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# taz.de -- Urteil gegen Marine Le Pen: Populistische Wut am Köcheln halten
> Die rechtsextreme Marine Le Pen wurde wegen Veruntreuung verurteilt.
> Dennoch will sie daran festhalten, für die französische Präsidentschaft
> 2027 zu kandidieren.
Bild: Paris, 1. April 2025: RN-Chefin Marine Le Pen stellt sich den Fragen der …
Paris taz | Seit der Urteilsverkündung am vergangenen Montag protestieren
Marine Le Pen und ihre Anhänger in den schrillsten Tönen. Ihnen geht es um
die schreiende Ungerechtigkeit, die der Chefin des rechtsextremen
Rassemblement National (RN) mit dem strengen Richterspruch angeblich
widerfahren sei. Die Demokratie, der Rechtsstaat, die Freiheit der Wähler,
ja sogar die nationale Unabhängigkeit werde mit Füßen getreten, poltern
sie. Und die Betroffene selbst zetert, ihre Gegner wollten mit dem
sofortigen Entzug des passiven Wahlrechts gegen sie die politische
„Atombombe“ einsetzen.
Maßlos sind auch Le Pens internationale Vergleiche. Sie sieht sich auf
einer Ebene mit dem rumänischen Präsidenten, dessen Wahl wegen russischer
Manipulationen für ungültig erklärt wurde. Oder mit den Opfern der
Repression in der Türkei, in Russland, Venezuela und in Iran. Ihre
Parteisprecher schimpfen in allen Fernseh- und Rundfunksendern über eine
„Diktatur der Richter“ und „Tyrannei“ in Frankreich. Alles passe nahtlos
ins Bild einer Verschwörung gegen eine Politikerin, die mit anderen Mitteln
nicht am Erlangen der Macht gehindert werden könne.
Am Wochenende wollen ihre Anhänger in Paris und in vielen Provinzstädten
demonstrieren. Auf Plakaten und Flugblättern des RN wird Le Pen als Opfer,
als Märtyrerin eines Komplotts ihrer Erzfeinde stilisiert. „Was derzeit
abgeht, ist ein so demokratischer Skandal, so beschämend und so ein
Schandfleck für unser Land!“, so Le Pen in einer TV-Ansprache. Sie setzt
darauf, dass dank der lauten Proteste nicht die gerichtlich verurteilten
Delikte Anstoß erregen, sondern der Richterspruch und dessen Folgen für die
Betroffenen.
## Schmerzhaftes Urteil für Le Pen
Die Taktik scheint erfolgreich: Seit Beginn der Woche wird vor allem über
die Konsequenzen des Urteils für Marine Le Pen diskutiert. In der Tat sind
diese für sie sehr schmerzhaft, weil sie [1][aller Wahrscheinlichkeit nach
2027 nicht erneut für die Präsidentschaft kandidieren kann.] Aber das
Wesentliche wird vergessen: Le Pen wurde wegen schwerwiegender
Strafvergehen verurteilt. Diese konnten vor allem durch eine Untersuchung
der EU-Antikorruptionsbehörde aufgedeckt werden.
[2][Ähnliche Prüfungen liefen] oder laufen noch gegen andere französische
Politiker, darunter der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon. Auch die
Zentrumspartei MoDem des gegenwärtigen französischen Premiers François
Bayrou ist im Visier der Behörden.
Seit der ersten Prozesse wegen illegaler Parteienfinanzierung gegen die
Sozialisten in den 90er Jahren und dann gegen die Neogaullisten von Jacques
Chirac kennt die französische Justiz für die Finanzdelikte der Politiker
keine Nachsicht. Der zweifach verurteilte Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, der
in einem dritten Verfahren wegen Bestechungsgeldern aus Libyen eine
mehrjährige Haftstrafe verbüßen muss, kann ein Lied davon singen. Auch der
für Finanzdelikte von Politikern vom Gesetz vorgesehene Entzug der
Wählbarkeit wird in Frankreich regelmäßig angeordnet. Ohne dass deswegen
jedes Mal Protestgeheul ausbricht.
## Die populistische Rechte schürt Ressentiments
Die Wahlgesetzgebung in zahlreichen europäischen Ländern sieht ebenfalls
vor, dass nach einer strafrechtlichen Verurteilung zu Haftstrafen keine
Wahl in ein Amt oder für ein repräsentatives Mandat möglich ist. Ein
Sonderfall ist Frankreich nur, weil der befristete Verlust der Wählbarkeit
für bestimmte Finanzdelikte als „obligatorische“ Zusatzstrafe im
Strafgesetz steht und vom Richter nach Ermessen bei gravierenden Umständen
– und unabhängig von einer Revision – mit sofortiger Wirkung in Kraft
gesetzt werden kann.
Le Pen wurde wegen eines Systems an Unterschlagung und Veruntreuung von
rund 4,6 Millionen Euro und zusammen mit einer „Bande“ von mehr als 20
Mitbeteiligten schuldig gesprochen. Sie wurde zu vier Jahren Haft (zwei auf
Bewährung und zwei mit elektronischer Fußfessel) verurteilt. Der
Prozessverlauf und die detaillierten Beweise und Belege der Anklage
berechtigen Le Pen nicht, sich als Opfer von Willkür aufzuspielen. Genau
das tut sie aber, um von ihren illegalen Machenschaften abzulenken.
Wenig überraschend schürt die populistische Rechte – ähnlich wie man es von
US-Präsident Trumps Wahlkampagne kennt – Ressentiments gegenüber
staatlichen Institutionen, vor allem gegenüber der Justiz. Le Pen geht
jetzt in Berufung und kündigt Beschwerden beim Verfassungsgericht und beim
Europäischen Menschenrechtsgerichtshof an. Viel Erfolg dürfte sie wohl
nicht haben, auch wenn das Pariser Berufungsgericht ihr bereits mitteilte,
der zweite Prozess werde noch im Frühling organisiert, damit sie vielleicht
mit einem Urteil im Sommer 2026 rechnen könne.
## Radikalisierung des RN
Parallel dazu versucht der mit Le Pen [3][verbündete Rechtsnationale Éric
Ciotti] im französischen Parlament einen Antrag durchzubringen, der den
Wählbarkeitsentzug (den die Abgeordneten 2016 mit den Stimmen des RN im
Strafgesetz verankert hatten) für sie noch rechtzeitig außer Kraft setzen
soll. Es ist sehr fraglich, ob eine parlamentarische Mehrheit bereit wäre,
ein Justizurteil auszutricksen.
Priorität für die extreme Rechte ist es nicht, Recht zu bekommen, sondern
die Wut am Köcheln zu halten. Die von Marine Le Pen seit Jahren mit
beachtlichem Erfolg eingeschlagene [4][Linie der Normalisierung], um aus
der Isolierung herauszukommen und für die bürgerliche Rechte akzeptabel zu
werden, war offenbar bloß Fassade.
Seit dem Urteil hat sich das gemäßigt auftretende Rassemblement National
binnen Stunden wieder in den rechtsradikalen Front National
zurückverwandelt.
5 Apr 2025
## LINKS
[1] /Urteil-gegen-Marine-Le-Pen/!6075795
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[3] /Frankreich-vor-den-Parlamentswahlen/!6014477
[4] /Urteil-gegen-Marine-Le-Pen/!6076324
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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