# taz.de -- Urteil gegen Le Pen: Jetzt auch offiziell unwählbar | |
> Die Rechtsextreme kann in Frankreich 2027 nicht als | |
> Präsidentschaftskandidatin antreten. Nur: Das könnte ihrer Partei auch | |
> Aufwind verschaffen. | |
Bild: Madame ist empört: Marine Le Pen verlässt vorzeitig den Gerichtssaal | |
Paris taz | Noch vor dem Ende der Urteilsverkündung hat Marine Le Pen | |
kommentarlos, sichtlich aufgebracht und mit verbissener Miene das Pariser | |
Strafgericht verlassen. Zuvor soll sie im Saal empört gesagt haben: | |
„Unglaublich!“ Sie hatte ganz offensichtlich nicht damit gerechnet, dass | |
das Gericht es wagen werde, sie nach einem [1][Schuldspruch wegen | |
Veruntreuung] mit sofortiger Wirkung auch für unwählbar zu erklären. | |
Das hatte freilich bereits die Staatsanwaltschaft für die Rechtspopulistin | |
und andere der insgesamt 25 Angeklagten am Ende des Gerichtsverfahrens | |
beantragt, ergänzend zu den nur teilweise auf Bewährung ausgesetzten | |
Haftstrafen. Das Gericht hat sich nun weitgehend an diese Anträge gehalten. | |
Das Rassemblement National wird als Partei mit 1 Million Euro Busse | |
bestraft. | |
Dass Politiker in Frankreich wegen einer Verurteilung für eine befristete | |
Zeit ihre bürgerlichen Ehren und somit ihr passives Wahlrecht verlieren, | |
kommt und kam immer wieder mal vor. Im Fall von Marine Le Pen aber geht um | |
eine Politikerin, die als Präsidentin kandidieren wollte, die derzeit laut | |
allen Umfragen mit rund 35 Prozent klar vor allen anderen liegt und bei | |
ihrem vierten Versuch 2027 echte Chancen gehabt hätte, nach Emmanuel Macron | |
Frankreichs Staatspräsidentin zu werden. Diese vierte Kandidatur wird nun | |
durch den Gerichtsentscheid verhindert. Drei Mal war sie zuvor gescheitert, | |
hatte aber bei jedem Mal mehr Stimmen erhalten. | |
## Auch Le Pens Schwester betroffen | |
Marine Le Pen ist nun zu vier Jahren Haft, davon zwei Jahre auf Bewährung, | |
und 100.000 Euro Geldbuße verurteilt worden. Vor allem aber trifft es sie, | |
dass sie mit diesem Richterspruch ab sofort und für 5 Jahre ihr passives | |
Wahlrecht verliert. Das dürfte sie auch im Fall, dass sie Berufung einlegt, | |
daran hindern, 2027 erneut zu kandidieren. Auch andere, ebenfalls zu | |
Haftstrafen und Bußen verurteilte Mitangeklagte verlieren laut Urteil für | |
eine Frist zwischen 18 Monaten und drei Jahren ihre Wählbarkeit. Zu ihnen | |
gehört auch Marine Le Pens politisch aktive Schwester Yann. | |
Einige müssen voraussichtlich ihre lokalen Ämter abgeben, so beispielsweise | |
Marine Le Pens Ex-Lebenspartner Louis Aliot, der derzeit Bürgermeister der | |
südfranzösischen Stadt Perpignan ist und der für drei Jahre seine | |
bürgerlichen Ehren verliert. Die Abgeordneten der Nationalversammlung | |
hingegen, unter ihnen Marine Le Pen, behalten ihr 2022 errungenes Mandat in | |
der nationalen Parlamentskammer. | |
Oft heißt es ja im Volksmund aus Misstrauen: Die Großen lässt man laufen. | |
Darauf entgegnete im Voraus Gerichtspräsidentin Bénédicte de Perthuis: „Die | |
Volksvertreter genießen keine Privilegien, es gibt für sie keine Form von | |
Straffreiheit.“ Offenbar erachtete sie es als sinnvoll, sich gegen die | |
absehbaren Einwände aus politischen Kreisen zu rechtfertigen. | |
Für das Gericht ging es strikt dem Strafgesetz folgend um Veruntreuung | |
öffentlicher Gelder und illegaler Parteifinanzierung im Wert von 4,6 | |
Millionen Euro in 40 Fällen, Gegenstand waren Verträge für (angebliche) | |
parlamentarische Mitarbeiter*innen von EU-Abgeordneten der | |
rechtsextremen Partei in drei Amtsperioden von 2004 bis 2016. | |
Es standen nicht politische Meinungen, Strategien oder Ambitionen vor | |
Gericht, sondern eine Parteiführung, die angesichts ihrer Finanznöte eine | |
„systematischen“ Veruntreuung von EU-Geldern organisierte, die | |
ausschließlich für die Bezahlung parlamentarischen Mitarbeiter*innen | |
der EU-Abgeordneten bestimmt sind. 21.000 Euro pro Monat hat jedes Mitglied | |
des Europaparlaments dazu zur Verfügung. Dafür müsste auch eine | |
entsprechende Arbeit geleistet werden. | |
Die Strafuntersuchung hat indes ergeben, dass in den Jahren 2004 bis 2016 | |
in den vorliegenden Fällen die als parlamentarische Mitarbeiter*innen | |
Angestellten nie oder so gut wie nie für die belegbare Aktivitäten der | |
