# taz.de -- Berliner Gericht zu Schmerzgriffen: Schmerzhaft für die Polizei | |
> Das Berliner Verwaltungsgericht hat es der Polizei nun erstmals | |
> bescheinigt: Schmerzgriffe gegen einen Aktivisten der Letzten Generation | |
> waren rechtswidrig. | |
Bild: Alle milderen Mittel des Wegtragens ausgeschöpft? | |
Berlin taz | Für die Polizei ist es eine schmerzhafte Niederlage. Erstmals | |
hat ein Berliner Gericht in einem konkreten Fall die [1][Anwendung von | |
Schmerzgriffen durch Polizisten] als unzulässig eingestuft. Demnach war die | |
Räumung eines Straßenblockierers der Letzten Generation im April 2023 | |
mittels dieser Techniken rechtswidrig. Der Polizei habe das mildere Mittel | |
des Wegtragens zur Verfügung gestanden, so der Vorsitzende Richter Peters | |
in seiner Urteilsbegründung. | |
Zwar blieb eine grundsätzliche Klärung aus, ob das umstrittene Mittel, das | |
[2][Kritiker:innen als Folter bezeichnen], überhaupt zulässig ist. | |
Dennoch könnte das Verwaltungsgerichtsurteil über den Einzelfall hinaus | |
Wirkung entfalten. Das ist zumindest die Hoffnung des betroffenen Klägers | |
und Aktivisten Lars Ritter und seines Anwalts Patrick Heinemann sowie von | |
Bürgerrechtsorganisationen wie der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die | |
die Klage unterstützte. Heinemann sagte der taz, das Urteil habe eine | |
grundsätzliche Bedeutung und werde, so seine Hoffnung „die Praxis der | |
Polizei ändern“. Es gebe viele vergleichbare Fälle. | |
Bei Schmerzgriffen handelt es sich um Nervendruck- oder Hebeltechniken. Sie | |
werden eingesetzt, um Betroffene polizeilicher Maßnahmen zu Handlungen, | |
etwa der Aufgabe von Blockaden, zu zwingen – zumindest mittelbar. Im | |
englischen werden sie als „pain compliance“ bezeichnet – es geht also | |
darum, durch Schmerzen Gehorsam durchzusetzen. Die Techniken, oftmals dem | |
Kampfsport entlehnt, sind in den Polizeigesetzen der Länder nicht geregelt, | |
aber in den vergangenen Jahren immer üblicher geworden – vor allem auch bei | |
der Berliner Polizei, so Heinemann. Grundsätzliche Urteile zur | |
Rechtmäßigkeit gibt es bislang keine. | |
Der damals 20-jährige Lars Ritter hatte sich am Morgen des 20. April 2023 | |
an einem Protestmarsch von etwa 35 Aktivist:innen der Letzten | |
Generation auf der Straße des 17. Juni beteiligt, der dann in einer | |
Sitzblockade mündete. Er gehörte zu den letzten noch nicht geräumten | |
Blockierern. Videos des Vorfalls zeigen, wie ein Polizist Ritter nach | |
Auflösung der Versammlung auffordert, die Fahrbahn zu verlassen und dabei | |
droht, wenn er nicht freiwillig aufstehe, würde er tagelang nicht kauen und | |
schlucken können. | |
## Mildere Mittel hätten zur Verfügung gestanden | |
Schließlich wurde bei Ritter zunächst ein Griff am Kiefer angewendet, dann | |
der rechte Arm nach hinten verdreht, ehe er letztlich mithilfe eines | |
dritten Polizisten von der Straße getragen wurde. Ritter schrie vor | |
Schmerzen; im Nachhinein klagte er über Muskelverspannungen in der | |
Schulter. | |
Die entscheidende Frage, die der Richter verhandelte, war jene, [3][ob der | |
Polizei ein alternatives, milderes Mittel zur Verfügung gestanden habe]. | |
Aufgrund der gut dokumentierten Situation war dies recht deutlich: Die | |
bereits Geräumten standen friedlich am Straßenrand, die Fahrbahn war durch | |
mehrere Polizeifahrzeuge abgesperrt, in unmittelbarer Nähe der Räumung von | |
Ritter standen drei augenscheinlich unbeschäftigte Polizisten. Auch habe | |
sich Ritter nicht gewehrt, sondern die Maßnahmen passiv ertragen, wie der | |
Richter feststellte. Ein Verfahren wegen Widerstands gegen | |
Vollstreckungsbeamte wurde nicht gegen ihn eingeleitet. | |
Die Vertreter der Polizei argumentierten vor Gericht, die in der Nähe | |
postierten Polizist:innen hätten andere Aufgaben zu erfüllen gehabt. | |
Das Wegtragen sei mit der Gefahr schwerer Verletzungen für die Polizisten | |
verbunden. Den Richter überzeugte das nicht. Letzteres wäre nur dann der | |
Fall, wenn der Blockierer ein „besonders hohes Körpergewicht“ hätte, was | |
nicht der Fall sei. „Die Polizei hätte den unmittelbaren Zwang auf andere | |
Weise vollziehen können“, so der Richter. | |
Zwar äußerte Peters in seinem Urteilsspruch „im Grundsatz keinen Zweifel“, | |
dass Schmerzgriffe generell zulässig sein können, aber das wurde in diesem | |
Prozess nicht grundsätzlich geklärt. Die Gesellschaft für Freiheitsrechts | |
hatte im Vorfeld mitgeteilt: „Der Einsatz von körperlicher Gewalt und | |
Schmerzen gehört zu den massivsten denkbaren Grundrechtseingriffen, die nur | |
in absoluten Ausnahmesituationen zulässig sein können – nicht im Rahmen von | |
friedlichem Protest.“ Schmerzgriffe könnten als „erniedrigende und | |
unmenschliche Behandlung auch das menschenrechtliche Folterverbot | |
verletzen“. | |
Womöglich wird sich schon bald ein Gericht mit dieser Grundsatzfrage | |
beschäftigen. Laut Anwälten des Republikanischen Anwältinnen- und | |
Anwältevereins gibt es vergleichbare Fälle, in denen die | |
Unverhältnismäßigkeit weniger offensichtlich sei. Ein Gericht müsse dann | |
also klären, ob Schmerzgriffe generell zulässig seien oder nicht. | |
20 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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