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# taz.de -- Ischgl nach Corona: Einer geht noch
> Vor fünf Jahren wurde Ischgl zum Synonym für den verantwortungslosen
> Umgang mit der Coronapandemie. Wie steht es heute um die
> Après-Ski-Hochburg?
Bild: Da war an Corona noch nicht zu denken: eine Aufnahme von 2014 aus Lois He…
Über 50 Mal zum Skilaufen in denselben Ort, das schafft auch nicht jeder.
Jürgen Stang schon. Seit 1991 reiste der Maurermeister aus Langenfeld nahe
Leverkusen nach Ischgl in Tirol: Weihnachten, Ostern, und wenn es ging,
noch mal zwischendurch. Sogar seine zweite Frau lernte Stang, heute 62
Jahre alt, dort kennen. „Ein so gutes Skigebiet finden Sie in Österreich
nicht noch mal“, sagt er.
Zum letzten Mal in Ischgl war Stang 2020, mit zwei Freunden und vier
Kollegen. Am 7. März kam die Gruppe im Paznauntal an. Eine Woche wollten
sie bleiben. Die österreichischen Behörden wussten da schon seit drei
Tagen, dass sich 14 Isländer:innen in der letzten Februarwoche in
Ischgl mit Covid-19 angesteckt hatten.
Dennoch dauerte es bis zum 13. März 2020, bis die österreichische
Bundesregierung Ischgl und das Paznauntal zum Risikogebiet erklärte und
eine Quarantäne verhängte. In dieser Woche jährt sich der Ischgl-Ausbruch
zum fünften Mal. Die kleine Gemeinde und das Bundesland Tirol wurden damals
international zum Synonym für den verantwortungslosen Umgang mit der
Pandemie.
## Ein Jahr lang kam er Treppen nicht hoch
Auch Jürgen Stang infizierte sich in Ischgl und erkrankte schwer. Es
dauerte ein Jahr, sagt Stang, bis er wieder Treppen laufen konnte wie
zuvor. Er zog bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um
die Behörden zur Verantwortung zu ziehen.
„Man hätte Zeit genug gehabt, den Schlagbaum an der Einfahrt zum Paznauntal
runterzumachen. Sache erledigt“, sagt Stang. „Wir wären dann eben nächstes
Jahr gefahren, kein Problem.“ Doch nach der Mitteilung aus Reykjavík
wiegelte das Land Tirol ab und behauptete in einer Pressemitteilung, dass
die Isländer sich „erst im Flugzeug bei der Rückreise“ angesteckt haben
dürften. „Falsch und irreführend“ war dies, steht später im
Untersuchungsbericht einer unabhängigen Expertenkommission.
So verbringen Jürgen Stang und etwa 15.000 weitere Gäste die Woche zunächst
arglos im Paznauntal. Als die Behörden die ersten Aprés-Ski-Bars schließen,
geht man eben in die Lokale, die geöffnet blieben. „Die Leute wollten ja
was essen, ein Bier trinken“, sagt Stang.
Am 13. März spürt Stang beim Frühstück leichtes Fieber. Zum Mittagessen
sitzt er mit seinen Freunden auf der Idalp, einem Bergrestaurant mit den
Dimensionen einer Großkantine, als 600 Kilometer weiter östlich in Wien der
damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz eine Pressekonferenz gibt. Kurz
erklärt, dass er dem Virus „geografisch punktgenau gegensteuern“ wolle.
Unter anderem werde deshalb das Paznauntal „ab sofort isoliert“.
Wie so oft wollte Kurz sich als Macher zeigen und hatte diese
Quarantäne-Entscheidung mit niemand besprochen. Die lokalen Behörden
erfahren davon aus dem Fernsehen. Die sich anschließende chaotische
Massenabreise, teils in restlos überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln,
gilt als eine der Haupt-Infektionsquellen des Ischgl-Covid-Clusters.