RN-Abgeordneten in Straßburg eingesetzt wurden, sondern für die | |
Parteiführung in der Hauptstadt tätig waren. | |
Ein Beispiel neben anderen war laut der Anklage die heutige RN-Abgeordnete | |
Catherine Griset. Sie bezog dank der Subvention aus Brüssel ihren Lohn von | |
2010 bis 2016 vertragsgemäß als parlamentarische Assistentin von Marine Le | |
Pen, war aber in Wirklichkeit deren Kabinettschefin in der Parteizentrale | |
in Nanterre bei Paris. | |
In der Vergangenheit waren in Frankreich bereits zahlreiche Politiker wegen | |
illegaler Finanzierung verurteilt und andere politische Parteien wegen | |
solchen Veruntreuungspraktiken mit „fiktiven“ Arbeitsverträgen vor Gericht | |
gestellt und verurteilt worden. Auch die Partei des [2][gegenwärtigen | |
Premierministers François Bayrou], der selber straflos davonkam. In keinem | |
der bekannten Präzedenzfälle aber ging es um so viel Geld und so viele | |
Beteiligte. Im Prozess wurden Dokumente vorgelegt, die keinen Zweifel daran | |
ließen, dass die Parteispitze nicht nur Kenntnis dieser illegalen | |
Finanzierung hatte, sondern diese auch von Beginn an organisierte. | |
## Großer Andrang im Gerichtssaal | |
Die eventuelle Aussicht, dass mit dem Gerichtsurteil die chancenreichste | |
Kandidatin der Präsidentenwahl 2027 im voraus aus dem Rennen eliminiert | |
würde, hatte eine große Zahl Beobachter und Reporterteams auch aus dem | |
Ausland in den modernen Justizpalast an der Porte de Clichy gelockt. Die | |
Gerichtspräsidentin hatte die ungeduldigen Medien zu Beginn gewarnt, es | |
werde mit dieser Urteilsverkündung für die insgesamt 25 Angeklagten | |
vielleicht „ein bisschen lange dauern“. | |
Doch bald schon erfuhr man auch außerhalb des Gerichtssaals, dass 8 | |
ehemalige oder derzeitige EU-Abgeordnete des Rassemblements National | |
(vormals Front National), unter ihnen Marine Le Pen, der mehrfachen | |
Veruntreuung von EU-Geldern für parlamentarische Mitarbeiter für schuldig | |
erklärt würden. Dann platzte die „Bombe“ mit dem sofortigen Verlust des | |
passiven Wahlrechts. | |
Pikanterweise waren es dieselben Parlamentarier, die heute nun zum Teil | |
gegen die Macht und Einmischung der Justiz protestieren, welche diese | |
Maßnahme einst als Gesetzgeber verabschiedet haben – um Politiker durch die | |
Abschreckung der Zusatzstrafe moralischer zu machen. | |
Für das RN stellt sich nun die Frage, wer an Stelle von Le Pen für die | |
extreme Rechte bei den Präsidentschaftswahlen antreten soll. Als | |
Ersatzmann gilt selbstverständlich der von ihr selber als Thronfolger an | |
die Parteispitze beförderte [3][Jordan Bardella]. Er ist zwar populär in | |
rechten Kreisen, aber dennoch etwas unerfahren und wohl kaum so | |
schlagfertig als Kandidat wie Le Pen. Mit der richterlichen Elimination hat | |
er plötzlich freie Bahn. | |
Marine Le Pen ist für ihre Partei ein Opfer und eine Märtyrerin. Nachdem | |
das RN sich unter Marine Le Pens Führung mit einer Verharmlosungsstratgie | |
ständig bemüht hatte, ihr Extremismuslabel loszuwerden und „salonfähig“ … | |
erscheinen, könnten die Proteste der Sympathisanten gegen einen unfairen | |
und als „undemokratisch“ empfundenen Entscheid eine weitere Radikalisierung | |
bewirken. | |
Der französische Rechtsradikale Eric Zemmour stellt etwa die Autorität der | |
Justiz in Frage: „Es ist nicht an der Justiz zu entscheiden, für wen das | |
Volk stimmen soll.“ Der mit Marine Le Pen befreundete italienische | |
Rechtsaußen [4][Matteo Salvini] fühlt sich wegen des Urteils in einen | |
„schlechten Film“ versetzt. Der ungarische Premierminister Viktor Orbán | |
lancierte auf X den solidarischen Slogan „Je suis Marine.“ In Moskau | |
betrachtet der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow die Verurteilung als | |
„Verletzung demokratischer Normen“. | |
In den Reihen der politischen Linken gab man sich eher zurückhaltend. Zwar | |
meinte die Fraktionschefin der Grünen in der Nationalversammlung, Cyrielle | |
Chatelain, schadenfroh, es sei bloß „normal, wenn jemand, der den Franzosen | |
Geld klaut, bestraft wird“, der Parteichef der Fraktion der France | |
insoumise, Manuel Bompard, sagte jedoch, seine Linkspartei bekämpfe die | |
extreme Rechte lieber via Wahlurne und auf der Straße. | |
31 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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