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# taz.de -- Buch über Bayerns Weg in die Moderne: „Söder dreht das Rad scho…
> Bernhard Löfflers Buch „Das Land der Bayern“ legt den rationalen Kern des
> Freistaats offen. Ein Gespräch über longue durée und den Erfolg der CSU.
Bild: Ein Prosit der Mächtigkeit des Markus
taz: Herr Löffler, in Bayern wird gern betont, wie alt der Staat Bayern
schon sei, weit über 1.000 Jahre. Sie setzen mit ihrer Darstellung vom
„Land der [1][Bayern]“ vor gerade mal 200 Jahren ein, in der Zeit der
beginnenden [2][industriellen Revolution] und der napoleonischen
Umwälzungen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Bernhard Löffler: Ich wollte eigentlich eine Gesamtdarstellung zur
Geschichte des neuzeitlichen Bayern mit längeren Linien schreiben und habe
dann mit dem Kapitel begonnen, das auch jetzt am Anfang steht und das
damals schon den Arbeitstitel „Das Land der Bayern“ trug. Dieser Raum und
was man mit dem Raum macht, wie man ihn gliedert, was man ihm zuschreibt,
die Ambivalenzen, die man damit verbindet – dieses Thema hat eine
Eigendynamik gewonnen. Der Startpunkt um 1800 hat aber schon auch einen
inhaltlichen Grund, weil das moderne Bayern erst zu dieser Zeit beginnt,
mit dem Eingliedern der sogenannten neubayerischen Gebiete Schwaben und
Franken. Da entsteht ein „Staatsbayern“, das dann über die Brüche des 19.
und 20. Jahrhunderts in erstaunlicher Konstanz bewahrt wird. Wenn man
a[3][ndere Bundesländer] ansieht, ist es dort wesentlich komplizierter.
taz: Bayern gilt heute als ein starkes Bundesland, das seine
Eigenständigkeit und Besonderheit innerhalb Deutschlands betont. Der Staat
Bayern war aber zumeist einer, der lavieren musste. Wo bleibt in der
bayerischen Staatserzählung dieses weniger selbstbewusste Element?
Löffler: Für die Stärke spricht, dass man territoriale Teile, die als
Bayern bezeichnet werden, seit dem Frühmittelalter identifizieren kann. Ein
zweites Moment ist die lang regierende Dynastie der Wittelsbacher, von 1180
bis 1918. Ich würde nicht sagen, dass das ein schwacher Staat war, sondern
ein mittelgroßer Staat, der etwa im Dreißigjährigen Krieg eine gewichtige
Rolle spielt. Die realen Abhängigkeiten versucht man, durch
geschichtspolitische Erzählungen zu kompensieren, um eine soziale Identität
zu stiften, aber auch, um sich dadurch eine Größe und einen
Handlungsspielraum anzueignen, der den eigentlichen Verhältnissen nicht
ganz entspricht. Jetzt wissen wir aber alle, dass Politik eben nicht nur
machtpolitisch funktioniert, sondern sehr viel symbolisch, durch
Repräsentation und informelles Machtmanagement. Was dann dabei herauskommt,
ist ein Wechselspiel aus einem über die Maßen selbstbewussten Auftreten und
zugleich dem Überspielen von gewissen Minderwertigkeitskomplexen, in diese
Richtung geht das. Leute, die abhängig sind oder sich anpassen, müssen ihr
Selbstbewusstsein besonders inszenieren.
taz: Selbstbewusstsein bringt mich zur CSU: Können Sie skizzieren, wie die
CSU es in den 1970er Jahren schafft, die Erzählung vom modernen Bayern mit
der Tradition zu verbinden, und sich damit [4][als Staatspartei Bayerns
etablier]t?
Löffler: Das Aufgreifen von Modernisierungsimpulsen in den 1960er und
1970er Jahren ist ein europaweites Phänomen: ein planender Staat, der sich
seiner infrastrukturellen Aufgaben stärker bewusst wird, angesichts von
Problemfeldern, die mit einem einfacheren Instrumentarium nicht mehr zu
lösen sind, im Umweltschutz, im Hochschulbau, im Ausbau des
Straßenverkehrs, bei der Gewerbeansiedlung und der Tourismusförderung. Da
ist die CSU Kind ihrer Zeit. Die bayerischen Umstände sind, dass das ein
sehr flächiges Land ist mit unterschiedlichen Gewerbeverdichtungen und auch
mit vielen Zonen, die man als strukturschwach gekennzeichnet hat. Dass die
CSU die bewusste Modernisierung mit der Wahrung von Tradition in Einklang
bringt, das hat ganz stark auch mit einem Akteur wie dem damaligen
Ministerpräsidenten Alfons Goppel zu tun. Der nimmt mit einem väterlichen
Gestus die Sorgen von Menschen ernst und führt gleichzeitig in eine
modernere Zukunft. Das geht bei Franz Josef Strauß weiter, der eine
wesentlich polarisierendere Figur ist. Auch Strauß hält den Kontakt ins
Land hinein, spricht mit den Leuten und mit den Verbänden. Der Erfolg der
CSU hängt überdies mit ihrer institutionellen Stärke zusammen, der Präsenz
mit Ortsvereinen wirklich bis in den hintersten Winkel Bayerns, womit sie
dann tatsächlich in neue soziale Schichten vordringt.
taz: Welches Angebot macht sie diesen Schichten?
