# taz.de -- Schließung trotz Betreuungsnotstand: Unwillkommen in Berlin! Klapp… | |
> Eine etablierte Unterkunft für unbegleitete minderjährige Geflüchtete in | |
> Kreuzberg muss Ende April schließen. Die Mitarbeiter sind | |
> fassungslos. | |
Bild: Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen des Jugendwohnen Urban demonstrieren… | |
Berlin taz | Die Küche im dritten Stock wurde erst vor ein paar Monaten von | |
den Jugendlichen und ihren Betreuer*innen bunt gestrichen. An den Wänden | |
hängen Fotos von gemeinsamen Ausflügen. Ein paar Jungs fläzen sich mit | |
ihren Handys auf einem der Sofas. Im Jugendwohnen Urban in Kreuzberg, | |
zwischen Kottbusser Tor und Südstern, ist auf drei Etagen Platz für bis zu | |
50 [1][unbegleitete minderjährige Geflüchtete]. Noch. Denn bald soll es | |
diesen Ort nicht mehr geben. | |
Der Senat und der Träger, die Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin | |
(SPI), lassen den Vertrag zum 30. April auslaufen. Die jugendlichen | |
Bewohner*innen werden derzeit auf andere Unterkünfte verteilt. Fast | |
alle Beschäftigten verlieren ihre Arbeit. „Wir sind fassungslos“, sagt | |
Betreuerin Katrin Adolph. | |
Das Jugendwohnen Urban gibt es seit 2021. Zu dieser Zeit mussten viele | |
Notunterkünfte schnell verfügbar gemacht werden, da die Ankunftszahlen | |
jugendlicher Geflüchteter in Berlin rapide stiegen. In den Etagen drei bis | |
fünf des mehrstöckigen Hauses wurden schnell unbegleitete Geflüchtete | |
zwischen 14 und 17 Jahren untergebracht. Zu Beginn wurde auf die Schnelle | |
recht wahllos eingestellt. Doch mit der Zeit wuchs die Kompetenz. | |
Seit vergangenem Jahr arbeiten in der Unterkunft nur noch Fachkräfte, also | |
Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen oder Sozialarbeiter*innen. Nach | |
einer offiziellen Prüfung durch den Senat erhielt die Unterkunft im Februar | |
2024 dann auch eine Betriebserlaubnis. Umso überraschter waren die | |
Mitarbeiter*innen, als sie acht Monate später von der Schließung erfuhren. | |
## Schließungsschock für die Jugendlichen | |
Auch für die jugendlichen Bewohner*innen war die Nachricht ein Schock: | |
„Ich war sehr traurig“, sagt der 15-jährige Samet, der aus einer Stadt im | |
Osten der Türkei geflüchtet ist. „Wir leben schon lange zusammen, kennen | |
uns und haben uns an das Leben hier gewöhnt“, sagt der 17-jährige | |
Khairullah aus Afghanistan, der ebenso wie alle anderen Bewohner*innen | |
nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen möchte. | |
Khairullah wohnt bereits seit mehr als anderthalb Jahren in der Unterkunft. | |
Genau das ist eigentlich nicht vorgesehen. Denn Einrichtungen wie das | |
Jugendwohnen Urban sollen nur eine kurze Zwischenstation der Jugendlichen | |
in Deutschland sein. | |
Die Kreuzberger Unterkunft ist seit 2022 eine sogenannte | |
Clearingunterkunft. Während des Clearingprozesses [2][werden | |
Fluchthintergründe, Alter und Gesundheitszustand der jungen Asylsuchenden | |
geklärt und der Kontakt zur Familie hergestellt]. Das Clearing soll | |
höchstens drei Monate dauern. | |
Danach müssen die Jugendlichen eigentlich aus der Obhut der | |
Senatsjugendverwaltung in die der bezirklichen Jugendämter übergeben | |
werden. Mehr als 1.100 unbegleitete Minderjährige werden derzeit von den | |
ohnehin schon überlasteten Jugendämtern betreut. Dazu kommen noch deutsche | |
Jugendliche, die nicht mehr in ihren Familien leben können. | |
## Keine Plätze in der Jugendhilfe | |
Anders als bei Not- und Clearingunterkünften für minderjährige Geflüchtete | |
