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# taz.de -- Iranische Aktivistin über Asyl: „Das Bamf interessiert wirklich …
> Nur wenn anderswo der sichere Tod drohe, sagt Sahar Hazrati, darf man
> hier auf Asyl hoffen. Jetzt wird über ihren Antrag erneut entschieden.
Bild: Hofft, dass ihr politisches Engagement doch auch anerkannt wird: Sahar Ha…
taz: Frau Hazrati, waren Sie schon mal im Gefängnis?
Sahar Hazrati: Im Iran schon drei Mal. Beim ersten Mal war ich 16 und
musste elf Tage in einer Zelle verbringen. Ich hatte an einer Demo für
Bildungsfreiheit teilgenommen. Ich hatte damals einen Kalligrafiekurs
gemacht und der Dozent hatte uns mobilisiert. Einer der Teilnehmer wurde
mittlerweile hingerichtet.
taz: Aber nicht wegen der Teilnahme an der Demo, oder?
Hazrati: Nein, nicht nur. Die Behörden fanden auf seinem Handy eine
islamkritische Website, die er betrieb. Wir waren damals alle noch
unbedarft und hatten unsere Handys dabei. Es waren die Anfänge der
Widerstandsbewegung.
taz: Wie kamen Sie dazu, sich gegen das iranische Regime zu engagieren?
Hazrati: Als ich 13 oder 14 war, diskutierte ich über Chatprogramme wie
We-Chat über antireligiöse Themen. Feminismus war damals noch nicht so
populär, aber antireligiöse Themen zu besprechen, war genauso gefährlich.
Später besuchte ich einen Lesekreis in Teheran, wo wir linke
Dichter*innen lasen. Da lernte ich interessante junge Leute kennen und
schloss mich einer Partei an. Das waren Regimegegner*innen, allerdings
keine besonders progressiven. Später entwickelte ich mich weiter, auch über
soziale Medien. Ende 2017, Anfang 2018, [1][gingen die „weißen Mittwoche“
los]. Wir protestierten mit weißen Schals um die Schultern gegen das
Kopftuch.
taz: Wann entschieden Sie sich, das Land zu verlassen?
Hazrati: Als ich zum dritten Mal festgenommen wurde. Das war nach einem
weißen Mittwoch, es war ziemlich brutal. Stundenlang fuhren sie mich mit
einer Augenbinde durch die Stadt, sodass ich nicht wusste, wo ich war.
Meine Familie wusste es auch nicht. Meine Eltern riefen jeden Abend in der
Wache an, in der ich tatsächlich auch war, aber man leugnete es ihnen
gegenüber. Ich wurde dort auch gefoltert.
taz: Wie lange waren Sie dort?
Hazrati: Nach einer Woche wurde ich rausgelassen. Einen Monat später war
ich in Deutschland.
taz: Konnte man die Folterspuren da noch sehen?
Hazrati: Ja, ich habe sie bei meinem Interview im [2][Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (Bamf)] gezeigt. Mein Knöchel war noch ganz
deformiert und blau. Die Person, die das Interview führte, war schockiert.
taz: Aber trotzdem lehnte sie Ihren Asylantrag ab?
Hazrati: Diese Anträge bestehen aus immer ähnlichen Satzbausteinen. Da wird
nicht im Detail geprüft. Ich konnte damals auch noch kein Deutsch. Der
Dolmetscher, der von Behördenseite damals dabei war, erklärte mir, ich
hätte ja auch im Gefängnis bleiben und trotzdem am Leben bleiben können.
Das Bamf interessiert wirklich nur, ob du stirbst, wenn du im Land bleibst.
Wenn nicht, kannst du aus ihrer Sicht dort bleiben, auch wenn es zehn Jahre
Knast für nichts bedeutet.
taz: Fiel es Ihnen schwer zu gehen?
Hazrati: Ich hätte es sogar hingenommen, weiter im Iran zu leben und die
Konsequenzen zu tragen. Aber meine Familie sagte mir damals: Es ist das
letzte Mal, dass wir dich aus dem Knast holen. Sie hatten einfach Angst um
mich. Aber sie meinten es auch ernst. Wenn man ins Gefängnis geht, um sich
nach jemandem zu erkundigen oder jemanden zu besuchen, muss man sich noch
stärker verschleiern als ohnehin schon. Meine Mutter sagte, es reiche jetzt
damit und sie würde das nicht noch mal machen. Ich hatte Angst, im
Gefängnis zu versauern, falls ich nochmal festgenommen würde.
taz: Wo steht Ihre Familie politisch?
Hazrati: Meine Familie ist eigentlich nicht konservativ, wir sind
ursprünglich kurdisch. Zu Hause haben unsere Eltern aber nie kurdisch mit
uns gesprochen – aus Angst, dass wir draußen mit kurdischem Akzent sprechen
und Repressionen bekommen. Sie waren sehr erleichtert, als ich das Land
verließ.
taz: 2018 kamen Sie nach Hamburg und beantragten Asyl.
Hazrati: Der Antrag wurde schon zwei Mal abgelehnt. Zwei Mal war ich
deswegen schon vor Gericht, im April ist der nächste Termin. Ich hoffe,
mein politisches und exilpolitisches Engagement wird endlich als
Fluchtgrund anerkannt.
taz: Was sagt das Bamf denn zu Ihrem Engagement?
