“ seien, wenn man sie privat | |
kennenlerne. Aber auch das ist ein demokratisches Missverständnis. Politik | |
soll ja öffentlich funktionieren, nicht privat. | |
Eine tiefe Leidenschaftslosigkeit bestimmte das Verhältnis der Wählerinnen | |
und Wähler zum Bundeskanzler – und Scholz wusste das, er spürte das, glaube | |
ich. In gewisser Weise schien es ihn auch nicht zu stören. Sein Politikstil | |
ist der des schlauen Technokraten, der hinter den Kulissen Dinge tut, von | |
denen er sicher ist, dass sie besser funktionieren, als es all die | |
verstehen, die laut reden und hadern. Lasst mich mal machen. Sein wohl | |
merkwürdigster Satz war: „Wer Führung bestellt, der kriegt sie auch.“ | |
Ich habe oft den Eindruck, dass Menschen immer genau das betonen, was sie | |
nicht sind oder nicht können. Menschen, die besonders gern in | |
Excel-Tabellen arbeiten, sind oft solche, die besonders wirr im Kopf sind. | |
Menschen, die von sich sagen, dass sie besonders gern im Team arbeiten und | |
alle Perspektiven zu Wort kommen lassen wollen, sind oft sture | |
Einzelgänger, die am liebsten haben, dass alles so läuft, wie sie es | |
wollen. | |
Und nun also Scholz, der die Weltgeschichte zwischen zwei Aktendeckel | |
packte, weil sie so besser handhabbar ist. Man nannte das Pragmatismus, | |
weil das ein Wort ist, das die Ratlosigkeit überdeckt, dass jenseits von | |
Führung oder Visionen eben ein Vakuum der Ideen klafft, das natürlich auch | |
ein Kanzler nicht allein füllen kann. Aber er könnte es ja wenigstens sehen | |
und ansprechen. | |
## Nichtaufstand gegen nichts | |
Das [7][verbindet Scholz mit Friedrich Merz], der seine Führungsschwäche – | |
wie man sieht – oder auch seine Charakterschwäche gern als Pragmatismus | |
verkauft. Aber auch seine Manöver, etwa die Sache mit dem Sondervermögen, | |
sind letztlich ein Zeichen für eine Entpolitisierung der Politik, wie sie | |
uns seit nunmehr Jahrzehnten begleitet. Es regieren Menschen, die eher | |
reagieren. Es herrscht die Scheu davor, nach vorn zu schauen. | |
Olaf Scholz war kein Kanzler für eine Zwischenzeit. Dazu war er zu schmal. | |
Es war Pech, dass die Geschichte mit voller Macht über das Land schwappte. | |
Scholz hat alle mit runtergezogen; was gestern geschehen ist, das | |
demokratische Systemversagen, der rätselhafte Nichtaufstand gegen nichts, | |
ist auch sein Erbe. | |
6 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
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