ist es bei Einrichtungen der Jugendämter sicher, dass die Jugendlichen auch | |
fachgerecht betreut werden. Doch zuerst muss ihnen ein Platz in einer | |
geeigneten Wohnform vermittelt werden. Je nach Jugendlichem wäre das etwa | |
das betreute Wohnen oder eine Wohngemeinschaft. | |
Laut der Leiterin des Jugendwohnen Urban, Jana Drescher, haben alle | |
Bewohner*innen ihrer Unterkunft den Clearingprozess bereits | |
abgeschlossen. „Trotzdem leben manche Jugendliche hier schon seit fast zwei | |
Jahren“, sagt Drescher. Denn in der Jugendhilfe gebe es einfach keine | |
Plätze. | |
Für Samet, Khairullah und viele weitere Jugendliche ist das Jugendwohnen | |
Urban daher ihr erstes Zuhause in Deutschland. Hier haben sie ihre ersten | |
Wörter in der neuen Sprache gelernt, zum ersten Mal in ihrem Leben | |
Weihnachtsgeschenke bekommen und während des Ramadans gemeinsam gekocht. | |
Die Wohndauer ist dabei kein Einzelfall. In vielen Berliner | |
Clearingunterkünften leben Jugendliche bedeutend länger als die | |
vorgesehenen drei Monate. Der Senatsjugendverwaltung zufolge gibt es | |
derzeit rund 750 minderjährige Geflüchtete in Berlin, die noch nicht in | |
einer Einrichtung des Jugendamts untergekommen sind. Und nicht überall | |
werden sie professionell betreut. | |
## Ausgerechnet eine der besseren Unterkünfte schließt | |
„Das Jugendwohnen Urban ist eine der besseren Unterkünfte“, sagt Daniel | |
Jasch, Leiter der Fachstelle für geflüchtete Kinder im [3][Berliner | |
Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen] (BNS). So | |
habe es in anderen Clearingunterkünften in der Vergangenheit Fälle von | |
Vernachlässigung und Verschmutzung gegeben. „Oft bleiben die Jugendlichen | |
dort monatelang ohne adäquate Betreuung und Versorgung“, sagt Jasch. | |
„Es gibt Standardcatering, die Jugendlichen sitzen perspektivlos auf den | |
Fluren“, kritisiert auch Nina Hofeditz, eine Erzieherin bei Jugendwohnen | |
Urban. Die Senatsjugendverwaltung widerspricht: „Die unbegleiteten | |
Minderjährigen werden in allen Clearingeinrichtungen fachgerecht betreut“, | |
so eine Sprecherin zur taz. | |
Doch wenn die Betreuung im Jugendwohnen Urban so gut ist, warum wird die | |
Unterkunft dann geschlossen? Die Senatsverwaltung begründet es damit, dass | |
derzeit weniger unbegleitete minderjährige Geflüchtete nach Berlin kommen. | |
Man finanziere daher mehr Plätze, als derzeit gebraucht würden. | |
## Sinkende Ankunftszahlen | |
Seit 2023 [4][sinken die Ankunftszahlen] von Geflüchteten insgesamt und | |
damit auch die von unbegleiteten Minderjährigen. Waren es 2022 noch 3.200, | |
kamen ein Jahr später 2.590, für 2024 liegen noch keine aktuellen Zahlen | |
vor. | |
Allerdings schwankt der Zuzug seit Jahren. Im Jahr 2016 beispielsweise | |
stampfte die Senatsverwaltung wegen des hohen Zuzugs mehr als 2.000 Plätze | |
für Minderjährige aus dem Boden. Dann kamen immer weniger Geflüchtete an. | |
Unterkunft um Unterkunft wurde geschlossen. Dabei gingen vorhandene | |
Strukturen und viel Expertise verloren. | |
2021 gab es dann nur noch 90 Erstankunftsplätze für unbegleitete | |
Jugendliche, doch die Ankunftszahlen [5][stiegen] wieder. Deshalb | |
entstanden neue Notunterkünfte wie das Jugendwohnen Urban. Die | |
Mitarbeiter*innen mussten Strukturen und Kompetenzen aus dem Nichts | |
wiederaufbauen. | |
Dasselbe Spiel wiederholt sich nun. Gab es 2024 noch 1.791 Aufnahmeplätze, | |
werden sie in diesem Jahr auf 800 reduziert. Wieder verlieren wie beim | |
