# taz.de -- Indisches Essen: DAS Curry gibt es nicht | |
> Indische Küche ist mehr als nur Chicken Masala. Sie ist mal scharf, mal | |
> säuerlich, häufig vegetarisch und vieles mehr. | |
Bild: Ein Curry kann so vieles sein. Dieses wird im nordindischen Delhi serviert | |
„Wie wär’s heute mit Indisch?“ Ein [1][Land mit fast 1,5 Milliarden | |
Einwohnern], knapp neunmal so groß wie Deutschland, reduziert auf einen | |
Begriff. Bei fremdem Essen neigen wir generell dazu zu verallgemeinern – | |
[2][„Italienisch“], „Chinesisch“ –, und je weiter weg eine Weltregion, | |
desto schwammiger ist unsere Vorstellung von ihr. Was schade ist, denn beim | |
Entdecken der regionalen Unterschiede öffnet sich die kulinarische | |
Schatzkammer eines Landes mit all ihren Aromen und Geschichten. | |
Die indische Küche gilt als gesund; als fleischarm und dank ihrer vielen | |
Gewürze als heilsam. In den vergangenen Jahren sei das Interesse enorm | |
gestiegen, meint Neetu Suresh, Fernsehköchin aus dem südindischen Bangalore | |
und seit ihrem Umzug nach Deutschland Lehrerin in einer Münchner | |
Kochschule. In ihren Kursen werden nicht nur Teller, sondern auch | |
Wissenslücken gefüllt. Zeit für ein paar grundlegende Fragen. | |
Was enthält ein authentisches Currypulver? | |
Schwer zu sagen, denn Curry ist kein Gewürz – zumindest keines, das in der | |
indischen Küche verwendet wird. Es ist ein Zugeständnis an nicht indische | |
Hobbykochende, die aufwendig gewürzte Currys zu Hause nachmachen wollen. | |
Und hier kommt das nächste Missverständnis. „Das Curry gibt es in Indien | |
nicht“, sagt Neetu Suresh. Grob gesagt unterscheide man zwischen trockenen | |
Gerichten mit gebratenem Gemüse, Sabji genannt, und flüssigen Speisen: den | |
Currys. Das Wort geht auf das Tamilische „kari“ zurück, was „Soße“ | |
bedeutet. | |
Die Liste an verwendeten Gewürzen, die im Idealfall frisch gemahlen während | |
des Kochvorgangs hinzugegeben werden, ist lang: Kurkuma, Chili, Kardamom, | |
Koriander, Ingwer, Kreuzkümmel, Nelke, Muskat, Zimt. Auch weniger Bekanntes | |
wie der Thymian-ähnliche „Königskümmel“ Ajowan oder Asafoetida (ein | |
getrocknetes Gummiharz) findet sich darunter. Die Zusammensetzung variiert | |
je nach Region und Gericht. | |
Im Süden des Landes isst man das suppenähnliche Rasam und den Linseneintopf | |
Sambar. Im Nordwesten das cremige, häufig mit Joghurt oder Sahne | |
angereicherte Korma. Im Norden im Lehmofen (Tandoor) geschmortes Tandoori. | |
Außerhalb Indiens gibt es fertige Würzmischungen (Masala, von masālā: | |
Zutaten, Gewürze), die dann so heißen wie das passende Gericht: Sambar | |
Masala, Tandoori Masala oder Garam Masala. | |
Isst man in ganz Indien scharf? | |
Wer scharf isst, schwitzt mehr. Die körpereigene Klimaanlage springt an. | |
Sehr scharfes Essen findet sich deshalb vor allem im warmen Süden Indiens. | |
Im Westen des Landes seien hingegen säuerliche und süßliche Speisen | |
verbreitet, erklärt Köchin Suresh. Die süß-säuerliche Tamarindenpaste und | |
Jaggery, der aus Zuckerrohrsaft hergestellte „indische Zucker“ mit | |
Karamell-Noten, dürfen dort in keiner Küche fehlen. | |
Im Osten werde viel mit Fisch und Meerestieren gekocht. Zu den bekanntesten | |
Fischgerichten gehört Machher Jhol, ins Chingri Malaikari kommen Garnelen. | |
Senföl verleiht vielen Speisen eine (meist leichte) Schärfe. Wobei Schärfe | |
natürlich subjektiv ist. Für westliche Gaumen kann selbst die eine Chili | |
auf der Speisekarte („Keine Sorge, ist nicht scharf!“) zur feurigen | |
Herausforderung werden. | |
Nicht nur in Sachen Schärfe gibt es große Unterschiede – was angesichts der | |
3.200 Kilometer, die es von der Nordgrenze bis an die Südspitze Indiens | |
sind, nicht verwundert. Klima und Bodenbeschaffenheit bestimmen, was auf | |
den Teller kommt. Während im Norden des Landes viel Weizen gegessen wird, | |
gibt es im Süden meist Reis als Beilage. In der nordindischen Stadt Delhi | |
findet man viele Gerichte mit Milchprodukten wie Ghee, Butter, Joghurt oder | |
dem Frischkäse Paneer auf der Karte – im südlichen Bangalore eher Kokosöl | |
und Soßen, die mit Kokosmilch angereichert sind. | |
Warum wird in Indien so viel vegetarisch oder vegan gegessen? | |
Schätzungen zufolge ernähren sich rund 40 Prozent der indischen Bevölkerung | |
vegetarisch, ein Zehntel vegan. Damit ist das Land globaler Spitzenreiter. | |
Im Hinduismus, der vorherrschenden Religion, ist Gewaltlosigkeit (Ahimsa) | |
ein zentraler Wert, auch gegenüber Tieren. Kühe spielen in der | |
