# taz.de -- Kürzungen im Berliner Bildungsbereich: „Eine Blutgrätsche im St… | |
> Der Senat hat der Urania für dieses Jahr die Förderung gestrichen. | |
> Geschäftsführerin Johanna Sprondel über die Kürzungen und Auswirkungen | |
> für ihr Haus. | |
Bild: Gut besucht: Humboldt-Saal der Urania vor wenigen Wochen | |
taz: Frau Sprondel, der Senat hat der Urania 950.000 Euro gestrichen. Wie | |
haben Sie davon erfahren? | |
Johanna Sprondel: Die Senatsverwaltung für Bildung hat zunächst gar nicht | |
mit uns kommuniziert. Wir haben trotzdem von diesen Kürzungen erfahren und | |
dann sofort aufgeschrieben, warum das ein Unding ist. Wir haben dargelegt, | |
was wir mit dieser Zuwendung machen, und das dem Bildungsausschuss | |
vorgelegt. Die wussten zum Teil noch gar nicht, wovon wir reden, weil das | |
alles so schnell gegangen war. | |
taz: Was machen Sie denn mit dem Geld? | |
Sprondel: Ein Programm, das Bildung als Demokratieförderung versteht. Und | |
davon viel. 2022 hat die Urania nur 75 Veranstaltungen mit durchschnittlich | |
22 Besuchern durchgeführt. Seit ich im April 2023 Direktorin geworden bin, | |
haben wir die Zahl der Veranstaltungen und der Besucher deutlich | |
gesteigert: Im vergangenen Jahr fanden 156 Veranstaltungen statt, mit einer | |
durchschnittlichen Besucherzahl von 127 Personen. Damit haben wir die | |
Zuschauerzahlen im Vergleich zu 2022 mehr als verzehnfacht. Und heute | |
kommen Leute aus der ganzen Stadt zu uns, sogar aus Marzahn-Hellersdorf. | |
Früher war das Publikum größtenteils aus den Innenstadtbezirken. | |
taz: Was bedeutet die Streichung der Förderung für Ihre Arbeit? | |
Sprondel: Solche Angebote sind teuer, und ohne Subventionen können wir sie | |
schlicht nicht anbieten. Wir sind im laufenden Jahr, deswegen kann man sich | |
jetzt auch nicht einfach mal bei anderen Stiftungen bewerben oder nach | |
Firmenmitgliedschaften suchen. Für 2025 sind die Mittel vergeben. So | |
kurzfristig tut sich da nichts. | |
taz: Gab es eine Begründung dafür, dass gerade bei Ihnen der komplette | |
Zuschuss gestrichen wurde? | |
Sprondel: Wenn man sich [1][die Liste der Kürzungen] ansieht, bekommen wir | |
schon einen relativ hohen Betrag. Das heißt, da kann man dann gleich viel | |
auf einmal sparen. Aber begründet worden ist es uns gegenüber nicht, außer | |
damit, dass eben gespart werden muss. | |
taz: Wundert Sie das? | |
Sprondel: Es würde mich eher überraschen, wenn es eine inhaltliche | |
Begründung gäbe, weil das Haus im Vergleich zu den letzten zehn Jahren | |
deutlich besser dasteht, [2][das Image sehr positiv ist], und wir zeigen, | |
dass wir dieses Geld konstruktiv und sinnvoll einsetzen. Die Kürzungen sind | |
auch deswegen unverständlich, weil der Bundestag und das Land Berlin | |
gleichzeitig die Sanierung unseres Hauses mit mehr als 80 Millionen Euro | |
unterstützen wollen. Für mich ist die Kürzung umso mehr eine Blutgrätsche | |
im Strafraum. | |
taz: Was bedeutet das für das Programm der Urania? | |
Sprondel: Dass jetzt alles sehr zusammenschrumpft. Viel von dem Programm, | |
das wir jetzt anbieten, kommt nur durch Unterstützung zustande. Weil wir | |
inzwischen so etabliert sind, fragen zum Beispiel Verlage: Wie können wir | |
helfen? Und übernehmen Gagen, damit in unseren Räumen etwas stattfinden | |
kann. Und wir bekommen den Eintritt. | |
taz: Welche anderen Einnahmequellen hat die Urania? | |
Sprondel: Ich kann die Räume, die ich sonst fürs Programm nutzen würde, | |
auch vermieten. Dann nehme ich mehr ein. Die Räume der Urania sind | |
attraktiv, wir liegen günstig und haben einen renommierten Namen. | |
taz: Also braucht es das Geld vom Senat gar nicht unbedingt? | |
Sprondel: Ohne Subventionen kann ich kein Programm mehr für acht oder für | |
fünf oder drei Euro anbieten. Und kein Programm mehr, das unabhängig von | |
