# taz.de -- Verkehrswende in der Großstadt: Diese eine Insel wird niemals unte… | |
> Als Radfahrerin hat man es nicht leicht. Von allen Seiten wird man | |
> angehupt und angepöbelt. Wie geht das, die Wut in etwas Produktives | |
> umwandeln? | |
Bild: Kann einem ganz schön auf die Speiche gehen: Radverkehrskontrolle durch … | |
Wie immer fahre ich hinter dem Park schräg rechts auf den Bürgersteig. Aber | |
aus hundert Meter Entfernung leuchten mich zwei neongelbe Jacken an. | |
Reflexartig ziehe ich direkt wieder runter auf die Straße. Mit Fahrradhelm | |
und Block schreiben die Polizisten [1][Radfahrer:innen] auf, die es | |
wagen, über den Kiesweg zu fahren. | |
Der Ort dieser Verkehrskontrolle ist, um es nett auszudrücken, lächerlich. | |
Neben den Steinplatten für Fußgänger:innen verläuft ein breiter | |
Rollsplittstreifen, auf dem mindestens drei Räder nebeneinander fahren | |
können, ohne Spaziergänger:innen zu belästigen. Außerdem liegt die | |
Straße hinter einem Luxushotel, hier läuft also ohnehin niemand lang. Hier | |
wird mit abgedunkelten Scheiben vorgefahren. | |
Auf Höhe der Verkehrskontrolle halte ich an der Ampel. Ich werfe den beiden | |
Frauen, deren Daten gerade aufgeschrieben werden, einen solidarischen Blick | |
zu. Mir wird heiß unter der Lederjacke, obwohl mein Name hier gerade nicht | |
aufgenommen wird. Ich überlege, ob ich etwas rüberpöbeln soll, als die eine | |
Frau ihr Rad neben mich schiebt. Über ihr Gesicht zieht sich ein Grinsen, | |
als hätte sie gerade ein Eis geschenkt bekommen. Die geföhnten Haare | |
schmiegen sich um ihr Gesicht, ihr Teint strahlt gesund. „25 Euro“, sagt | |
sie mit sanfter Stimme und lächelt weiter. „25 Euro.“ Sie gleitet davon, | |
und wenn da ein Funken Ärger war, dann ist er nach drei Tritten in die | |
Pedale vergessen, da bin ich mir sicher. | |
Ich wäre gerne ein bisschen mehr wie sie. Als ich neulich einen | |
[2][Strafzettel] verpasst bekommen habe, weil ich durch eine Seitenstraße | |
gurkend die Orientierung verloren hatte und kurz auf mein Handy schaute, | |
regte ich mich bei jeder Person in meinem Umfeld mindestens einmal über | |
diese gnaaaaadenlose Ungerechtigkeit auf. Der Ärger hat mich locker zwei | |
Stunden und den Energiegehalt von drei Snickers gekostet – und der | |
Strafzettel ist noch nicht mal in meinem Briefkasten angekommen. | |
Und die Frau? Hat die Situation einfach weggelächelt. Sollte ich das nicht | |
auch so machen? | |
## Verkehrswende erzwingen | |
Ich ahne, das wird schwer, als ich mich während der Weiterfahrt mehrfach | |
beim lauten Schnauben und Kopfschütteln erwische. Könnte ich meine negative | |
Energie stattdessen in etwas Produktives investieren? | |
Es gibt da diese Mittelinsel, handtuchbreit liegt sie zwischen einer | |
sechsspurigen, stark befahrenen Straße. Jedes Mal hoffe ich, dass meine | |
Bremsen nicht versagen, wenn ich hier halten muss. Seit Monaten will ich | |
mich dafür einsetzen, dass diese Stelle sicherer wird. Durch einen | |
Zebrastreifen, eine Ampel oder sogar eine Fahrradbrücke. (Jaja, ich weiß, | |
Berlin ist nicht Kopenhagen, aber ich träume so gerne.) Wenigstens ein | |
paar Poller? | |
Also nehme ich meinen Ärger über all die Ungerechtigkeiten, denen | |
Fahrradfahrer:innen ausgesetzt sind, während sie sich durch den | |
Gegenwind quälen, angehupt und aufgeschrieben werden, und beginne mit dem | |
Projekt sichere Mittelinsel. Ich fotografiere, wie eine Mutter mit ihrem | |
[3][Lastenrad] auch diagonal kaum auf die Insel passt. Oder wie sich die | |
Radfahrer:innen morgens zur Rushhour in der Mitte der Straße fast | |
übereinanderstapeln. Ich schreibe den Abgeordneten meines Bezirks, ob wir | |
da nicht etwas machen können, für mehr Sicherheit. Eine kleine Revolution | |
starten? Wenigstens eine Petition? | |
Hoffentlich treffe ich die Grinsefrau bald wieder auf dem Weg zur Arbeit, | |
dann lache ich zurück. Sie hat mich motiviert, nur anders. | |
4 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Sophie Fichtner | |
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