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# taz.de -- Die Wahrheit: Gnadenbringende Zeit
> Entstiegen einem Luftschiff und zu Gast im Hause der Hofschauspielerin
> Elger-Halborg: Ein abendlicher Auftritt gerät mehr als mysteriös …
Beim letzten Mal habe ich in der Eile ganz vergessen zu berichten, was ich
anlässlich meines abendlichen Auftritts im Haus der Hofschauspielerin
Elger-Halborg erlebt habe. Bevor ich es wieder und dann wahrscheinlich
endgültig vergesse, will ich den günstigen Umstand, dass ich mich soeben
daran erinnere, nutzen und das Versäumte hier nachholen.
Während der technischen Vorbereitungen zu meiner Darbietung, als auf der
gesamten Handlungsebene ein emsiges Herumtragen und Anschließen von Gerät
herrschte, nahm die Hausherrin mich diskret beiseite und sagte: „Kommen Sie
bitte mit, ich möchte Sie mit jemandem bekannt machen.“ Ich hatte in diesem
Augenblick eigentlich mehr als genug zu tun, wollte Frau Elger-Halborg aber
nicht enttäuschen. Also ließ ich alles fallen und folgte ihr neugierig aus
dem Saal.
Sie geleitete mich zu einer neblig-halbdunklen Zimmerecke, irgendwo
zwischen den Räumen des Hauses und zweifellos außerhalb der offiziellen
Zeit gelegen. Mir kam dabei der Begriff „die Rückseite des Mondes“ in den
Sinn, obwohl äußerlich nichts an den Mond erinnerte. In einer trüb
beleuchteten Ecke standen ein kleiner Tisch und zwei Stühle. Hinter dem
Tisch saß, mit dem Rücken zur Wand, ein hagerer, ernst aussehender Mann. Er
mochte dreißig bis vierzig Jahre alt sein, eine exaktere Schätzung war mir
nicht möglich.
„Ich möchte Ihnen Ewald Bruno Grundlember vorstellen“, hörte ich Frau
Elger-Halborg sagen, „er wird Medizin studieren und in zwanzig Jahren Ihr
Arzt sein.“ Für einen Moment war mir, als „erinnerte“ ich mich daran, da…
es tatsächlich so sein werde, schüttelte den Gedanken jedoch schnell ab wie
etwas, das sich bei Übermüdung ungewollt von selbst denkt.
## Kein Wort bleibt im Gedächtnis
Grundlember begrüßte mich mit „Gnadenbringende Zeit!“. Schlicht „Guten
Abend“ erwidernd, setzte ich mich auf den freien Stuhl ihm gegenüber.
Jetzt, da ich dies berichte, bin ich mir nicht mehr sicher, ob wirklich ein
Tisch zwischen uns stand. Was ich hingegen ganz genau weiß, ist, dass mir
kein einziges Wort, das wir dann möglicherweise gesprochen haben, im
Gedächtnis geblieben ist.
Unsere Konversation, falls überhaupt eine stattgefunden haben sollte, muss
unterbrochen worden sein, weil nach mir gerufen wurde. Ich war als
Attraktion des Abends engagiert worden, um vor den Augen aller mit einem
großen Messer zwei Scheiben von einem Brotlaib abzuschneiden. Die
Hausherrin kündigte mich dem exklusiven, aus geladenen Gästen bestehenden
Publikum an. Sie begann feierlich mit den Worten „Gnadenbringende Zeit“.
Alles Folgende verstand ich nicht, denn sie sprach mit der Lippe auf der
Zunge durch einen Schlauch aus dem Maschinenraum. Aufs Geratewohl begann
ich meine Darbietung.
Ein paar Stunden später saß ich wieder in meinem Luftschiff und betrachtete
die beiden Brotschnitten, die mir als Andenken überlassen worden waren. Ich
konnte es einfach nicht fassen.
11 Mar 2025
## AUTOREN
Eugen Egner
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Satire
Kurzgeschichte
Besuch
Mystery
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Luft
Party
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