| # taz.de -- Mehr Feiertage braucht das Land: Gut gechillt ist halb geschuftet | |
| > Um die Wirtschaft anzukurbeln, schlagen die Bosse vor, einen Feiertag zu | |
| > streichen. Dabei braucht es für mehr Wachstum mehr Feiertage. | |
| Bild: Zeit für Wachstum muss man erstmal haben | |
| Dem „Humankapital“, wie die [1][Wirtschaftswoche] arme Schweine nennt, die | |
| für die Boni ihrer Chefs roboten gehen, soll nun auch noch [2][ein Feiertag | |
| gestrichen] werden; vorzugsweise im Sommer, damit es auch das Baugewerbe | |
| mit der vollen Breitseite trifft. | |
| Der von Wirtschaftsexperten geäußerte Vorschlag wird laut dem Institut der | |
| deutschen Wirtschaft (IW) zusätzlich 8,6 Milliarden Euro in die klammen | |
| Kassen spülen und so die negativen Folgen der demografischen Entwicklung | |
| kompensieren. Denn eine immer älter werdende Gesellschaft arbeitet immer | |
| weniger Stunden. Alle haben Rücken. Zur Strafe droht nun kollektives | |
| Nachsitzen. | |
| Davon abgesehen, dass es klüger wäre, weniger junge Menschen abzuschieben, | |
| unterläuft den Befürwortern der Maßnahme ein gravierender Denkfehler. Denn | |
| Feiertage sind nicht, wie besagte Wirtschaftsheinis meinen, die sich noch | |
| nie in ihrem Leben die Hände schmutzig gemacht haben, einfach nur | |
| unverdiente Geschenke an notorische Faulpelze, denen man nur fest genug in | |
| den Arsch treten muss, damit sie umso fleißiger springen. Sie sind vielmehr | |
| Kraftquellen für Erschöpfte und Motivationsanker für Ausgebrannte. | |
| Was bringt es, wenn sich die Leute müde und traurig zur Arbeit schleppen? | |
| Und gerade Ältere müssen, wie der Autor aus eigener Erfahrung weiß, im | |
| Grunde fast jeden Tag freihaben, um sich ihre optimale Leistungsfähigkeit | |
| zu erhalten. Dafür hauen sie danach auch gleich viel besser rein. | |
| ## Mehr, mehr! | |
| Wir brauchen also mehr Feiertage und nicht weniger. Feiertage machen gute | |
| Laune und erhöhen deshalb mittelfristig die Produktivität. Denn gut | |
| gechillt ist bereits halb geschuftet. Nicht zufällig sind die Länder mit | |
| den meisten Feiertagen (Bayern und Baden-Württemberg) auch die mit der | |
| höchsten Wirtschaftsleistung. | |
| Am besten, die Leute haben so viele freie Tage, dass sie ihnen schon zu den | |
| Ohren rauskommen und sie sich vor lauter Langweile nach ihrem Arbeitsplatz | |
| sehnen – einfach nur der Abwechslung halber und damit sie irgendwas zu tun | |
| haben. Außerdem kurbeln Feiertage seit jeher den Konsum an. Lebkuchen und | |
| Spekulatius ab Ende August, Marzipanostereier ab Neujahr – da qualmen doch | |
| die Schornsteine in der Genussmittelindustrie, brummt der Privatverkehr | |
| durch Kurzurlauber und Verwandtenbesuche, werden neue Schokohasengießer | |
| eingestellt. | |
| So ein neuer Feiertag ist schnell geschaffen. Nehmen wir aus halbwegs | |
| aktuellem Grund zum Beispiel die Umstellung der Uhren auf Sommerzeit. Warum | |
| zum Henker gibt es eigentlich kein Zeitumstellungsfest? Das würde bei | |
| entsprechender Gestaltung gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. | |
| Zum einen ist wegen der jetlagartigen Belastung das Arbeiten in den ersten | |
| Tagen nach dem Zeitenwechsel sowieso nicht zumutbar. Die Arbeitskräfte sind | |
| völlig k. o. Was da alles passieren kann (Kreissäge!) – also besser, sie | |
| bleiben ganz zu Hause. | |
| Und dort wird dann gefeiert, aber mal so richtig. Eigens lancierte | |
| Bedürfnisse helfen auch hier der Wirtschaft auf die Sprünge. Die | |
| Uhrenindustrie boomt, weil man einander zu diesem Anlass lustige oder | |
| wertvolle Wecker schenkt. Überall werden Schlafbrillen aus Seide, | |
| Kuckucksuhren aus Hefeteig, Schokoladenmurmeltiere und -siebenschläfer | |
| angeboten. Wenn um zwei Uhr nachts die Uhren eine Stunde vorgestellt | |
| werden, gibt es Feuerwerk und Champagner. Die Glocken läuten Sturm, die | |
| Ohrstöpselindustrie frohlockt. Und nur eine Woche später gehen alle wieder | |
| glücklich zur Arbeit. | |
| ## Warum nicht Sankt Nimmerlein? | |
| Die Kirchen sind übrigens gegen den Vorschlag der bösen | |
| Wirtschaftsvertreter – kein Wunder, gehört doch das Erfinden skurriler | |
| Feiertage zu ihren Kernkompetenzen. Dafür, dass die Kirchen unseren Wunsch | |
| nach mehr statt weniger Feiertagen unterstützen, sollen sie ruhig von uns | |
| belohnt werden. Und zwar mit zusätzlichen kirchlichen Feiertagen, am | |
| liebsten ebenfalls im Sommer: Am 1. Juli feiern wir in Zukunft den heiligen | |
| Bimbam, am 15. Juli Sankt Nimmerlein und am 1. August noch irgendeine Sause | |
| mit einem Leprakranken im Lendenschurz. | |
| Apropos Sommer. Warum haben eigentlich nur Schulkinder [3][hitzefrei]? Es | |
| trüge nicht bloß dem Klimawandel Rechnung, wenn sich ab 27 Grad im Schatten | |
| bei VW, Siemens oder Rheinmetall um zwölf Uhr mittags die Werkstore | |
| öffneten und fröhlich schreiende Mitarbeiter in die Freibäder entließen. | |
| Nein, auch dort wird ja munter weiterkonsumiert: Fritten, Badekleidung, | |
| Speiseeis. Es müssen also nicht immer volle Feiertage sein. Auch schon hie | |
| und da ein paar Stunden weniger könnten in puncto Arbeitsmoral und | |
| Privatkonsum wahre Wunder bewirken. | |
| 4 Apr 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.wiwo.de/politik/konjunktur/wirtschaftswachstum-einen-feiertag-a… | |
| [2] /Debatte-um-Feiertage/!6057141 | |
| [3] /Klimawandel-im-Klassenzimmer/!6025433 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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