# taz.de -- 80 Jahre nach der Bombardierung: Neonazidemo läuft durch Dresden | |
> Seit Jahren nutzen Neonazis die Bombardierung im Zweiten Weltkrieg für | |
> ihre Zwecke. Trotz Blockaden marschierten sie am Samstag durch die Stadt. | |
Bild: Die Neonazis mussten in Dresden an lautem Gegenprotest vorbei | |
Dresden taz | Mit einer Hand auf das Knie gestützt, bückt sich der | |
Polizeibeamte in Schutzmontur nach unten. „Stehen Sie freiwillig auf?“, | |
fragt er den Mann, der als letzter an diesem Samstag auf Ostra-Allee in | |
Dresden sitzt, um die Route des neonazistischen „Gedenkmarsches“ zu | |
blockieren. Vor etwa 80 Jahren trafen die Luftangriffe der Alliierten auf | |
NS-Deutschland die Stadt Dresden. Neonazis nutzen seit mehr als 25 Jahren | |
das Datum für ihre politischen Zwecke. Auch dieses Mal protestierten | |
tausende dagegen – doch sie konnten den Marsch nicht verhindern. | |
Eine dreiviertel Stunde zuvor saßen neben dem Mann auf der Ostra-Allee noch | |
etwa 70 weitere Menschen. Doch die Polizei hat einen nach dem anderen | |
hinter die Absperrung getragen. Der verbliebene Mann reagiert nicht auf die | |
Ansprache. „Dann geb ich Ihnen jetzt mal ihre Brille in die Hand“, sagt der | |
Polizist, geht dann um den Mann herum und zieht ihn mit einem Griff unters | |
Kinn vom Asphalt nach oben. | |
Durch die Innenstadt streiften den Samstag über kleinere Gruppen von | |
Aktivist:innen, offensichtlich auf der Suche nach einem Weg auf die | |
Neonazis-Route. Eine Sitzblockade am Dresdner Zwinger saß von elf Uhr an | |
bis in den späten Nachmittag auf der Straße. Andere Blockadeversuche | |
verhinderte die Polizei, teilweise mit Pfefferspray und Schmerzgriffen. | |
Am Samstagnachmittag konnten dann in diesem Jahr schätzungsweise 2.000 | |
Neonazis und andere Rechtsextreme durch Dresden ziehen. Nicht so viele wie | |
vor zwanzig Jahren, als er noch als größter regelmäßiger Neonazimarsch | |
Europas galt. Doch es waren deutlich mehr als zuletzt. Auf Telegram | |
feierten die rechtsextremen Freien Sachsen das als Errungenschaft. Doch sie | |
blieben nicht unbehelligt: Auf ihrer Route liefen sie immer wieder an | |
lautem Gegenprotest vorbei. | |
## Pfefferspray gegen Sitzblockade | |
Schon um halb elf waberten Bässe über die Elbe in die Altstadt. Zwei | |
Stunden, bevor sich die Neonazis versammelten, demonstrierten bereits | |
mehrere hundert Menschen auf der Augustusbrücke. „Gegen den deutschen | |
Opfermythos“, hieß es auf einem Banner. „Kampf dem Faschismus“, auf einem | |
anderen. Die ersten Reihen des Demozugs skandierten „Es gibt kein Recht auf | |
Nazipropaganda“ und „Nie wieder Deutschland, nie wieder Dresden“. Auf der | |
anderen Seite der Altstadt zog ein zweiter, ähnlicher Protest in Richtung | |
des Versammlungsorts der Neonazis. Über Stunden blieben die | |
Demonstrant:innen in der Innenstadt. | |
Anne Herpertz (Piraten), die beim Bündnis „Dresden WiEdersetzen“ den | |
Protest mitorganisiert hat, zeigte sich am Abend zufrieden, auch wenn die | |
Neonazis laufen konnten. „Es ist uns mit Tausenden gelungen, die Naziroute | |
zu verkleinern“, betont sie. Das sei ein Erfolg. Allerdings kritisiert | |
Herpertz das Vorgehen der Polizei: „Es gab absolut unnötige Härte beim | |
Räumen von Demonstrant:innen, jede Menge Schmerzgriffe und Pfefferspray in | |
die Masse.“ | |
Die Polizei hatte vorab angekündigt, Ziel des Einsatzes am Samstag sei die | |
„Wahrung der Grundrechte aller Versammlungsteilnehmer“ und Konflikte zu | |
entschärfen. Wegen der starken Mobilisierung rechneten die Beamten mit | |
