# taz.de -- Blockade in Gaza: Bittere Hungersnot mit Ansage | |
> Seit Anfang März gelangen keine Hilfen mehr nach Gaza. Die Preise für | |
> Lebensmittel steigen. Ein Ende der israelischen Blockade ist nicht in | |
> Sicht. | |
Bild: Khan Younis im Gazastreifen am 29. April: Palästinenser:innen warten auf… | |
Gaza/Jerusalem taz | Mit seiner Familie lebt Abed Al Rahman in Beit Lahia, | |
ganz im Norden des Gazastreifens. „Wir rationieren unsere Mahlzeiten, um | |
ein paar Tage länger durchzuhalten“, sagt der 22-Jährige. „Aber was soll | |
danach passieren?“ Notküchen und Bäckereien schließen, Lebensmittellager | |
sind geleert, die Preise für Nahrung steigen rasant. Internationale | |
Hilfsorganisationen warnen: Nach zwei Monaten Blockade durch Israel droht | |
den rund zwei Millionen Bewohnern Gazas eine menschengemachte Hungersnot. | |
„Wir geben den Kindern ein halbes Brot morgens und ein halbes abends“, sagt | |
Abed Al Rahman. „Den Rest verstecken wir, auch wenn sie hungrig sind. Weil | |
wir wissen, dass nicht mehr viel da ist.“ | |
Die UN [1][warnen vor der schlimmsten humanitären Katastrophe im | |
Gazastreifen seit Kriegsbeginn]. Das Welternährungsprogramm WFP teilte vor | |
einer Woche mit, seine letzten Lebensmittelvorräte an Feldküchen | |
ausgeliefert zu haben. 25 vom WFP unterstützte Bäckereien in dem Gebiet | |
hatten bereits Ende März geschlossen, nachdem Mehl und Brennstoff | |
ausgegangen waren. Notküchen seien für viele die letzte Möglichkeit, ihre | |
Familien zu ernähren. Ihnen werde voraussichtlich binnen weniger Tage das | |
letzte Essen ausgehen, hieß es. Zuletzt habe die Lebensmittelhilfe ohnehin | |
nur noch etwa die Hälfte der Bevölkerung erreicht und nur 25 Prozent des | |
täglichen Bedarfes decken können. | |
Die Hilfsorganisation Medico International sagte auf Anfrage, die Küche | |
einer Partnerorganisation südlich von Deir El-Balah sei vor einer Woche | |
durch das WFP informiert worden, dass es keine Vorräte mehr gebe. Auch | |
lokale Landwirte und andere Hilfsorganisationen könnten nichts mehr | |
liefern. „Sie bereiten aktuell noch eine halbe Portion pro Person und Tag | |
zu“, sagt Chris Whitman von Medico International. „Bald werden sie ganz | |
schließen müssen.“ | |
## 25 Kilogramm Mehl für mindestens 150 Euro | |
Die Preise für das wenige noch auf Märkten verfügbare Essen schnellen seit | |
Anfang März in die Höhe. Seither werden keine Hilfen mehr in das Gebiet | |
gelassen, keine Nahrungsmittel, kein Wasser, kein Treibstoff, keine | |
Medikamente. 25 Kilogramm Mehl kosten laut mehreren Quellen aus Gaza | |
mittlerweile umgerechnet etwa 150 bis 200 Euro, ein Kilo Zwiebeln mehr als | |
10 Euro, zehn bis zwanzig Mal so viel wie vor dem Krieg. | |
Für viele Familien sind Konserven die letzte Nahrungsmittelquelle. Aus | |
Mangel an Brennstoff werden sie häufig auf Holz- oder Plastikfeuern | |
gekocht. Den UN zufolge seien im März mehr als 3.700 Fälle von schwerer | |
Unterernährung bei Kindern festgestellt worden, ein Anstieg um 80 Prozent | |
seit Februar. | |
Israels Armee erklärt währenddessen weitere Gebiete zu Kampf- und | |
Sperrzonen und drängt immer mehr Menschen in dem nach anderthalb Jahren | |
Krieg weitgehend zerstörten Küstenstreifen auf immer engerem Raum zusammen. | |
Viele mussten die Vorräte, die sie während der zweimonatigen Waffenruhe | |
zwischen Mitte Januar und Mitte März angelegt hatten, zurücklassen. | |
Die Journalistin Um Abud aus Gaza-Stadt berichtet: „Krankenhäuser sind | |
zerstört, man bekommt keine Medizin und keine Behandlungen mehr, es gibt | |
