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# taz.de -- Angriffe auf Reporter*innen: Journalismus ist kein Einzelkampf
> Ein neuer Report zeigt, dass Journalist:innen in Deutschland immer
> mehr körperliche Angriffe erleben – und enger werdende Diskursräume.
Bild: Sieht aus wie Lone Wolf, ist aber Teamarbeit: Journalismus
Im Trenchcoat mit fester, bestimmter Stimme, sich allein mit Notizblock
oder Kamera den Weg durch Menschenmengen bahnend, immer auf der Suche nach
der besten Story – und das natürlich erfolgreich und mit Beifall vom
Publikum. So wird er oft in Filmen dargestellt, der typische Reporter. Der
einsame Held mit Haltung, unermüdlich, zäh, manchmal zynisch, aber immer im
Dienst der Wahrheit.
So romantisch ist die Welt des Journalismus aber leider nicht (mehr). Viel
zu oft werden Reporter:innen an ihrer Arbeit gehindert und sogar
angegriffen. Die [1][Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF)] gibt dazu
seit 2015 jährlich Zahlen heraus: 89 Angriffe auf Journalist:innen
wurden 2023 gezählt – d[2][oppelt so viele wie im Vorjahr, in dem es noch
41 waren]. 75 davon waren körperlich: Tritte, das Bewerfen mit
Gegenständen, Einschüchterung auf offener Straße.
Deutschlandweit geraten Medienschaffende in Gefahr – besonders, wenn sie
über rechtsextreme oder verschwörungsideologische Versammlungen berichten.
RSF nennt Berlin einen „Brennpunkt“, weil dort besonders viele Übergriffe
registriert wurden. Eine weitere Auffälligkeit: Ein Großteil der Angriffe
ereignete sich am [3][Rande von Nahost-Demonstrationen]. Allein 40 Prozent
aller Attacken richteten sich gegen zwei Reporter, die dort regelmäßig
berichten – und regelmäßig zur Zielscheibe werden.
Verändert sich gerade das Bild von Journalist:innen? „Viele Bürgerinnen und
Bürger betrachten Medienschaffende mittlerweile als Feinde“, sagt Katharina
Viktoria Weiß, RSF-Referentin für Deutschland. Ein Satz, der schwer wiegt –
und ein gefährliches Klima beschreibt. Denn es geht nicht mehr nur um
Tritte oder Wurfgeschosse.
RSF beschreibt eine weitere, schleichendere Bedrohung: den enger werdenden
Meinungskorridor, besonders seit dem 7. Oktober 2023. Journalist:innen, die
über Israel und Palästina berichten, sehen sich zunehmend mit massiven
Einschränkungen konfrontiert. Begriffe müssen mit Redaktionen abgestimmt
werden, Kritik an der israelischen Kriegsführung werde kontrolliert oder
vermieden. Palästinensische Quellen, selbst internationale Organisationen
wie Amnesty International oder die Vereinten Nationen würden infrage
gestellt – während Informationen des israelischen Militärs oft ungeprüft
übernommen würden.
Wer berichtet, wird zunehmend als Feind gesehen. Die Öffentlichkeit wird
härter, die Kommentare feindseliger. Hasskampagnen in sozialen Medien
nehmen zu. Redakteure wie Nicholas Potter (taz) oder TV-Reporterinnen wie
Sophia Maier sind nur zwei Beispiele für Medienschaffende, die unter
massiven Online-Angriffen leiden.
Viele Journalist:innen berichten RSF inzwischen von wachsender Angst:
Angst vor Bloßstellung in anderen Medien, auf Social Media, [4][vor Doxing
und gezielter Hetze]. Die Folge: Manche meiden im Zweifel bestimmte
Versammlungen ganz. Die Dunkelziffer ist hoch. Die Pressefreiheit bröckelt
– und das in einem Land, das sich zu ihr bekennt.
Was also tun? Journalist:innen müssen im Feld besser geschützt werden,
insbesondere durch die Behörden, wenn sie in gefährliche Situationen
geraten. Pressefreiheit darf kein Nebenthema sein, sondern muss politisch
priorisiert werden. Auch Arbeitgeber:innen stehen in der
Verantwortung: Sie müssen Ansprechpersonen bereitstellen, psychologische
Betreuung und juristischen Beistand anbieten – und das ausdrücklich auch
für freie Mitarbeitende, die durch keine Tarifverträge abgesichert sind.
Ein bereits geschaffener Schutzkodex, entwickelt von Verdi und anderen
2022, muss aktiv umgesetzt und weiterentwickelt werden. Zudem braucht es
umfassende Sicherheitstrainings – nicht nur für die
Auslandsberichterstattung, sondern auch im Inland, wo
Lokaljournalist:innen zunehmend ins Visier geraten.
Doch es geht nicht nur um rechtliche und organisatorische Maßnahmen. Es
geht auch um Atmosphäre, um Offenheit, um Vertrauen. Viele Medienschaffende
haben das Gefühl, sie könnten beim Thema Nahost nicht offen und ausgewogen
über das Leid aller Seiten berichten. Solche Gefühle gehören auf den Tisch
– in Redaktionskonferenzen, in informellen Gesprächen, im Austausch unter
Kolleg:innen. Dafür braucht es Räume. Räume für Unsicherheit, für
Reflexion, für echtes Zuhören. Denn Journalismus ist kein Einzelkampf, auch
wenn er oft so inszeniert wird.
Die Figur des Lone-Wolf-Reporters war immer schon mehr Film als Realität.
Es ist Zeit für einen solidarischen Journalismus, der Haltung zeigt, der
sich gegenseitig schützt, der nicht nur den Mächtigen gegenüber mutig ist,
sondern auch intern offen und ehrlich. Einen Journalismus, der sich seiner
Rolle erinnert: die Gesellschaft zu informieren, aufzuklären, die
Demokratie zu schützen. Einen Journalismus, in dem niemand Angst haben
muss, seinen Job zu machen.
8 Apr 2025
## LINKS
[1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/RSF_Naha…
[2] /Angriffe-auf-Journalistinnen/!6000591
[3] /Journalist-klagt-Polizei-an/!6016503
[4] /Doxing-von-Autorin-Jasmina-Kuhnke/!5760862
## AUTOREN
Ann-Kathrin Leclere
## TAGS
Journalismus
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Schwerpunkt Pressefreiheit
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Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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