## Nach zwei Wochen im Rollstuhl aus der Klinik
Jürgen Stang und seine Freunde taten, was alle Urlauber in Ischgl taten:
Sie sahen zu, dass sie noch wegkamen. „Wir sind schnell runter in die
Pension, Klamotten gepackt, ab ins Auto.“ 720 Kilometer sind es zurück nach
Langenfeld. Die Gruppe fährt durch, ein Tankstopp wird am Automaten
bezahlt: „Nicht dass wir noch wen in der Tankstelle anstecken, haben wir
gedacht.“
Zu Stangs Fieber kommt unterwegs Schüttelfrost. Am Samstag weist ein Test
im Leverkusener Krankenhaus die Covid-Infektion nach. Am folgenden
Donnerstag bringt ihn ein Krankenwagen in die Langenfelder LVR-Klinik. Eine
Röntgenaufnahme zeigt eine beidseitige Lungenentzündung. „Das ist, als ob
du nur durch einen Strohhalm Luft kriegst. Du hast eine wahnsinnige
Erstickungsangst“, sagt Stang. Erst Ende März wird er aus der Klinik
entlassen, [1][im Rollstuhl, um 12 Kilo abgemagert].
Beim österreichischen Verbraucherschutzverein haben sich bis zum Sommer
2020 über 6.100 Menschen und Angehörige gemeldet, die nach einem Skiurlaub
in Tirol an Covid-19 erkrankten. Drei Viertel der Betroffenen waren in
Ischgl. Etwa 30 der Erkrankten starben, rund die Hälfte der Toten habe sich
in Ischgl direkt infiziert, die andere Hälfte sei durch Rückkehrer
angesteckt worden, so schätzt es der Chef des Verbraucherschutzvereins,
Peter Kolba. Rund 11.000 Infektion seien insgesamt auf Ansteckungen in
Ischgl zurückzuführen, [2][heißt es in österreichischen Medien].
232 Menschen haben deshalb die österreichischen Behörden auf
Millionensummen verklagt, einer davon ist Jürgen Stang. Doch bis Mai 2023
wiesen die österreichischen Gerichte ausnahmslos alle Klagen zurück. Im
Dezember 2023 zog Stang vor den Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte. Denn Ischgl habe „nur aus wirtschaftlichen Gründen“ den
Betrieb weiterlaufen lassen, glaubt er. Damit seien nicht nur die
Touristen, sondern auch die eigene Bevölkerung und die vielen
Saisonarbeiter in Gefahr gebracht worden. „Eine Entschuldigung kam nie“,
sagt Jürgen Stang.
Wer heute mit der Gemeindeverwaltung Ischgl darüber sprechen will, wie sie
heute auf diese Zeit zurückblickt, welche Spuren die Ereignisse
hinterlassen haben, kriegt kein Interview, sondern eine E-Mail: Die
Pandemie „gehört der Vergangenheit an“, steht darin. Das Virus sei „nicht
nur in Ischgl, sondern weltweit zum Ausbruch gekommen“, das Thema „stößt
auf kein weitergehendes Interesse mehr“. Der Tonfall gleicht jenem des
Auftritts des damaligen ÖVP-Gesundheitslandesrates Bernhard Tilg, der
damals sagte, die Behörden hätten „alles richtig gemacht“.
Die 1.600-Einwohner-Gemeinde hat ihr Zentrum einem Gebäudekomplex geopfert,
der an ein mehrstöckiges Flughafenterminal mit angeschlossenem Parkhaus
erinnert. An einem Dienstag im Februar sind alle Parkplätze hier belegt,
ebenso wie praktisch alle rund 12.000 Betten der fast 400 Unterkünfte. Die
Pardatschgratbahn führt von hier in die grandiosen Gipfel der Samnauner
Alpen, das Skigebiet gilt als eines der besten der Welt.
Auch wenn sich das Ansteckungsgeschehen nach Expertenmeinung wohl auf den
gesamten Ort verteilte, wird der Ischgler Covid-Ausbruch vor allem mit
einem Namen in Verbindung gebracht: dem „Kitzloch“, einer mit schweren,
dunklen Balken auf Hüttenoptik getrimmten Après-Ski-Bar neben dem
Liftausgang im Ortskern. Auf der Karte stehen hier Austern und teure
Wagyū-Burger. Weil die Bar durch die Pandemie noch berühmter geworden ist,
hat der Betreiber ein großes lilafarbenes Holzherz mit dem Logo vor der Tür
anbringen lassen, damit die Leute es mit den Selfies leichter haben.
