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# taz.de -- Grünen-Chefin im taz-Interview: „Links sein heißt antiimperiali…
> Grünen-Chefin Franziska Brantner geht auch dieses Jahr nicht zum
> Ostermarsch. Ein Gespräch über Putin, Trump und die Friedenspolitik ihrer
> Partei.
Bild: Will an Joschka Fischers Vision einer Europäischen Föderalen Republik a…
taz: Frau Brantner, waren Sie schon mal auf einem Ostermarsch?
Franziska Brantner: Ja, das war beim Irakkrieg.
taz: Dieses Jahr gehen Sie wohl nicht hin?
Brantner: Nein.
taz: Der Aufruf des Ostermarschs in Ihrem Wahlkreis Heidelberg spricht
sich [1][gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, Russland-Sanktionen
und höhere Militärausgaben] aus. Verbindet Sie noch irgendetwas mit den
Gruppen, die da demonstrieren?
Brantner: Uns verbindet der Wunsch nach Frieden, unbedingt. Ich komme aus
einer Grenzregion. Neuenburg am Rhein. Der Ort hat in der Geschichte
sechsmal hin und her gewechselt zwischen Deutschland und Frankreich. Wir
haben als Kinder auf der Panzerplatte gespielt und wussten, dass es mutige
Menschen waren, die den Nachbarn als Freund und nicht Feind gesehen haben.
Was mich an solchen Demo-Aufrufen stört: Links zu sein heißt für mich,
antiimperialistisch zu sein, den Angegriffenen beizustehen und nicht den
Aggressoren. Heute sind die imperialistischen Kräfte die von Putin, und
auch Trump lässt mit seinen Aussagen zu Grönland solche Züge erkennen.
Putin zerstört die europäische Friedensordnung, also die Regel, dass
nationale Grenzen nicht mit Gewalt verändert werden dürfen. Wenn Putin sich
damit durchsetzt, dann sind wir zurück in dunklen Zeiten unseres
Kontinents. Deswegen ist verstärkter Schutz der Ukraine auch
Friedenssicherung für uns in Europa.
taz: Die Grünen bezeichnen sich selbst weiterhin als Friedenspartei, große
Teile der Bevölkerung nehmen ihnen das aber nicht mehr ab. Hätte die Partei
schon in den vergangenen drei Jahren mehr über ihre Motive sprechen sollen
und weniger über Leopard-Panzer und andere Waffensysteme?
Brantner: Es ging oft darum, was konkret getan werden muss – und dazu
gehören nun einmal bestimmte Waffensysteme. Unser Motiv ist klar: Wir
wollen eine Friedensordnung, in der das Recht über der Macht des Stärkeren
steht. Frieden ist auch eine Haltung, Einstehen für das Völkerrecht, für
Sicherheit durch Regeln, für Schutz vor Aggression. Unsere
Friedensordnung ist keine Selbstverständlichkeit, sie muss geschützt,
verteidigt und immer wieder erneuert werden. Sie steht aktuell auf dem
Spiel. Das deutlich zu machen, halte ich für dringend notwendig. Es ist
aber immer bitter, wenn Politik sich wieder gezwungen sieht, sich auf eine
Kriegsbedrohung vorzubereiten, um den Frieden zu sichern.
taz: Nach den ersten Wochen mit Donald Trump als US-Präsident: Können
Deutschland und Europa überhaupt noch etwas für die Ukraine bewirken?
Brantner: Trump behauptete, er schaffe innerhalb von 24 Stunden Frieden in
der Ukraine. Aber schon die 24 Monate vorher mit zig Gesprächen, Gipfeln
und Initiativen haben nicht gereicht, um Frieden zu erreichen. Vergangene
Woche fuhr der neue US-Sondergesandte für Russland nach Moskau. Und was
ist Russlands Antwort? Der Angriff auf Sumy, mit Dutzenden toten
Zivilisten. In der Realität ist es eben nicht so einfach und die Frage ist
daher, aus welcher Position die Ukraine verhandeln kann. Da hat Europa
auch in Zukunft eine große Aufgabe, die Ukraine umfassend, auch
militärisch, zu unterstützen und gleichzeitig diplomatische Initiativen zu
ergreifen.
taz: Über die Ankündigung von Friedrich Merz, der Ukraine
Taurus-Marschflugkörper zu liefern, haben Sie sich also gefreut?
