# taz.de -- Umfrage über Berichterstattung zu Gaza: „Klima der Angst in Reda… | |
> Katharina Weiß hat für Reporter ohne Grenzen Journalist*innen | |
> befragt, die über Gaza berichten. Sie beobachtet Selbstzensur und | |
> Anfeindungen. | |
Bild: Pro-Palästinensische Demontration vor der Freien Universität Berlin im … | |
taz: Frau Weiß, Sie haben über 60 Journalist*innen zu ihrer | |
Berichterstattung über den Krieg in Gaza und seine Folgen in Deutschland | |
befragt. Eine Ihrer Erkenntnisse lautet, dass sich Kolleg*innen stark | |
unter Druck gesetzt fühlen, wenn sie über das Thema berichten. Was meinen | |
Sie damit? | |
Katharina Weiß: Vor allem Reporter*innen, die die israelische Kriegsführung | |
oder die Konsequenzen des Krieges auf das gesellschaftliche Klima in | |
Deutschland beleuchten, berichteten uns von außergewöhnlichen Belastungen | |
von außer- wie innerhalb von Redaktionen, etwa dadurch, dass ihre | |
Artikelvorschläge, immer wieder abgelehnt werden. | |
taz: Warum soll das Druck erzeugen? Im Redaktionsalltag ist es üblich, dass | |
mehrere Themen miteinander konkurrieren und Angebote hintenüberfallen. | |
Weiß: Klar, das schreiben wir in unserer Zusammenfassung. Einige | |
Erfahrungen, die uns Kolleg*innen geschildert haben, sind nicht | |
ungewöhnlich. Auffallend ist aber die Häufung, in der auch sehr erfahrene | |
Reporter*innen berichten, mit ihren Vorschlägen zum Krieg in Gaza nicht | |
durchzudringen. Manche sprechen von Doppelstandards oder davon, dass | |
journalistische Praktiken über Bord geworfen wurden, wenn es um den Umgang | |
mit palästinensischen Quellen ging. Migrantische Kolleg*innen haben von | |
rassistischen Vorfällen berichtet – dass sie als Hamas-Freund*innen | |
bezeichnet wurden, obwohl sie nur versucht hätten, einen konstruktiven | |
Vorschlag zu machen, wie die Berichterstattung ausgewogener werden kann. | |
taz: Wie kann man sich solche Auseinandersetzungen in den Redaktionen | |
vorstellen? | |
Weiß: Es geht etwa um etablierte Kolleg*innen, die ein weites Netzwerk mit | |
palästinensischen Kontakten haben. In der Redaktion wird dann häufig die | |
Befürchtung geäußert, ob die Reporter*innen garantieren können, dass | |
bei ihren Gesprächspartner*innen keine Hamas-Nähe besteht. Die Stimmen | |
von vor Ort werden dann auf Herz und Nieren überprüft, so gut es eben | |
möglich ist, weil der Gazastreifen für die internationale Presse | |
abgeriegelt ist. Ganz häufig wird dann entweder aus Unwissenheit in der | |
Redaktion oder aus Angst vor extremen Social-Media-Reaktionen entschieden, | |
palästinensische Perspektiven nicht miteinzubeziehen. | |
taz: Aber es wäre ja schon wichtig zu wissen, wenn die befragten Stimmen | |
Verbindungen zu der Hamas haben. | |
Weiß: Klar, aber nochmal: Es geht um gestandene Kolleg*innen, die seit | |
Jahrzehnten im Dienst sind und die uns von einem Klima der Angst in den | |
Redaktionen berichtet haben. Das muss man ernst nehmen. Sie klagten über | |
endlose Abnahmeschleifen ihrer Texte, die groteske Züge angenommen hätten. | |
Sie berichteten, dass sie in ihren Karrieren bei keinem Thema so eine | |
Dauerprüfung ihrer Beiträge erlebt hätten. Oder dass sie etwa bei Quellen | |
aus dem Libanon, aus Sudan oder aus mexikanischen Drogenkartellen den | |
Check, der bei Palästinenser*innen verlangt wurde, niemals hätten | |
vorlegen können. Fast alle Befragten äußerten, dass die Berichterstattung | |
über den Krieg in Gaza das sensibelste Thema sei, zu dem sie je | |
journalistisch gearbeitet hätten. | |
taz: Sie betonen, dass Sie keine wissenschaftliche Studie vorgelegt haben, | |
sondern eine Recherche. Wie sind Sie in Ihrer Umfrage vorgegangen? | |
Weiß: Wir haben nicht die finanziellen Mittel, eine groß angelegte Studie | |