## Im „Kitzloch“ läuft es längst wieder rund
Am frühen Nachmittag sind die meisten Touristen noch oben auf dem Berg,
unten am Liftausgang steckt ein DJ die Kabel seiner Anlage zusammen. Im
Kitzloch liegt auf fast allen Tischen ein „Reserviert“-Schild, es läuft
Metallica, am Tresen wartet ein Fotograf. Die Presse aus Wien hat ihn
geschickt, um vom Betreiber Bernhard Zangerl ein Bild zu machen. „Ich hab
die gefragt, ob er auch schön schuldig dreinschauen soll“, sagt der
Fotograf.
Zangerl ist 31, ein freundlicher Typ. Für das Foto lehnt er sich an das
Herz vor der Tür, schuldig schaut er dabei nicht. Er trägt die blonden
Haare lang, dazu Cap, Hoodie, weite Hose. Er sieht aus wie die
Snowboardfahrer im Ort.
„Es war eine sehr spezielle Situation, auf einmal vor der ganzen Welt
Rechenschaft geben zu müssen“, sagt Zangerl dann. Er habe „offen auftreten…
wollen, „das hat den Effekt gehabt, dass über uns sehr viel berichtet
worden ist“. Selbst auf CNN war vom Kitzloch die Rede. Denn die ersten drei
Covid-Fälle in Tirol waren drei norwegische Erasmus-Studenten, die im
Kitzloch waren und am 5. März positiv getestet wurden. Am 7. wurden ein
Kellner, am 9. dann 14 Mitarbeiter und ein Gast des Kitzlochs positiv
getestet. Dann ordnete die Polizei endgültig die Schließung an.
Warum er nicht schon früher zugemacht habe? „Wir haben täglich mit den
Behörden kommuniziert und darauf vertraut, dass die Experten uns die
richtigen Anweisungen geben“, sagt Zangerl. „Es tut uns um jeden leid, der
sich angesteckt hat. Aber jetzt sind wir umso mehr froh, dass die Menschen
wieder gemeinsam hier Zeit verbringen können.“ Er hoffe, das Rekordniveau
von 2018/19 diese Saison wieder zu erreichen.
Rund 2,3 Millionen Übernachtungen verzeichnete Ischgl im vergangenen
Winter, fast 50 Millionen sind es in ganz Tirol. Gute 6 Milliarden Euro
„touristische Wertschöpfung“ bringt das pro Jahr.
Der Journalist Sebastian Reinfeldt hat ein Buch über die Ereignisse in
Ischgl geschrieben. Der Titel: [3][„Alles richtig gemacht“]. Auf seiner
Seite „[4][semiosis.at]“ hat Reinfeldt die „Ischgl-Files“ dokumentiert.…
Reinfeldt ist klar: Die Behörden hätten den Betrieb „mutwillig weiterlaufen
lassen“. Die Lage sei „schöngeredet worden“, mit dem „klaren Ziel, das
vorzeitige Ende der Wintersaison hinauszuzögern“. So sehen es viele, auch
in Tirol selbst.
Der ÖVP-Politiker Franz Hörl empfängt in seinem palastartigen
4-Sterne-Hotel in Gerlos, im Osten Tirols. In der Gaststube sitzend, kann
er sich noch genau an den Nachmittag erinnern, an dem darüber entschieden
wurde, ob und wie die Wintersaison endet. Es war der 12. März. Eine Woche
nachdem die ersten Meldungen aus Island kamen. „Da bin ich einbestellt
worden, zum Landeshauptmann“, sagt der Hotelier und frühere
Nationalratsabgeordnete.
Hörl ist einer der wichtigsten Vertreter der Tiroler Tourismuswirtschaft,
wenn er die Gremien aufzählt, in denen er für sie sitzt, kommt man
irgendwann nicht mehr hinterher. An jenem Nachmittag sei die Situation so
gewesen: Die Landesregierung wollte ab dem folgenden Wochenende den Betrieb
in ganz Tirol für den Rest der Saison stoppen. 250.000 Gäste wären sonst am
Samstag, den 14. März neu angereist. Die sollten nicht mehr kommen.