großen Namen funktioniert. Wir hatten zum Beispiel kürzlich eine | |
Veranstaltung mit [3][Ole Meinefeld, der ein Buch mit dem Titel „Das Wagnis | |
der Öffentlichkeit“ veröffentlicht hat]. Das ist seine Dissertation. Wenn | |
ich nur auf die Eintrittsgelder gucken müsste, lasse ich hier doch nicht | |
jemanden eine Diskussion über seine Dissertation führen. Das wäre mir | |
unternehmerisch ein viel zu hohes Risiko. Aber in der Urania soll nicht nur | |
ein Eckart von Hirschhausen eine Bühne haben, sondern auch Ole Meinefeld. | |
taz: Wie wichtig sind die niedrigen Eintrittspreise? | |
Sprondel: Ein Kaffee kostet mittlerweile vier Euro. Das heißt, für zwei | |
Kaffee kann ich hier abends in eine Veranstaltung gehen – ohne Ermäßigung, | |
sonst zahle ich nur einen Fünfer oder drei Euro. So leiste ich mir eine | |
Ergebnisoffenheit. Wenn das Publikum 20 Euro ausgeben muss, hat es eine | |
ganz andere Erwartung. Da will man genau das sehen, was man erwartet. So | |
erweitert man aber seinen Horizont nur bedingt. | |
taz: Die Urania gibt es seit 1888, es ist eine der langlebigsten | |
Institutionen der Stadtgesellschaft. Wie steht Ihr Wunsch nach | |
Ergebnisoffenheit zur historischen Mission der Urania? | |
Sprondel: Der Gründungsgedanke der Urania geht zurück auf Alexander von | |
Humboldts Kosmosvorlesung, die er im Winter 1827/28 in der Berliner | |
Singakademie, dem heutigen Gorki-Theater, gehalten hat. Das Spektakuläre | |
daran war, dass alle Bürgerinnen und Bürger Zugang hatten. Auch Frauen | |
durften zu dieser Vorlesung kommen, weil er gesagt hat, dass Wissen | |
Menschen ermächtigt. Das ist es, was ich als bürgerliche Teilhabe | |
definiere: Menschen befähigen, teilhaben zu können an Diskussionen, an | |
Prozessen und Diskursen, um Dinge zu verstehen. | |
taz: Als die Urania gegründet wurde, ging es vor allem um | |
Naturwissenschaften. In den aktuellen Veranstaltungen scheinen eher Politik | |
und Gesellschaft im Mittelpunkt zu stehen. Woran liegt das? | |
Sprondel: Die Hälfte der Veranstaltungen handeln von Naturwissenschaften. | |
Aber möglicherweise sagen wir nicht: „Heute geht es um Quantenphysik!“, | |
sondern betiteln es anders. Wir möchten, dass auch Leute kommen, die | |
Respekt davor haben, wenn man sagt: Heute geht es hier hochwissenschaftlich | |
zur Sache. Der Gründungsgedanke der Urania war, Bürgerinnen und Bürger | |
„aufzuschlauen“. Für aktuelle Themen und Debatten. Deshalb ist die Urania | |
1888 als Sternwarte gegründet worden – Sternenkunde war damals einfach the | |
latest shit. Heute wäre das wahrscheinlich ein Digitalthema. | |
taz: In Berlin gibt es viele andere Institutionen, an denen man sich | |
weiterbilden kann, zum Beispiel Universitäten, Volkshochschulen, Museen – | |
und [4][zwei Sternwarten]. Im Internet kann man Vorlesungen zu so gut wie | |
jedem Thema finden. Was ist da genau die Lücke, die die Urania schließt? | |
Sprondel: Wir machen so gut wie gar nichts frontal. Sie können hier nur | |
lernen, wenn Sie selbst mitmachen, aktiv zuhören und Debatten aushalten. | |
Hier steht ganz selten eine einzige Person auf der Bühne und trägt vor. Ich | |
bin immer darum bemüht, Panels zu haben, die miteinander streiten oder | |
zumindest verschiedene Perspektiven auf ein Thema ermöglichen, um dadurch | |
die Komplexität des Themas greifbar zu machen. | |
taz: Panels und Gruppendiskussionen gibt es im Fernsehen auch. | |
Sprondel: Die haben aber einen ganz anderen Aktualitätsdruck als wir. Wir | |
können langfristig Themen verfolgen. Und bei uns ist es nicht vorbei, wenn | |
die Veranstaltung vorbei ist, und die Diskussion findet nicht in sozialen | |
Medien statt. Gestern haben wir erst nach Mitternacht die Bar zugemacht, | |
weil nach der Veranstaltung einfach noch weiter diskutiert wurde. | |
11 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
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