Brantner: Zunächst mal wünschte ich mir, dass diese Debatte nicht nötig
wäre, weil Putin die Ukraine in Frieden lässt. Abgesehen davon habe ich
bisher keine geeinte Position der neuen Bundesregierung gehört. Ich bin
gespannt, was daraus wird.
taz: Was erwarten Sie darüber hinaus von der kommenden Regierung?
Brantner: Nötig wäre jetzt ein massiver Schritt der weiteren europäischen
Integration, eine europäische Verteidigungsunion, mit gemeinsamer
Beschaffung und Investitionen in neue Technologien. Aber da ist leider
Fehlanzeige bei dieser Koalition.
taz: Haben Sie Merz vor vier Wochen also zu viel Vertrauen geschenkt? Durch
die [2][Verfassungsänderung bei der Schuldenbremse haben Sie Schwarz-Rot
einen Freifahrtschein gegeben]. Rüstungskredite sind jetzt unbegrenzt
möglich.
Brantner: Es war richtig, in diesen Zeiten die Änderungen der
Schuldenbremse zu ermöglichen, und wir haben erreicht, endlich Verteidigung
breiter zu definieren. Umso deutlicher appelliere ich an die nächste
Regierung, es wirklich europäisch anzugehen. Wir müssen Synergien im
Rüstungsbereich schaffen. Wenn wir jetzt einfach nur wieder amerikanisch
einkaufen statt europäische Fähigkeiten voranzutreiben, dann ist all das
Geld weniger wert.
taz: Nach einem [3][Konsens in der Europäischen Union] sieht es aktuell
nicht aus.
Brantner: Wenn das nicht mit allen 27 Mitgliedsländern möglich ist, dann
muss eine Allianz der Freiheit vorangehen. Wenn Orbán im Team Putin spielt,
dann gehen stattdessen vielleicht Großbritannien oder Norwegen mit voran.
Die europäische Integration hat immer so funktioniert. Beim Euro oder bei
Schengen: Jedes Mal ist eine Gruppe vorangegangen. Wir Grüne wollen an
Joschka Fischers Vision einer Europäischen Föderalen Republik anknüpfen und
sie mit Leben füllen. Welche Ebene kann in Zukunft was am besten leisten?
Was kann die Kommune, ein Land, der Bund besser als Europa oder andersrum?
Sei es bei Energie, Innovation oder Wirtschaftssicherheit, nicht nur
Verteidigung.
taz: Alleine schon in diesem Bereich ist es schwierig genug. Der Vorsatz,
Rüstungsgüter gemeinschaftlich zu beschaffen, ist nicht neu – aber auch
unter der grünen Regierungsbeteiligung gab es wenig Fortschritt. Woran lag
es?
Brantner: Zum einen an wirtschaftlichen Interessen der Branchen in den
einzelnen Staaten. Zum anderen wäre man sehr viel stärker aneinander
gebunden. Man kann im Zweifel nicht mehr so einfach gegeneinander oder
unabhängig voneinander Krieg führen. Für mich kein Nachteil, sondern ein
folgerichtiger Schritt auf dem Weg zu einem souveränen Europa.
taz: Kommt jetzt die europäische Beschaffung und regiert in ein paar Jahren
in Frankreich Le Pen, ist Deutschland verteidigungspolitisch wieder
aufgeschmissen. Ist an diesem Einwand denn nichts dran?
Brantner: Wenn wir nicht beweisen, dass die Europäische Union
handlungsfähig ist und unsere Freiheit und unseren Frieden schützen kann,
dann werden die Nationalisten so oder so gewinnen. Also lieber mutig jetzt
voran!
taz: Funktioniert die europäische Aufrüstung, besteht auf der anderen Seite
die Gefahr, dass Russland nachzieht und es trotz großer Investitionen
keinen Gewinn an Sicherheit gibt. Welche Möglichkeiten sehen Sie für
Rüstungskontrolle als flankierende Maßnahme?
Brantner: Entschuldigen Sie, aber Putin hat massiv aufgerüstet und sein
Land umgestellt auf Kriegswirtschaft. Natürlich bleiben Abrüstung und
Rüstungskontrolle zentral. Sie sind Teil einer regelbasierten Weltordnung,
für die wir einstehen. Die Perspektive einer atomwaffenfreien Welt ist
übrigens ein weiterer Grund, die Ukraine zu verteidigen. Die Ukraine hat
als bislang einziger Staat ihre Atomwaffen freiwillig abgegeben und dafür
Sicherheitsgarantien für ihre Souveränität auch durch Russland bekommen.