„Die Entscheidungsgrundlage war dünn, und die Frage war: Ist es
verhältnismäßig oder nicht?“, sagt Hörl. „Es zählt ja nicht, was man
hinterher weiß, sondern das, was man damals wusste.“ Aber am Abend des 12.
März sei dann allen klar gewesen: Es geht nicht anders. „Mutig“ sei das vom
Landeshauptmann gewesen, sagt Hörl. Im Auto auf der Rückfahrt habe ihn der
Vorstand einer Seilbahngesellschaft angerufen. „Du trägst das mit?“, habe
er gefragt. Es sei „alternativlos“ habe er geantwortet. Der Vorstand habe
ihm daraufhin vorgeworfen, Schuld daran zu sein, dass „450 Mitarbeiter und
Familien in den wirtschaftlichen Untergang getrieben“ werden.
Untergang? Nach Jahrzehnten sprudelnder Einnahmen? Die Pandemie hat
gezeigt, wie selbstverständlich Tirol auf die enormen Einnahmen des
Wintersports eingestellt, ja von ihnen abhängig ist.
Nach dem Infektionsausbruch hofften viele, dass die Region sich neu
aufstelle: nachhaltiger, ökologischer, ruhiger. Mehr Wandern, weniger
Jagertee und Saufmusik. Après-après-Ski gewissermaßen. Die
millionenschweren staatlichen Coronahilfen wurden als Hebel gesehen, die
Tourismuswirtschaft zu einer Neuorientierung zu bewegen – am besten zu
einer, die auch gleich noch ökologisch ist.
Franz Hörl sagt, seine Oma habe den Après-Ski in Tirol quasi erfunden, er
selbst habe bis 2004 ein solches Lokal betrieben. Seine Frau kommt in die
Gaststube, ruft ihn zu den Handwerkern. „Sie können sie ja mal fragen, was
sie dazu sagt“, sagt Hörl und geht hinaus.
„Ich hasse Après-Ski“, sagt Margot Hörl dann. „Früher haben wir das au…
gemacht. Die Leute kamen vom Berg, tranken zwei Bier, um 18 Uhr war Schluss
– okay.“ Aber heute „ist das ja fast kriminell, Hasch, saufen, bis ein Uhr
früh. Erst gestern haben die Besoffenen wieder eine Lampe abgefetzt.“
An dem Geschäft hänge er nicht, sagt auch Franz Hörl, als er zurückkommt.
Viele hätten darauf gesetzt, Après-Ski nach der Pandemie „umzudrehen“,
meint er. Es gab runde Tische bei der Landesregierung; das Management
Center Innsbruck, eine Privatuni, habe Konzepte entwickelt. „Ich stünde
diesen Ideen nicht entgegen,“ sagt Hörl. „Am Ende des Tages aber hat der
Kunde entschieden: Er will es so haben, wie es ist.“
In Ischgl sieht Kitzloch-Wirt Bernhard Zangerl das ähnlich. Auch er hat an
den runden Tischen teilgenommen. „Man kann sicher drüber diskutieren; aber
so, wie es bei uns ist, schätzt der Gast es am meisten. Sie kriegen hier in
der Hauptsaison nie ein freies Zimmer, das muss ja irgendwo auch passen,
sonst wäre das ja nicht so.“
Der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner hat die Schattenseiten der
„enthemmten und zügellosen Urlaubswelt“ dokumentiert, wie es in seinem
Fotobuch „Ischgl“ heißt. Das Virus, so glaubt Hechenblaikner, konnte sich
da, wo „Exzesse nicht die Ausnahme, sondern die Regel“ sind, besonders gut
ausbreiten.