einer konfrontativen Versammlungslage. Vor Ort waren Beamte aus acht | |
Bundesländern und von der Bundespolizei. | |
Beim „Gedenkmarsch“ stellten sie am Samstag 39 Verstöße gegen das | |
Versammlungsgesetz fest. „Unter anderem hatten Teilnehmer | |
Protektorenhandschuhe, Einhandmesser, Schlagringe und Pfefferspray dabei | |
oder trugen Springerstiefel. Weitere Männer zeigten verbotene Zeichen auf | |
ihrer Kleidung oder hatten diese sichtbar tätowiert“, heißt es in einer | |
Mitteilung. | |
Den Marsch hatte in diesem Jahr Lutz Giesen angemeldet. Früher war er aktiv | |
in neonazistischen Kameradschaften, heute sitzt er für die Freien Sachsen | |
im Kreistag Mittelsachsen. Gegen Mittag trafen nach und nach immer mehr | |
Neonazis in Szenekleidung beim Versammlungsort am Bahnhof Mitte ein. In den | |
Reden sprachen sie über das „Weiße Europa“ und über die vermeintlichen | |
Fakten zur Bombardierung Dresdens. | |
Historischen Forschungen zufolge starben bei den Angriffen der Alliierten | |
vom 13. bis zum 15. Februar 1945 etwa 25.000 Menschen. Die Zahl sei zu | |
gering, hieß es auf der Kundgebung | |
Unter anderem auf einem Banner mit NPD-Logo hieß es dieses Jahr erneut, es | |
habe 350.000 Tote gegeben. Auf einem anderem stand, es sei ein | |
„Bombenholocaust“ gewesen, eine Verharmlosung des industriell | |
durchgeführten Massenmords an sechs Millionen Jüdinnen und Juden. Mit | |
dem Begriff beschäftigte sich bereits in den vergangenen Jahren die | |
Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Die [1][stellte jedoch das Verfahren | |
ein, die Bezeichnung sei nicht strafbar]. | |
Anmelder Lutz Giesen schimpfte, die offiziellen Zahlen seien Lügen. Und am | |
Schluss lobte er noch die Dresdner und Deutschen von 1945, die trotz des | |
Bombardements „bis zum letzten Tag dem Feind standgehalten haben“. | |
## Menschenkette in Dresden | |
Zum offiziellen Gedenken hatte die Stadtregierung selbst am Donnerstag zu | |
einer Menschenkette um die Altstadt aufgerufen. Laut einer Pressemitteilung | |
nahmen 10.000 daran teil, darunter neben Oberbürgermeister Dirk Hilbert | |
(FDP) auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und | |
der britische Botschafter Andrew Mitchell. Seit 2010 ist die Menschenkette | |
mittlerweile zur Tradition geworden. Damals sollte sie symbolisch die | |
Dresdner Altstadt von den Neonazis abschirmen. In diesem Jahr war sie dafür | |
ein bisschen zu früh. | |
Am Samstag stellen sich trotzdem Tausende den Neonazis entgegen. Das sei | |
gut, meint der Dresdner Steve Hollasky. Mit warmer Mütze gegen die Kälte | |
gewappnet, demonstriert auch er am Samstag in der Altstadt. „Dass das | |
wieder der größte regelmäßige Neonaziaufmarsch in Europa wird, darauf hat | |
hier natürlich niemand Lust.“ | |
Für Hollasky gehe es aber nicht nur darum, den „Gedenkmarsch“ durch | |
Blockaden zu verhindern. Es brauche zusätzlich eine soziale Politik, statt | |
der aktuell in Sachsen drohenden Sparmaßnahmen. Die Rechtsextremen seien | |
schließlich die, „die vom Frust der Gesellschaft profitieren können, wenn | |
zu viel gespart wird. Gleichzeitig sind sie auch diejenigen, die massiv bei | |
Armut sparen wollen.“ | |
Doch aktuell sieht es nicht danach aus, als ob sich die Sparpolitik in | |
Sachsen oder der Bundesrepublik ändert. Insofern dürfte es auch im 81. Jahr | |
nach der Bombardierung zu einem „Gedenkmarsch“ in Dresden kommen – und zum | |
entsprechenden Gegenprotest. | |
15 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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