| # taz.de -- Georgische Künstlerin über Protest: „Der einzige Weg ist Widers… | |
| > Elektronikproduzentin Anushka Chkheidze über die Proteste in Georgien, | |
| > den Streik der Kulturszene und die Solidarität mit politischen | |
| > Gefangenen. | |
| Bild: Lässt sich nicht einschüchtern: Die georgische Elektronikproduzentin An… | |
| taz: Frau Chkheidze, Sie leben in Utrecht. Gerade erreiche ich Sie | |
| allerdings in Tiflis, wo Sie aktiv an den Protesten gegen die autoritäre, | |
| prorussische Politik der Regierungspartei Georgischer Traum beteiligt sind. | |
| Wie kam es dazu? | |
| Anushka Chkheidze: Ich bin an Weihnachten nach Hause gereist, seither | |
| versuche ich, den Aufenthalt in Georgien so lange hinzuziehen, wie es geht, | |
| um zu tun, was ich tun muss. Ich befinde mich in einem Dilemma, weil ich im | |
| Ausland lebe, während in Georgien täglich Menschen von der Polizei | |
| verprügelt werden. Das im Fernsehen mitansehen zu müssen, war schrecklich. | |
| Allerdings hänge ich nun ein bisschen zwischen beiden Welten. Demonstrieren | |
| ist zeitintensiv. Um vier Uhr geht es zum Gerichtshof, um sieben zum | |
| Parlament, danach zum TV-Sender. Das ist eben so, wenn das Land unsere | |
| Hilfe braucht. Protest führt zu konkreten Ergebnissen. | |
| taz: Können Sie Ihre künstlerische Arbeit momentan überhaupt fortsetzen? | |
| Chkheidze: Schwierig. Gerade sitze ich zum Beispiel in der Metro, um zu | |
| einer Solidaritätskundgebung [1][für die Journalistin Mzia Amaghlobeli zu | |
| fahren, die bereits seit dem 12. Januar im Hungerstreik ist]. Ich sorge | |
| mich um die Ungerechtigkeit, die sie dadurch erleiden muss. [2][Kurz zuvor | |
| rief jemand an, um über Projekte zu reden, die im Ausland geplant sind, | |
| aber nun liegenbleiben.] Für andere Künstler*innen mag so eine Situation | |
| inspirierend sein, für mich nicht. Ich sehe nur, dass wir in Georgien an | |
| einem kritischen Punkt stehen. Ich möchte lieber mit meinen Freund*innen | |
| demonstrieren, statt unter Musikschaffenden zu sein, die Werke über | |
| Proteste kreieren. | |
| taz: Haben Sie damit gerechnet, dass die Proteste nach wie vor massenhaft | |
| Menschen mobilisieren? | |
| Chkheidze: Bereits nach den Wahlen im Oktober, war die Situation | |
| angespannt. Nachdem der Premierminister im November verkündet hat, dass das | |
| Land ab jetzt weg von Europa steuern wird, gab es Massenproteste von bis zu | |
| 300.000 Menschen, und das führte zu großen Repressionen der Staatsgewalt. | |
| Ich habe erwartet, dass sich die Situation wieder beruhigen würde. Sei es, | |
| dass es Neuwahlen gibt, oder dass zumindest die politischen Gefangenen | |
| freigelassen werden. Da das nicht der Fall ist, müssen wir weiter | |
| protestieren. Trotzdem sorge ich mich, dass uns die Luft ausgeht. Vor allem | |
| den Streikenden. | |
| taz: Sie beziehen sich auf den Streik der georgischen Kulturszene. Was hat | |
| es damit auf sich? | |
| Chkheidze: Der Streik begann im Dezember an den Theatern, dann traten | |
| Musiker*innen und andere Künstler*innen ebenfalls in den Streik. Die | |
| Arbeit wurde aus Solidarität niedergelegt. In Deutschland mag es eine | |
| Streikkultur geben, alle wissen, wie man Arbeitskämpfe organisiert. In | |
| Georgien ist das unüblich, Gewerkschaften sind kaum etabliert. Aber aus | |
| diesen Reihen heraus kam die Idee auf: Solange neben uns Menschen | |
| zusammengeschlagen werden, ergibt es keinen Sinn, Theater zu spielen. | |
| Daraus entstand die Einsicht, dass es auch Solidarität der Arbeiterschaft | |
| braucht, einen Generalstreik. Damit soll versucht werden, Menschen zu | |
| empowern, selbst in den Streik zu treten, um aus der kollektiven Lähmung | |
| herauszukommen. | |
| taz: Hat es gefruchtet? | |
| Chkheidze: Für kurze Zeit ist die Rechnung aufgegangen. Inzwischen arbeiten | |
| viele Menschen wieder. Im Laufe der Zeit eröffneten auch kulturelle | |
| Institutionen wieder, Bars und Clubs ohne Rücklagen müssen laufende Kosten | |
| decken, das geht nicht ohne Einnahmen. Nur die Theater- und Filmszene | |
| streikt weiter, auch weil der Schauspielstar Andro Chichinadze | |
| widerrechtlich verhaftet wurde. Deshalb ist es nötig, so lange | |
| weiterzumachen, bis er und alle Kolleg*innen wieder freikommen. | |
| taz: Chichinadze ist zusammen mit zehn anderen Menschen wegen organisierter | |
| Kriminalität angeklagt. Haben Sie Angst, dass auch Sie in eine solche | |
| Situation kommen könnten? | |
| Chkheidze: Ich habe täglich Angst. Gestern gab es eine sehr kritische | |
| Situation, als wir vor dem Gerichtshof demonstrierten. Wir waren wenige und | |
| sahen uns starker Polizeipräsenz gegenüber. Oft ist es so, dass Menschen | |
| Post kriegen, wenn sie sich wegen Teilnahme an einer Demonstration | |
| verantworten müssen. Manchmal schmuggelt die Polizei Drogen in die Taschen | |
| von Demonstrierenden. Oder Zivilpolizist*innen zeichnen heimlich | |
| Gespräche auf. Chichinadze und die anderen landeten aufgrund manipulierter | |
| Videos im Knast. Sie müssen womöglich lange im Gefängnis schmoren. | |
| Natürlich habe ich Angst, aber es gibt keinen anderen Weg als den Protest. | |
| 21 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Steffen Greiner | |
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