Dass die Versuche, eine neue Art von Tourismus aufzubauen, an der stabilen
Nachfrage für die alte Art scheiterten, wundert ihn nicht. Hechenblaikner
glaubt, dies hänge mit der „deutschen Seele“ zusammen. Denn die sei
„eingesperrt“, so sagt er, „zu Glanzleistungen fähig, aber sie wird nur
dann belohnt“. Der Exzess in Tirol sei ein „Überdruckventil für die
Leistungsgesellschaft“, das die deutschen Tourist:innen dankend
annehmen: 54 Prozent der Skitouristen in Tirol kommen aus Deutschland Und
„Druckablassen gegen Bezahlung“ – das sei auch deshalb ein besonders
lohnendes Business, weil beim Alkohol die Gewinnmarge für die Wirte am
höchsten ist.
Es sei wahr: Die Après-Ski-Wirte stünden „nicht draußen mit der Peitsche,�…
sagt Hechenblaikner. „Man geht da freiwillig hin.“ Doch das Geschäftsmodell
habe Folgen: Schlägereien, Gewalt gegen Rettungskräfte und „xenophobe
Rückkopplung“, wie er es nennt. „Das ist das Schlimmste im Tourismus: dass
man jene zu hassen beginnt, von denen man lebt“. Tirol sei „nicht so auf
die Welt gekommen“, doch nach der Pandemie seien beide Seiten, die Gäste
und die Wirte, sofort in die ganzen alten Muster zurückgefallen. „Wie ein
Drogenabhängiger, der rückfällig wird.“
Angefangen hat der Ski-Boom vor ungefähr hundert Jahren. 1930 eröffnete die
Familie des Kitzloch-Chefs Bernhard Zangerl ihren ersten Gasthof. Damals
war das Paznauntal, wie fast die gesamten Tiroler Alpen, eine bettelarme
Gegend. Dann kamen die ersten Skilifte und mit ihnen der Reichtum. Heute
betreiben die Zangerls sechs Lokale und Restaurants, ein Hotel und einen
Bergbauernhof, beschäftigen 170 Mitarbeiter:innen aus 20 Ländern.
Bernhard Zangerl hat sich während der Pandemie überlegt, politisch aktiv zu
werden, „für unsere Zukunft Verantwortung direkt selber in die Hand
nehmen“. Er gründete mit Freunden und Bekannten aus Ischgl eine politisch
mittig stehende Wahlliste namens „B’sinna“. Bei den Kommunalwahlen im
Februar 2022 bekam sie fast 60 Prozent der Stimmen. Zangerl ist nun
Gemeinderat und -vorstand, zuständig für Bau und Verkehr.
Wie genau stellt er sich die „Verantwortung für die Zukunft“ vor? Man müs…
den Klimawandel ernst nehmen, sagt Zangerl, sich für die Zeit Gedanken
machen, wenn es keinen Schnee gibt. Da müsse man „auch andere Sachen
anbieten, aber wenn das so einfach wäre, dann hätten wir das natürlich
schon umgesetzt“.
Auch der ÖVP-Politiker Franz Hörl setzt erst mal darauf, dass alles noch
eine Weile weitergeht. In den niedriger gelegenen Skigebieten im Osten
Österreichs wird schon heute der Schnee knapp. Die höhergelegene
Zillertal-Arena hingegen, zu der Hörls Wohnort Gerlos gehört, investiert 30
Millionen in neue Liftanlagen. „Da wären wir ja schlechte Kaufleute, wenn
wir nicht glauben würden, die noch 30 Jahre profitabel zu führen.“
Nach Auskunft von Klimawissenschaftlern sei mit einem Anstieg der
Schneefallgrenze um 200 Meter bis 2050 zu rechnen. „Das schaffen wir locker
mit den Schneekanonen.“ Was wäre denn die Alternative, fragt Hörl. „Sanft…
Tourismus?“ Das Zillertal habe 8,5 Millionen Gäste pro Jahr.
In Sachen Skiwirtschaft mag in Tirol heute vorerst wieder vieles beim Alten
sein. Politisch aber haben sich die Dinge verändert. Dass die FPÖ in
Österreich heute so stark ist wie nie – das liegt auch an der Pandemie. In
deren Frühzeit konnten den Rechtsextremen die Maßnahmen erst gar nicht hart
genug sein. Sie warfen der Regierung Untätigkeit und Überforderung vor,
klagten gar, sie halte sich nicht an die WHO-Vorgaben für „flächendeckende
Tests“.
