| # taz.de -- Nachruf auf US-Songwriter Michael Hurley: Käse, Flöhe und Religion | |
| > Der legendär-verschrobene US-Singer-Songwriter Michael Hurley ist | |
| > gestorben. Nachruf auf einen unorthodoxen Künstler. | |
| Bild: War eher nicht so career-minded, hatte aber immer treue Fans: Michael Hur… | |
| Ein magischer Moment: Michael Hurley live bei der Popkomm in Köln 1996. Die | |
| meisten Leute waren wegen des Headliners Townes Van Zandt gekommen und | |
| kannten Hurley nur vom Hörensagen. Leise und verschüchtert betrat der | |
| US-Künstler die Bühne, begann einen ersten Song. Die versammelten | |
| Musicbiz-Professionals wurden stiller und stiller. Am Ende des Songs: | |
| donnernder Applaus. | |
| Einen kurzen Moment lang entgleisten Hurley die Gesichtszüge, er sah aus, | |
| als glaube er dem Publikum seine Begeisterung nicht oder frage sich, ob | |
| hinter ihm jemand Trapezkunststücke vorführt. Dann wechselt sein Ausdruck | |
| zu echter Freude. Und diese Freude beflügelt seine Performance, er spielt | |
| Hits wie den „Slurf Song“ über ein endloses Barbecue inklusive der darauf | |
| folgenden Verdauungsvorgänge und schließlich erblickt er das am Rand der | |
| Bühne stehende Klavier, setzt sich dran. Dass das Klavier unverstärkt ist | |
| und dort auch kein Gesangsmikro ist, hält ihn nicht davon ab, den selten | |
| von ihm performten Song „Don’t Call Me Sam“ anzustimmen. Sein Labelchef | |
| bahnt sich den Weg zur Bühne, baut ihm schnell das Gesangsmikro auf und das | |
| Publikum hört: „Don’t call me Sam / Cause I’m not Sam / Call me Elwood / | |
| Call me anything / But don’t call me late for dinner …“ | |
| Der 1941 in Bucks County, Pennsylvania, geborene Hurley hätte alles | |
| Mögliche sein können. [1][Ein Greenwich-Village-Folk-Star wie Bob Dylan] | |
| oder [2][Phil Ochs]. [3][Ein Westcoast-hinter-den-Kulissen-Hippie-Held wie | |
| Dino Valente] oder Skip Spence. Ein Underground-Comic-Star wie Robert Crumb | |
| oder Don Martin. Ein Beatnik-Bonvivant wie Ed Sanders oder Allen Ginsberg. | |
| Alles Möglichkeiten, die ihm offenstanden, alles Wege, die er nicht | |
| gegangen ist, weil er nicht „career-minded“ war, wie er es nannte. So | |
| veröffentlichte er ab 1964 immer wieder mal ein Album, aber lebte lange | |
| nicht von der Musik, sondern von den größtenteils bei seinen Konzerten | |
| verkauften großformatigen Gemälden. Damit wurde er so legendär, dass ihn | |
| kaum noch jemand kannte. | |
| ## Begeisterung für das dunkle, alte Amerika | |
| Erst, als sich in den 1990er Jahren Fans aus dem Indie-Rock-Umfeld wie | |
| David Lowery (Camper Van Beethoven) und [4][Ira Kaplan (Yo La Tengo)] um | |
| Michael Hurley bemühten und ihn sanft, aber bestimmt wieder in die | |
| Realitäten des Musikgeschäfts hineinbugsierten, begann seine Karriere Fahrt | |
| aufzunehmen. Als 1994 das Album „Wolfways“ beim kleinen Münchener Label | |
| Veracity erschien, war Michael Hurley auf einmal sogar ein Thema für die | |
| Zeit und den Spiegel. | |
| Dabei hatte sich seine Kunst seit 1964 nicht groß verändert. [5][Er teilte | |
| die Begeisterung seiner Generation von Folk-Sänger*innen für das dunkle, | |
| alte Amerika der Prä-Pop-Zeit,] wie es der Undergroundfilmer und | |
| Plattensammler Harry Smith auf seiner „Anthology of American Folk Music“ | |
| 1952 den staunenden Nachkriegsteenagern präsentiert hatte. Neben diesem | |
| Repertoire komponierte Hurley eigene versponnene Songs, die wenig mit der | |
| ihn umgebenden Welt und den Zeitläuften zu tun hatten, sondern mitunter wie | |
| klassische Fabeln oder philosophische Gleichnisse anmuteten, genauso gerne | |
| aber auch nur umständlicher Quatsch waren. | |
| So gelang es ihm, in einer Generation nach der anderen eingeschworene Fans | |
| zu generieren. Sein bezauberndes letztes Album „The Time of the Foxgloves“ | |
| hatten 2021 Mitglieder der Folk-Band The Hackles produziert und ihm unter | |
| anderem [6][Josephine Foster] und Lindsay Clark als Duett-Partnerinnen zur | |
| Seite gestellt. Sein eigenes Ableben hatte Michael Hurley bereits 1980 in | |
| dem Song „I’m Gettin’ Ready to Go“ besungen, in dem ihn der Teufel in d… | |
| Hölle zu führen beabsichtigte. Ein Unterfangen, das jedoch scheiterte, | |
| denn: „I got my bible and a mouthful of cheese / I fell right down on my | |
| sinful knees / I got more religion than a dog’s got fleas“. | |
| Michael Hurley starb am 1. April 2025 zu Hause in Astoria, Oregon. | |
| 6 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Detlef Diederichsen | |
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