aufzusetzen. Ab Ende 2023 haben wir Hinweise von Journalist*innen | |
bekommen, die sich mit der Berichterstattung zu Gaza und den Diskussionen | |
in ihren Redaktionen unwohl gefühlt haben. Wir wollten der Sache nachgehen, | |
und haben begonnen, Journalist*innen, die zu dem Thema arbeiten, direkt | |
anzuschreiben. Uns war eine Gewichtung sehr wichtig: Kolleg*innen bei | |
den öffentlich-rechtlichen Medien zu finden, bei den großen Privatsendern, | |
Lokaljournalisten sowie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Männern, | |
Frauen, migrantisch gelesenen und nicht migrantischen Personen | |
herzustellen. Wir haben Kolleg*innen einbezogen, die schon sehr lange | |
über das Thema berichten und solche, die schwerpunktmäßig über die | |
palästinensische Zivilbevölkerung schreiben. Wir haben auch mehrere | |
jüdische Publikationen wie die Jüdische Allgemeine angeschrieben und darum | |
gebeten, dass die Kolleg*innen dort ihre Erfahrungen schildern. | |
taz: Das klingt umfassend. | |
Weiß: Ja. Natürlich gibt es immer Dunkelfelder, aber wir haben ein gutes | |
Gefühl, dass wir das, was wir erzählt bekommen haben, gut abbilden konnten. | |
taz: Was haben die Kolleg*innen denn als Gründe genannt, warum sie etwa | |
mit ihren Berichten zur israelischen Kriegsführung so schwer bei ihren | |
Redaktionen durchdringen? | |
Weiß: Zum einen berichteten Journalist*innen von einer großen Furcht in | |
den Redaktionen, eines israelbezogenen Antisemitismus bezichtigt zu werden. | |
Diese Unsicherheit wurde häufig als Grund genannt, als heikel wahrgenommene | |
Themen in der Berichterstattung auszusparen. Eine Sache, die uns bedrückt | |
ist, dass einige Kolleg*innen sich auch durch häufige und massive | |
Interventionen der israelischen Botschaft oder der Deutsch-Israelischen | |
Gesellschaft bei Chefredaktionen unter Druck sehen. Auf der anderen Seite | |
haben Redaktionen auch Angst davor geäußert, von propalästinensischen | |
Aktivisten überrannt zu werden. [1][Es gab Reporter*innen, die auf | |
Demonstrationen erkannt und wegen ihrer Berichterstattung angesprochen | |
wurden] und die sich unter Druck gesetzt gefühlt haben. | |
taz: Auch bei der taz haben wir Kolleg*innen, die in Zusammenhang mit ihrer | |
Berichterstattung über den Krieg in Gaza angefeindet und [2][aktuell wie im | |
Fall von Nicholas Potter] auch massiv bedroht werden. | |
Weiß: Die Kampagne gegen Potter ist eine schockierende Grenzüberschreitung | |
und als Reporter ohne Grenzen fordern wir die zuständigen Behörden auf, die | |
Urheber der Gewaltandrohungen zügig zu ermitteln. Egal, ob man wie Potter | |
viel über Antisemitismus schreibt oder sich in anderer Form mit der Region | |
Nahost beschäftigt: Unsere Umfrage hat ergeben, dass viele Kolleg*innen | |
oftmals sogar für ein und denselben Artikel von zwei Seiten mit | |
persönlichen Beleidigungen überzogen würden; eine stark | |
Palästina-solidarische Bubble könne es nicht ertragen, jüdische | |
Perspektiven zu hören oder auch nur den Begriff des Antisemitismus zu | |
lesen. Wohingegen die Israel-solidarische Bubble nicht damit umgehen könne, | |
wenn zum Beispiel der Blick auf die israelische Besatzungspolitik gelenkt | |
würde. | |
taz: In Ihrem Bericht schreiben Sie auch, dass Journalist*innen, die in | |
ihrer Berichterstattung etwa auf die Einhaltung des Völkerrechts drängten, | |
sich zur „Selbstzensur“ genötigt fühlten. Aber es gibt doch durchaus | |
kritische Berichterstattung über das israelische Militär. | |
Weiß: Wir beurteilen als Reporter ohne Grenzen überhaupt nicht, ob die | |
Berichterstattung ausgewogen war, damit haben sich andere schon viel mehr | |
beschäftigt. Medienkritik gehört auch nicht zu unserem Mandat. Wir sagen | |