kein sauberes Wasser und keinen Strom.“ Müll stapele sich überall. „Gaza | |
ist ein von Krankheiten geplagter Ort geworden, an dem die Menschen langsam | |
sterben.“ Den UN zufolge breiten sich Hautkrankheiten und durch | |
verunreinigtes Wasser übertragene Infektionen aus. Die israelischen | |
Bombardierungen gehen indes weiter. Am Mittwoch wurden bei Angriffen | |
mindestens 35 Menschen getötet, darunter Krankenhauspersonal zufolge auch | |
Kinder. | |
## Die Katastrophe könnte abgewendet werden | |
Einen „Angriff auf die Würde der Menschen“, der „kaum noch etwas mit Kri… | |
zu tun hat“, nannte Jonathan Whittall, Chef des UN-Hilfswerks OCHA in den | |
palästinensischen Gebieten, das israelische Vorgehen. Laut UN hätten fast | |
alle von 43 internationalen und palästinensischen Hilfsorganisationen seit | |
der Wiederaufnahme der Kämpfe angegeben, ihre Arbeit eingeschränkt oder | |
ganz eingestellt zu haben. | |
Die Katastrophe könnte abgewendet werden: Vor den Grenzübergängen zum | |
Gazastreifen lagern laut WFP 116.000 Tonnen Lebensmittel, genug, um eine | |
Million Menschen für bis zu vier Monate zu versorgen. Israels | |
Verteidigungsminister Israel Katz hat der [2][Wiederaufnahme der | |
Hilfslieferungen jedoch jüngst eine Absage erteilt]: „Es wird keine | |
humanitäre Hilfe nach Gaza kommen.“ | |
Diese Hilfen zu blockieren, sei eines der wichtigsten Druckmittel gegen die | |
Hamas, die Israel vorwirft, die Hilfen zu missbrauchen. Das israelische | |
Außenministerium erklärte zudem, es gebe keinen Mangel an Hilfsgütern in | |
Gaza. Stattdessen habe die Hamas einen Großteil der während der Waffenruhe | |
eingeführten Hilfsgüter unter ihre Kontrolle gebracht. Beweise dafür hat | |
das Ministerium nicht vorgelegt. | |
Die radikalislamische Hamas, die Israel am 7. Oktober 2023 überfiel und | |
rund 1.200 Menschen tötete, hält noch immer 59 Geiseln fest. 24 von ihnen | |
könnten nach israelischen Angaben noch am Leben sein. Bei israelischen | |
Angriffen wurden seit Kriegsbeginn laut dem von der Hamas geleiteten | |
Gesundheitsministerium mehr als 52.000 Menschen getötet, der Großteil davon | |
Frauen und Kinder. | |
## Israels angeschlagene Beziehung zur UN | |
Seit Montag befasst sich der [3][Internationale Gerichtshof (IGH)] mit | |
Israels Verpflichtung, als Besatzungsmacht humanitäre Hilfe nach Gaza zu | |
lassen. UN-Untergeneralsekretärin Elinor Hammarskjöld nannte die totale | |
Blockade des Küstenstreifens einen Verstoß gegen internationales Recht. | |
„Israel ist verpflichtet, für die Bevölkerung zu sorgen und Hilfe zu | |
ermöglichen“, sagte sie. Israel selbst nimmt an den Anhörungen von 40 | |
Staaten und vier internationalen Organisationen nicht teil. | |
Wie angeschlagen Israels Beziehungen zum Gericht und dem UN-System sind, | |
zeigte sich in der Rede von Außenminister Gideon Sa’ar. Für ihn sei die | |
Anhörung Teil einer „systematischen Verfolgung und Delegitimierung | |
Israels“. Anstelle seines Landes sollten die UN und ihr Palästinahilfswerk | |
Unrwa vor Gericht stehen. | |
Bis zu einer Entscheidung des IGH kann es Monate dauern. Experten sehen | |
wegen der totalen Blockade des Gazastreifens eine hohe Wahrscheinlichkeit, | |
dass das UN-Gericht einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht | |
feststellen könnte. Die Entscheidung ist nicht bindend, könnte aber | |
internationalen Druck aufbauen und Israel international weiter isolieren. | |
3 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Felix Wellisch | |
Malak Tantesh | |
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