hinduistischen Götterwelt eine wichtige Rolle, sie gelten als heilig, sind | |
Symbol für Fruchtbarkeit und Wohlstand. In vielen Regionen ist es verboten, | |
sie zu schlachten oder nur am natürlichen Lauf zu hindern, weshalb sie | |
nicht selten mitten auf der Straße stehen. | |
Für die muslimische Bevölkerung wiederum ist das „unreine“ Schwein tabu. | |
Hinzu kommt, dass Fleisch lange ein Luxusprodukt war und es für weite Teile | |
der Bevölkerung noch immer ist. Trotz der religiösen Gebote: „Ich habe | |
viele Hindu-Freunde, die Fleisch essen. Nicht nur Hähnchen und Lamm, | |
sondern auch Rind“, sagt Neetu Suresh. Die Zeiten ändern sich. Dennoch | |
macht es die Küche vegetarisch essenden Menschen leicht. „Viele unserer | |
traditionellen Speisen sind fleischlos oder, wenn mit Kokos gekocht wird, | |
sogar vegan.“ | |
Wie traditionell ist die indische Küche? | |
„Wir lieben es, Speisen zu variieren und Neues zu kreieren“, sagt Köchin | |
Suresh. Fusionküche sei in Indien sehr beliebt. „Als ich Kind war, ging es | |
mit Indo-Chinesisch los.“ Seit einiger Zeit gebe es immer mehr | |
traditionelle Gerichte mit westlichem Käse. | |
Als multikulturelles, von westlichen Mächten begehrtes Land ist die | |
indische Küche seit jeher im Wandel. Die aus Nepal und Tibet stammenden | |
Teigtaschen Momo beispielsweise sind auch im Nordosten Indiens beliebt. Als | |
um 1500 die Portugiesen nach Goa kamen, brachten sie ihr „Carne de Vinha | |
d’Alhos“ mit – in Wein, Knoblauch und Gewürzen mariniertes Schweinefleis… | |
In Indien wurde daraus das bis heute beliebte Vindalho. | |
Auch die britische Kolonialherrschaft hat Spuren hinterlassen. Chicken | |
Tikka Masala geht auf einen nach Großbritannien ausgewanderten, indischen | |
Koch zurück. Er kombinierte das traditionelle Chicken Masala (andere sagen | |
Butter Chicken) mit cremiger Tomatensoße und schuf so eines der wohl | |
berühmtesten indischen Gerichte. | |
Gehört Ayurveda zum Essen dazu? | |
Das aus Indien stammende Ayurveda ist einer der großen Foodtrends der | |
letzten Jahre. Es passt zu Achtsamkeit und Wellness und wird daher munter | |
auf Teepackungen und Nahrungsergänzungsmittel gedruckt. Der Begriff stammt | |
aus dem Sanskrit und setzt sich aus Ayus, Leben, und Veda, Wissenschaft, | |
zusammen. Es ist der (rund 5.000 Jahre alte) Versuch, Körper, Geist und | |
Seele in Einklang zu bringen. | |
Ernährung ist ein Teil davon. Heißt: Indische Küche kann, muss aber nicht, | |
ayurvedisch sein. „Die [3][ayurvedische Küche] verwendet frische, saisonale | |
Zutaten, um die Energien, die Doshas, des Körpers auszugleichen und die | |
Gesundheit zu fördern“, erklärt Neetu Suresh. Generell werde in Indien viel | |
auf die Bekömmlichkeit der Speisen geachtet. Zwiebel, Knoblauch und Chili | |
werden immer angebraten, Gewürze niemals am Ende zugegeben, da sie so | |
schlechter verdaulich sind. Bei jedem Gericht, ob scharf oder süß, gelte | |
es, die richtige, wohltuende Balance zu finden. | |
Wie sieht ein klassisches indisches Mahl aus? | |
Gemeinschaft, Glück, Geselligkeit – Begriffe, die fallen, wenn Neetu Suresh | |
vom Essen in ihrer Heimat spricht. Zu Hause werde meist alles in die Mitte | |
gestellt. Auswärts, vor allem im Süden des Landes, ist das Thali | |
verbreitet, eine Platte mit diversen, kleinportionierten Gerichten und | |
Beilagen. Gegessen wird traditionell und bis heute viel mit der Hand – und | |
zwar immer mit der rechten, da die linke meist zur Körperhygiene verwendet | |
wird und damit als unrein gilt. Das Anfassen macht die Nahrungsaufnahme zur | |
achtsamen, respektvollen Handlung. | |
Dazu gibt es meist Brot. Nicht nur Naan, die mit Joghurt gesäuerten und im | |
Tandoor-Ofen gebackenen Fladen. „Die Brot-Vielfalt in Indien ist viel | |
größer, als man denkt“, sagt Suresh. Im Süden wird oft Reis- oder Hirsemehl | |
verwendet. Das dünne, kompakte Roti, das auch Chapati heißt, wird in einer | |
Pfanne ohne Fett gebacken. Thepla und Paratha sind dickere Fladenbrote, die | |
manchmal mit Gemüse gefüllt werden. Sie sind auch beliebt als Frühstück, | |
das in Indien mit leicht gewürzten Reisgerichten eher herzhaft ist. Süße | |
Speisen stehen für Glück, weshalb sie oft Teil religiöser Riten sind. An | |
Festen, etwa bei Hochzeiten, wird das Mahl – für die extra Portion Glück – | |
manchmal schon süß begonnen. | |
16 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Verena C. Mayer | |
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