# taz.de -- Krankenhaus-Serie „St. Denis Medical“: Kaputt gelachte Klinik | |
> Die Mockumentary „St. Denis Medical“ seziert das unterfinanzierte | |
> US-Gesundheitssystem. Das Lachen bleibt dabei manchmal im Hals stecken. | |
Bild: Alex, engagierte Stationsschwester mit leichtem Kontrollzwang, und Serena | |
[1][Sitcoms] sind selten geworden. Die Zeit von legendären Shows wie „The | |
Office“ oder „Parks & Recreation“ schien schon vorbei zu sein. Die kurzen | |
Folgen, die unzusammenhängenden Geschichten, die fehlenden Cliffhanger | |
passen nicht so recht in die Logik des nicht-linearen Streamens. Umso | |
erfreulicher ist daher die neue NBS-Krankenhaus-Serie „St. Denis Medical“. | |
Sie spielt in dem unterfinanzierten, fiktiven [2][Krankenhaus] St. Denis | |
Medical im Norden des US-amerikanischen Bundesstaates Oregon. Im | |
Mockumentary-Stil erzählt sie in 20-minütigen Folgen vom Alltag des | |
chronisch überlasteten Klinikpersonals, das neben der Sorge für ihre | |
Patient:innen auch in ganz persönliche Angelegenheiten und Querelen | |
verwickelt ist. | |
Da ist Alex, die engagierte Stationsschwester mit leichtem Kontrollzwang, | |
dargestellt von Allison Tolman. Die Rolle der crazy CEO Joyce wird | |
fantastisch gespielt von Wendi McLendon-Covey. Immer wieder wechselt ihr | |
Charakter zwischen ambitionierter Geschäftsfrau und schockierend ehrlicher | |
Kollegin, die jegliches Gefühl für Grenzen vermissen lässt. | |
Außerdem sind da Ron und Bruce. Beides Chirurgen mit nicht unerheblichem | |
Geltungsdrang, leben sie ihre fragilen Komplexe doch ganz unterschiedlich | |
aus. Oder Matt, der neue Pfleger aus Montana, der sich von seiner | |
religiösen Familie losgesagt hat. | |
## Sarkastisch gehobene Augenbraue | |
Wie für eine „Workplace [3][Comedy]“ typisch, entsteht der Witz durch die | |
Eigenheiten der einzelnen Charaktere, die sich im Verlauf der Serie | |
weiterentwickeln. Die Jokes laden weniger zum lauten Loslachen ein, eher zu | |
einer sarkastisch gehobenen Augenbraue. Freundlich, irritierend, | |
meisterlich flach. „St. Denis Medical“ erinnert ein bisschen an „The | |
Office“, nur im Krankenhaus und mit einem netteren, weniger zynischen | |
Gesicht. | |
Die kurzen Interview-Segmente und das Durchbrechen der vierten Wand, der | |
imaginäre Trennung zwischen Schauspiel und Zuschauenden,ist beides typisch | |
für eine Mockumentary. | |
Rhythmus und Humor sind nach kürzester Zeit vertraut, als wäre die Serie | |
nicht neu, sondern als existierten bereits mehrere Staffeln. Auch die | |
Farbgebung – schal, hell, sepia – erinnert an die Sitcoms der 2000er Jahre. | |
Neben dem gut gewählten Cast liegt das wohl auch an ihren Machern, Justin | |
Spitzer und Eric Ledgin. Die beiden stehen bereits hinter der erfolgreichen | |
Sitcom „Superstore“, die seit 2015 das Leben von Angestellten eines großen | |
Verbrauchermarktes persifliert und mittlerweile sechs Staffeln umfasst. | |
Davon ist „St. Denis Medical“ zwar noch weit entfernt – bisher gibt es nur | |
die 18 Folgen der ersten Staffel. Doch wegen eines erfolgreichen | |
Serienstarts in den USA mit durchschnittlich 3,9 Millionen | |
Zuschauer:innen hat NBS immerhin bereits eine zweite zugesagt. | |
## Die Abgründe des US-amerikanischen Gesundheitssystems | |
Der Erfolg in den USA dürfte auch an der intelligenten Themensetzung | |
liegen, bei der durch die Alltagsproblemchen immer wieder die Abgründe des | |
US-amerikanischen Gesundheitssystems hervorscheinen. Profitorientierung im | |
Gesundheitssystem, lange Wartzeiten, Folgen der Corona-Epidemie, | |
Überlastung, Obdachlosigkeit, Opioidkrise. | |
So nimmt Alex gleich zu Beginn einem Patienten, der wegen seiner dritten | |
Überdosis mal wieder ins St. Denis eingeliefert wurde, das Versprechen ab, | |
von den Drogen die Finger zu lassen. Und testet sein Wort, als sie ihm eine | |
Sekunde später anbietet, Pillen an ihn verticken zu können. Der Patient | |
springt sofort darauf an. | |
Diese Kombination von Krankenhaus und Comedy ist das Interessanteste und | |
auch Schwierigste an „St. Denis Medical“. Die überwältigenden | |
Strukturprobleme des Spätkapitalismus, auf denen die Klinikangestellten | |
surfen, erfordern Galgenhumor – von Charakteren und Zuschauenden. Nicht | |
immer funktioniert der Wechsel zwischen herzerwärmenden Szenen und überall | |
lauerndem Chaos. Doch genau diese Atonalitäten machen die Serie auch | |
besonders zeitgenössisch. | |
1 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Amelie Sittenauer | |
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