Doch schon ab April 2020 witterte der FPÖ-Chef Herbert Kickl, dass im
wachsenden Unmut über die Infektionsschutzmaßnahmen für ihn eine
Riesenschance steckte. Die Partei drehte ihre Linie in Sachen Corona in
kürzester Zeit um 180 Grad – und lebt bis heute gut davon, den Unmut weiter
zu bewirtschaften. Den Wahlkampfauftakt zur Tiroler Gemeinderatswahl Anfang
2022 etwa absolvierte Kickl kurzerhand auf einer Innsbrucker
Querdenker-Demo. In Niederösterreich legte die FPÖ-Landesregierung gar
einen millionenschweren „Corona-Opferfonds“ auf, der unter anderem
Bußgelder wegen Verstoßes gegen Covid-Maßnahmen zurückerstattet.
## Die Rechtsextremen profitieren bis heute
Wegen der Ereignisse in Ischgl hatten sich viele in Tirol damals zu Unrecht
an den Pranger gestellt gefühlt. Die Wut auf die Medien und die Regierung
hat die FPÖ seither nach Kräften befeuert. Bis zu den Nationalratswahlen im
September 2024, so sagen es viele, blieb das Thema präsent.
Im Wahlkampf schrieb die FPÖ, sie werde „niemals vergessen, was uns die
schwarz-rot-grün-pinke Einheitspartei während Corona angetan hat“. Alle
hätten „die Österreicher drangsaliert und schikaniert“. Doch „gemeinsam…
der Bevölkerung haben wir gegen den Corona-Wahnsinn angekämpft und so den
Impfzwang zu Fall gebracht“. Am Ende stand das beste Ergebnis aller Zeiten
für die FPÖ.
Der Aktivist und Lokalpolitiker Mesut Onay sitzt für die Alternative Liste
im Innsbrucker Gemeinderat. Als in Ischgl Covid ausbrach, unterstützte er
osteuropäische Saisonarbeiter, die jedes Jahr zu Tausenden nach Tirol
kommen – und damals teils ohne Einnahmen und Unterkunft dastanden. Das
wirke sich bis heute auf das ohnehin schwierige Werben von Arbeitskräften
aus, sagt Onay bei einem Treffen in Innsbruck.
Dass die Rechtsextremen die Coronamaßnahmen erfolgreich instrumentalisieren
konnten, zeige das größte Versäumnis in der Pandemie. „Covid hat die
Probleme, die es gab, zugespitzter vor Augen geführt“, sagt Onay. Alle
seien damals für Reformen gewesen, doch: „Hauptsache, das Geld fließt in
Richtung Unternehmen. Die haben dann versprochen, sie machen nachhaltigen
Tourismus und alles.“ In der Krise seien alle Sozialisten, kaum sei die
Krise vorbei, setzten sich die Neoliberalen wieder durch. „In dieser
Ideologie ist das Private alles und der Staat ist nichts.“ Auch so komme
dann die FPÖ mit ihrer neoliberalen Ideologie ins Spiel.
„Der Turbowettbewerb ist nicht reglementiert worden“, sagt Onay. „Nach der
Pandemie hatten die Skigebiete das Gefühl, sie müssten alles wieder
aufholen.“ Man habe „nicht wieder auf Normalbetrieb umstellen dürfen“. In
Zukunft werde es mehr Krisen statt weniger geben. Darauf müsse die
Gesellschaft sich vorbereiten. „Man hätte dafür so viel aus Covid lernen
können“, sagt Onay in Innsbruck.
In Langenfeld wartet Jürgen Stang derweil weiter darauf, dass der
Gerichtshof in Straßburg seine Klage annimmt. „Juristisch wird das schwer“,
sagt Stang. „Aber ich zieh das durch bis zuletzt.“
15 Mar 2025
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[1] /Long-Covid/!6061866
[2] https://www.diepresse.com/5880583/expertenbericht-als-vorlaeufiger-hoehepun…
[3] https://buchshop.bod.de/alles-richtig-gemachto-sebastian-reinfeldt-97837519…
[4] https://www.semiosis.at/
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Christian Jakob
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