Hazrati: Es wird gemeckert: Die Kundgebungen seien zu klein gewesen, hätten
kaum Strahlkraft gehabt, oder ich sei nicht exponiert gewesen, dabei habe
ich zahlreiche Veranstaltungen in Deutschland angemeldet. Einmal war jemand
mit einer monarchistischen Flagge dabei, daraufhin meinte das Bundesamt,
ich stünde auf Seiten monarchistischer Gruppen und würde mein Engagement
falsch darstellen.
taz: Und Ihr Engagement im Iran reicht auch nicht?
Hazrati: Im Iran habe ich eine Zeit lang jede Woche online Versammlungen
organisiert und zusammen mit anderen Videos für Social Media produziert.
Wir haben auch viele feministische Performances gemacht. Ich habe der
Behörde und dem Gericht eine Liste mit Links von den Videos und Aktionen
zusammengestellt, aber es hat sie nicht interessiert. Ein Mitarbeiter der
Ausländerbehörde sagte mir, er hätte keine Zeit, sich die Links anzugucken.
taz: Ihr Fall wurde also nicht ernst genommen?
Hazrati: Nein. Das war eine sehr frustrierende Erfahrung. Vor Gericht war
es auch nicht einfach. Ich war damals anwaltlich nicht so gut beraten. Wenn
man neu hierher kommt und die Sprache noch nicht spricht, ist es nicht
leicht, eine gute Anwält*in zu finden. Ich habe schon zwei Mal die
Anwältin gewechselt. Jetzt habe ich eine tolle Anwältin. Sie möchte aber
nicht mit ihrem Namen in der Zeitung stehen, sonst wird sie mit Anfragen
überrannt. Und sie möchte ungern Menschen wegschicken, die in Not sind.
taz: Leben sie derzeit noch in einer Geflüchtetenunterkunft?
Hazrati: Ja, seit 2018. Ich kam mit meinem Ex-Partner zusammen her, aber
mittlerweile sind wir getrennt. Das ist auch nicht einfach. Wir haben
zusammen Asyl beantragt, aber jetzt wollen wir natürlich getrennte Wege
gehen. Für das Bamf wirkt man dann gleich unglaubwürdig. Wir haben eine
viereinhalbjährige Tochter zusammen.
taz: Konnten Sie wenigstens eine räumliche Trennung erwirken? Das ist in
einer Geflüchtetenunterkunft wahrscheinlich schwierig.
Hazrati: Wir lebten zusammen vier Jahre in einem Zimmer in einer
Gemeinschaftsunterkunft, dann bekamen wir eine Zwei-Zimmer-Wohnung für
Familien. Das war schon etwas besser. Als mein Ex-Partner auszog, durften
meine Tochter und ich das freie Zimmer allerdings nicht nutzen. Eine fremde
Person soll dort einziehen. Seit Monaten steht das Zimmer nun leer, während
wir zu zweit mit Hund in einem Zimmer leben. Meine Tochter fragt mich jeden
Tag, warum das Zimmer leer steht.
taz: Mittlerweile können Sie immerhin einen Deutschkurs machen, oder?
Hazrati: Ja, ich habe sechs Jahre lang für den Bildungsgutschein gekämpft.
Jetzt kann ich endlich den Kurs machen, aber es ist eher eine Belastung.
Wenn man mehr als 30 Prozent der Zeiten fehlt, fliegt man raus. Aber wenn
meine Tochter krank ist, kann ich nicht hingehen. In Jenfeld sind wir
isoliert, haben kein soziales Umfeld, das uns unterstützen kann.
taz: Ihr Ex-Partner kann nicht einspringen?
Hazrati: Das ist alles kompliziert. Er sieht unsere Tochter immer nur
samstags, aber auch nicht besonders zuverlässig. Die ganze Care-Arbeit und
Verantwortung hängt an mir. Aber so war es auch vor der Trennung.
taz: Was würden Sie gern arbeiten?
Hazrati: Im Iran war ich in einer humanitären Hilfsorganisation tätig. Wir
sind in kleinere Städte gefahren und haben versucht, Frauen über ihre
Rechte aufzuklären, etwa wenn sie häusliche Gewalt erleben. Damals hatte
ich noch Wünsche und Träume. In Deutschland wollte ich Kfz-Mechanikerin
werden. Durch den ganzen Stress habe ich meine Zuversicht verloren. Ich bin
verzweifelt. Das einzige, was ich noch will, ist, eine starke Mutter für
meine Tochter zu sein.
taz: Fühlen Sie sich in Deutschland entrechtet?
Hazrati: Meine Grundrechte werden mir verwehrt. Die Rechte, die mir in
Deutschland weggenommen werden, sind andere als im Iran, aber letztlich
läuft es auf das Gleiche hinaus.
taz: Wie meinen Sie das?
Hazrati: Im Iran kannst du ohne die Erlaubnis deines Vaters oder Bruders
das Haus nicht verlassen. Du musst immer mit männlichen Übergriffen rechnen
oder mit einer Verhaftung wegen inadäquater Kleidung. Aber zumindest kannst
du selbst eine Wohnung mieten. Hier in Deutschland wird deine sexuelle
Integrität nicht angetastet, Frauen werden nicht einfach angefasst. Aber
als geflüchtete Person darfst du nicht mal die Stadt verlassen, geschweige
denn eine Wohnung mieten!
taz: Sie fühlen Sich Ihrer Autonomie beraubt.
Hazrati: Total. Ich fühle mich wie eine Bürgerin zweiter Klasse. Die
Behörden erwarten, dass man wie ein Roboter agiert und nur das tut, was sie
einem sagen. So möchte ich nicht leben.
4 Apr 2025
## LINKS
[1] https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2022/10/frau-leben-…
[2] /Verfolgung-im-Iran/!6060075
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
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