auch nicht, dass es keine Israel-kritische Berichterstattung in Deutschland | |
gibt. | |
taz: Was meinen Sie dann mit Selbstzensur? | |
Weiß: Der Begriff kommt nicht von uns, viele Journalist*innen haben ihn | |
in den Befragungen so geäußert. Kolleg*innen erzählten uns, dass sie | |
Themen, die etwa mit einer Kritik der israelischen Regierung oder dem | |
Militär verbunden sind, bewusst vermeiden. Manche befürchteten sogar einen | |
Jobverlust. Andere Sorgen betrafen langwierige Quellenchecks oder | |
Änderungen an Texten, die nicht mit den Autor*innen abgesprochen werden. | |
Auch aus Sorge vor so einer redaktionellen Praxis äußerten Kolleg*innen | |
die Angst, ihre Quellen zu vergraulen. Deshalb zogen sie für sich den | |
Schluss, dieser oder jener Redaktion keine Themenvorschläge zu | |
unterbreiten, was sie als Selbstzensur erlebten. | |
taz: Was können Redaktionen tun, um andere Zugänge zu ermöglichen? Es muss | |
doch darum gehen, in der Nahost-Berichterstattung den Blick zu weiten, und | |
dafür ein professionelleres und konstruktiveres Arbeitsklima zu schaffen. | |
Weiß: Speziell auf Nahost bezogen wünschen sich viele Kolleg*innen, dass es | |
in ihren Redaktionen zu einer internen Aufarbeitung kommt, mit dem Ziel, | |
dieselben Fehler nicht bei künftigen so aufgeladenen Fragen zu wiederholen. | |
Das Stichwort Diversität wurde hier ganz häufig genannt, also mehr Stimmen | |
einzubeziehen, die fremdsprachige Medien lesen, oder bei dem Thema eine | |
nicht deutsche Sozialisation haben. Viele Kolleg*innen [3][wünschten | |
sich in unserer Befragung auch eine stärkere Solidarisierung | |
untereinander], sowohl innerhalb von Redaktionen als auch in Fällen, in | |
denen Medienschaffende von einschlägigen Publikationen an den Pranger | |
gestellt werden. | |
18 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Schlaege-Tritte-Morddrohungen/!6024978 | |
[2] /!6079261/ | |
[3] /Angriffe-auf-Reporterinnen/!6077702 | |
## AUTOREN | |
Cem-Odos Güler | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Anfeindungen gegen Journalisten | |
Reporter ohne Grenzen | |
Gaza | |
Israel | |
Palästina | |
GNS | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Gaza-Krieg | |
Schwerpunkt Krieg in Sudan | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Journalismus | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Hamas laut Bericht zur Machtübergabe in G… | |
Israels Inlandsgeheimdienstchef Ronen Bar belastet Ministerpräsident | |
Netanjahu. Der israelische Sicherheitsrat warnt vor „Tag des Zorns“ der | |
Palästinenser. | |
Kriege und Völkerrecht: Kollektivbestrafung als neue Normalität | |
In Kriegsgebieten wird das Völkerrecht gebrochen. Früher haben Täter ihre | |
Taten noch bestritten, heute rechtfertigen sie sie als Selbstverteidigung. | |
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Hamas lehnt vorläufigen Waffenstillstand … | |
Die radikal-islamische Hamas ist bereit, über die Freilassung der | |
verbliebenen Geiseln zu verhandeln. Ein Waffenstillstandsabkommen lehnt sie | |
weiter ab. | |
Angriffe auf Reporter*innen: Journalismus ist kein Einzelkampf | |
Ein neuer Report zeigt, dass Journalist:innen in Deutschland immer mehr | |
körperliche Angriffe erleben – und enger werdende Diskursräume. | |
Angriffe auf Journalisten in Gaza: Presse unter Beschuss | |
Ein Journalist wurde in Gaza getötet, mehrere verletzt. Das israelische | |
Militär unterstellt Nähe zur Hamas, Quellen vor Ort widersprechen. | |
Die Linke und der Nahost-Konflikt: Nun sag, wie hältst du es mit Gaza? | |
In Berlin-Neukölln lebt die größte palästinensische Diaspora Europas. Linke | |
Parteien werben dort um eine Klientel, die sich politisch heimatlos fühlt. |