# taz.de -- Starke Börsen-Schwankungen: Arroganz ist nicht links | |
> An der Börse geht es gerade schnell auf und ab. Viele ignorieren sie. | |
> Dabei steht sie in Verbindung mit sozialen und wirtschaftlichen | |
> Problemen. | |
Bild: Er weiß, wo der Laden hinschwimmt | |
Drama pur am Finanzmarkt. US-Präsident Donald Trump sorgt mit seinem | |
Zollchaos für weltweite Ratlosigkeit. Nachdem die Börsen die Welt am Montag | |
mit Kursstürzen begrüßten, teilte man sich in mehrere Gruppen auf: die | |
Panikmacher („finanzielles Blutbad“), die Optimisten („ruhig bleiben und | |
abwarten“) und die Linken („Was juckt mich die Börse?“). | |
Wenige Tage nach dem Kurssturz beschloss Trump dann, die Zölle wieder | |
auszusetzen. Bisher blieb der erwartete Crash aus. Die Optimisten scheinen | |
recht gehabt zu haben. | |
Und doch hat die Woche eines gezeigt: Bitte, liebe Linke, Unwissenheit und | |
Arroganz bringen uns nicht weiter. Fast verboten fühlte es sich an, als | |
eine Kollegin am Montagmorgen ihr Aktiendepot auf der Arbeit rumzeigte. | |
Offen über Geld reden? Und sich dann noch als peinliche | |
Wertpapierbesitzerin outen? | |
Ist die Haltung, entschuldigend bis stolz zu verkünden, keinen Plan zu | |
haben, nicht eigentlich ganz weit weg von allem, was streitlustige und | |
scharfsinnige Linke ausmacht? Und doch schämt sich niemand, „keine Ahnung | |
von Wirtschaft“ zu haben. Dabei sind die Entwicklungen am Finanzmarkt eng | |
verbunden mit sozialen und wirtschaftlichen Problemen. | |
## Geld vermehrt sich nicht | |
Ein Problem ist, dass die Entwicklung der Finanzmärkte sich in großen | |
Teilen von der realen Wirtschaft abgekoppelt hat, etwa in der Coronakrise, | |
als Menschen, die an der Börse aktiv waren, profitierten, obwohl es einen | |
massiven Einbruch der Wirtschaft gab. Denn wer Aktien kauft, macht nur | |
Gewinn, wenn jemand anderes später teurer kauft. Das Geld „vermehrt“ sich | |
nicht wirklich, sondern wird nur umverteilt, es fließt nicht als | |
Investition in das Unternehmen. | |
Die stets steigenden Aktienkurse der vergangenen 40 Jahre sind auch | |
Ergebnis unserer Sozialpolitik. Altersvorsorgesysteme haben dafür gesorgt, | |
dass immer mehr Geld an die Börse fließt – vor allem, weil der | |
Sozialstaat geschwächt wurde. Deshalb versuchen immer mehr Menschen ihre | |
Altersvorsorge über Aktiensparpläne zu sichern. Bleibt damit arm, wer links | |
und gegen die Börse ist? Oder kann man auch antikapitalistisch an der Börse | |
handeln? Den richtigen Weg gibt es nicht, nur wer sein Geld spendet, | |
koppelt sich von den Finanzmärkten ab. Selbst die 3 Euro auf dem Sparbuch | |
bei der Sparkasse in der Heimat sind Teil der Geldmenge, die angelegt wird. | |
Besonders jüngere Leute in Deutschland suchen inzwischen nach Alternativen. | |
[1][Seit 2018 ist die Zahl der 18- bis 24-Jährigen, die erstmals in Aktien | |
investiert haben, um mehr 22 Prozentpunkte gestiegen.] Bei den Aussichten | |
auf ihre Rentenzahlungen kann man es ihnen kaum verübeln. Und aus dieser | |
linken, individualistischen Konsumkritik sind wir doch eigentlich auch | |
rausgewachsen. Einzelne private Anleger sind kleine Fische in einem Becken | |
voller großer Haie. | |
Doch auch das Märchen des sozialen und nachhaltigen Investierens ist leider | |
auserzählt. Mit ESG-konformen Sparplänen – ESG steht für Environment | |
(Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung) – sollten | |
bestimmte Wirtschaftszweige wie Rüstungs- oder Tabakunternehmen | |
ausgeschlossen werden. Die aktuellen geopolitischen Entwicklungen sorgen | |
dafür, dass die EU diese Kriterien aufweicht. [2][Rüstungsunternehmen sind | |
bald nicht mehr per se ausgeschlossen.] Diese Verschiebung von Kriterien | |
kann aber kein Freifahrtschein sein, jegliche Moral beim Investieren zu | |
vergessen. Am Ende ist jeder frei und verpflichtet, selbst zu entscheiden, | |
wo die persönliche Verantwortung anfängt. Und wer auf fallende und | |
steigende Kurse für Lebensmittel wie Weizen oder Kaffee setzt, dem geht es | |
eben nicht um finanzielle Sicherheit, sondern um die Lust am Zocken. | |
## Marx und Engels | |
Hoffnung machen Gruppen wie der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen | |
und Aktionäre, die sich [3][aktiv in die Hauptversammlungen von AGs | |
einbringen,] indem Aktienbesitzer, die nicht teilnehmen wollen oder können, | |
ihnen ihr Stimmrecht übertragen. Wie auch sonst gilt, dass sich überall | |
Räume für Solidarität öffnen – auch auf Versammlungen von Siemens, | |
Thyssenkrupp und Co. | |
Daher ist es wichtig, sich zu informieren. Nur so können wir die Zustände | |
am Finanzmarkt kritisieren und uns dazu positionieren. Und dieses Wissen | |
fehlt in der Bevölkerung massiv. Finanzbildung findet an Schulen kaum | |
statt, Scam-Telegram-Gruppen und unseriöse Finanzinfluencer profitieren | |
von dem Schweigen, das wir über Jahrzehnte etabliert haben. | |
Selbst Marx und Engels sprachen offen von ihren Aktiengeschäften. Für | |
Engels stand fest: „Die Börse ändert nur die Verteilung des von den | |
Arbeitern bereits gestohlenen Mehrwerts.“ Und nutzte das Argument dafür, | |
Wertpapiere im Wert von 22.600 Pfund, heute etwa 2,7 Millionen Euro, | |
anzuhäufen. Auch er machte nicht alle Probleme des Kapitalismus zu seinen | |
eigenen. | |
11 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://bankenverband.de/finanzbildung/jugendstudie-2024-finanzverhalten-un… | |
[2] /Waffenlobby-in-der-EU/!6041646 | |
[3] /Versammlungen-von-Aktiengesellschaften/!5841537 | |
## AUTOREN | |
Anastasia Zejneli | |
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