Wenn diese nichts wert sind, wird kein Land jemals mehr einen solchen
Schritt gehen.
taz: Als Grünen-Vorstand haben Sie für die nächsten Monate angekündigt,
inhaltliche Konflikte innerhalb der Partei zu diskutieren und zu
Entscheidungen zu kommen. Wo sehen Sie solche Konflikte im Bereich Krieg
und Frieden?
Brantner: Im Umgang mit Russland sind wir sehr geschlossen.
Diskussionsbedarf haben wir etwa bei den Themen europäische Armee,
Wehrpflicht oder Naher Osten, wo die Debatte in Deutschland sehr komplex
ist. Hier gibt es immer weniger Räume für differenzierte Debatten. Genau so
einen Raum wollen wir eröffnen.
taz: Wie wird das Format aussehen?
Brantner: Das erarbeiten wir gerade.
taz: Die [4][Grüne Jugend kritisiert, dass die Partei die israelischen
Völkerrechtsbrüche nicht klar genug angesprochen] habe.
Brantner: Völkerrechtsbruch ist Völkerrechtsbruch, egal durch wen, und
humanitäre Hilfe darf nie zur Verhandlungsmasse werden – da braucht es
deutliche Worte, und die finden wir auch als Partei.
taz: Die Ampelregierung hat deutlich später kritische Worte gefunden als
manch andere EU-Staaten.
Brantner: Es ist nicht überraschend, dass wir in Deutschland eine andere
Position haben. Das ist angesichts unserer Geschichte auch weiterhin nötig.
Und trotzdem hat Annalena Baerbock Kriegsverbrechen angesprochen und
kritisiert.
taz: Viele Kritiker*innen hätten sich spürbare Maßnahmen wie ein
Waffenembargo gewünscht.
Brantner: Wegen uns Grünen gab es die Bedingung, dass Israel zusichert,
deutsche Waffen im Einklang mit dem Völkerrecht einzusetzen. Dafür gab es
hier viel Kritik. Aber Menschenrechte müssen universell gelten. Es ist
unsere Aufgabe, sie in alle Richtungen zu verteidigen, auch dort, wo es
unbequem ist. Das gilt übrigens auch gegen jene, die nur noch kollektive
Identitäten sehen.
taz: Bei der Bundestagswahl haben die Grünen viele Stimmen an die
Linkspartei verloren, viele davon auch wegen des Gazakriegs. Können Sie
diese Leute bei diesem Thema zurückholen?
Brantner: Ich führe Debatten, um gute Antworten auf die Herausforderungen
unserer Zeit zu finden. Würde mir jemand sagen, ich wähle euch nur, wenn
ihr das Existenzrecht Israels in Frage stellt, wäre meine klare Antwort:
Dann halt nicht.
taz: Das Image der Grünen als Friedenspartei hat wohl auch deshalb
gelitten, weil auch jenseits der großen Konflikte erkennbare
friedenspolitische Erfolge fehlen. Das Rüstungsexportgesetz, das sich die
Partei vorgenommen hatte, setzte sie in der Ampel zum Beispiel nicht durch.
Haben Sie sonst etwas erreicht?
Brantner: Natürlich, wir haben Frauen und Mädchen weltweit gestärkt. Wir
haben unglaublich viel internationale Zusammenarbeit ermöglicht, gerade im
Klimaschutzbereich. Klimaschutz ist Krisenprävention. Wir haben ein
internationales Abkommen zum Meeresnaturschutz erreicht. Für Rohstoffe darf
jetzt nicht einfach Raubbau am Meeresboden betrieben werden – und wir
wissen, dass ein Teil dieser Rohstoffe in die Rüstung gegangen wäre. Ich
merke regelmäßig, wie wenig Menschen das bekannt ist. Hier müssen wir uns
auch an die eigene Nase fassen.
18 Apr 2025
## LINKS
[1] /Ostermarsch-2025/!6079296
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[4] /Jette-Nietzard-gibt-sich-kaempferisch/!6056320
## AUTOREN
Tobias Schulze
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