Jugendwohnen Urban gut ausgebildete und erfahrene Mitarbeiter*innen | |
ihre Arbeit. Denn fast alle Beschäftigten hier hatten befristete Verträge, | |
die jetzt nicht verlängert wurden. Seit Oktober laufen sie peu à peu aus. | |
## Grüne fordern Umwandlung der Clearingunterkünfte | |
„Wir hätten die drei Etagen gerne in ein betreutes Wohnen umgewandelt“, | |
sagt Katrin Adolph vom Jugendwohnen Urban. Schließlich warte ein Großteil | |
der 750 Jugendlichen in den Clearingunterkünften auf einen Platz in der | |
Jugendhilfe. Der Bedarf nach neuen Unterbringungsmöglichkeiten sei in | |
Friedrichshain-Kreuzberg sehr groß. | |
Die bildungs- und familienpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im | |
Abgeordnetenhaus, Marianne Burkert-Eulitz, fordert daher, einen Großteil | |
der Not- und Clearingunterkünfte der Senatsverwaltung in stationäre | |
Jugendhilfeeinrichtungen umzuwandeln. Das würde bedeuten, dass diese von | |
den Jugendämtern verwaltet werden und sich an die Standards der Jugendhilfe | |
halten müssten. Dann dürften dort nur Fachkräfte arbeiten. | |
Der Senat, dem die Immobilie gehört, lehnt das für das Jugendwohnen Urban | |
ab. Das Haus werde weiter für Zwecke des Notdienstes Kinderschutz genutzt, | |
heißt es. Dieser kümmert sich in ganz Berlin um Kinder und Jugendliche in | |
Notlagen. | |
Für einige ihrer Jugendlichen konnten die Mitarbeiter*innen des | |
Jugendwohnen Urban trotz des Platzmangels nach langer Suche eine | |
Unterbringung in der Jugendhilfe finden. Aber nicht alle haben dieses | |
Glück. Derzeit lebt nur noch weniger als ein Drittel der Jugendlichen in | |
der Unterkunft. „Ich weiß nicht, wo ich Ende April hinziehe“, sagt | |
Khairullah. Sollte er bis dahin keinen Platz bekommen, wird er in eine | |
andere Clearingunterkunft umgesiedelt. | |
## Angst und Trauer | |
„Es macht mir und den Jugendlichen Angst zu wissen, dass einige von ihnen | |
nun vielleicht in Häuser geschickt werden, in denen es nicht so muckelig | |
und nett wie hier ist“, sagt Erzieherin Nina Hofeditz. Sie betont das | |
familiäre Klima im Jugendwohnen Urban, das in vielen gemeinsamen Stunden | |
mit den Jugendlichen entstanden sei. | |
Ihre Kollegin Katrin Adolph verweist darauf, dass der Umzug in eine andere | |
Clearingunterkunft für die Jugendlichen eine erneute Desorientierung | |
bedeuten kann. Das sei Gift für die Integration. „Das gibt den Jugendlichen | |
kein positives Gefühl des Willkommenseins.“ Gerade um jüngere Bewohner | |
ihrer Unterkunft macht sich die Etagenleiterin Sorgen. | |
Der 18-jährige Baran aus Afghanistan hat gerade erst einen WG-Platz | |
gefunden, wie er fröhlich beim Deutschsalon am Küchentisch erzählt. Aber | |
auch ein wenig Trauer wegen des nahenden Abschiedes ist dabei. Bald muss er | |
die Höhen und Tiefen des Alltags allein bewältigen. „Die Betreuer*innen | |
hier haben uns geholfen wie eine Familie“, sagt Baran. | |
Transparenzhinweis: Die Autorin gibt seit Sommer 2024 ehrenamtlich | |
Deutschunterricht in der Unterkunft Jugendwohnen Urban. | |
8 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Minderjaehrige-Fluechtlinge-in-Berlin/!6071538 | |
[2] /Unbegleitete-minderjaehrige-Fluechtlinge/!5959616 | |
[3] https://bns.berlin/ | |
[4] https://www.berlin.de/laf/ankommen/aktuelle-ankunftszahlen/artikel.625503.p… | |
[5] https://www.berlin.de/laf/ankommen/aktuelle-ankunftszahlen/artikel.625503.p… | |
## AUTOREN | |
Klarissa Krause | |
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