Löffler: Ein Modernitätsangebot, was konkret auch Betätigungsfelder für
Ingenieure, für Planer einschließt. Der Anspruch, rationale Politik zu
betreiben und umzusetzen, das ist sehr gut angekommen. Man merkt allerdings
auch, wo das an Grenzen stößt, Sollbruchstellen, wo es der CSU dann aber
teilweise auch wieder gelingt, zurückzurudern vom euphorischen Gestus der
Effizienzsteigerung, für den etwa auch die Amtszeit von Edmund Stoiber mit
diesem Slogan „Laptop und Lederhose“ stand. Dennoch gab es teilweise
Widerstand auf der unteren Ebene. Die Leute merken etwa mit der
Gebietsreform der 1970er Jahre, wir verlieren unsere eigene Feuerwehr und
unser Marktrat, der wird plötzlich in die Nachbargemeinde, die man noch nie
gemocht hat, integriert. Da ist die Grenze der Reformen mit der Brechstange
sichtbar.
taz: Bayerns Ministerpräsident ist ein evangelischer Franke, der
stellvertretende Ministerpräsident kommt aus Niederbayern. Hat Oberbayern
gerade ein bisschen seinen Nimbus verloren, was die politische Strahlkraft
angeht?
Löffler: Der Regionalproporz spielt in der CSU nach wie vor eine Rolle,
wenn die Posten vergeben werden. Dass Söder so unangefochten an der Spitze
steht, hat mit dem Apparat zu tun, den er sich geschaffen hat. Viele
Abgeordnete sind der Überzeugung, dieses Zugpferd brauchen wir, sonst
verlieren wir Mandate. Das ist, glaube ich, nicht von Sympathie oder von
engeren Loyalitäten getragen, sondern eher von rationalen
Kosten-Nutzen-Abwägungen. Insofern ist es richtig, dass an der Staatsspitze
dieses oberbayerische Element ein bisschen zurückgetreten ist. Auf der
anderen Seite hat die CSU mit [5][Ilse Aigner] in ihrer Rolle als
Landtagspräsidentin so etwas Überregionales, Überparteiliches, mit dem
Oberbayerischen als Hausmacht, aber auch als Gestus.
taz: Ist [6][Söder] nicht doch etwas Neues?
Löffler: Würde ich schon zum Teil auch sehen, etwa wie er umgeht mit
sozialen Medien, wie auf gleicher Ebene eine politische Rede und das Essen
einer Currywurst stehen. Eine sehr auf eine Figur bezogene Show. Politik
hat wie gesagt immer mit Symbolen und Ritualen zu tun, aber Söder dreht das
Rad schon noch ein bisschen weiter. Auf der anderen Seite könnte man sagen,
dass Söder veroberbayerisiert ist. Ob das die Auftritte in Tracht oder mit
den bayerischen Gebirgsschützen sind oder wie bei jeder Gelegenheit das
bayerische Staatswappen gezeigt wird, auch auf der Baseballkappe in
Parallelität zu Make America Great Again. Söder spielt mit diesen
Elementen. Ich nehme ihn eigentlich nicht als einen fränkisch-evangelischen
Protagonisten wahr, der diese Regionalität stärker ins Spiel bringt,
sondern als jemand, der auch das unter klaren Opportunitätsgründen
betreibt. Er greift sich – gar nicht so sehr aus innerer Überzeugung – die
Elemente heraus, die seine Politikmarke stützen.
taz: Er hat nicht mehr dieses „Jammervolle“, was Sie dem früheren
fränkischen Habitus in ihrem Buch bescheinigen.
Löffler: Das hat er absolut nicht, da ist kein Stäubchen an Selbstzweifel.
Aber er hat natürlich auch Franken einiges gebracht, insbesondere Nürnberg,
etwa mit der Gründung der Technischen Universität.
taz: Der altbayerische Raum, das betonen Sie, ist durchaus strukturierter,
als man so denkt. Welche Art von Bayerntum repräsentiert der
stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger aus Niederbayern?
Löffler: Niederbayern ist ein reiches und selbstbewusstes Land. Da gibt es
gewisse Formen von Eigensinn und auch von Renitenz. Das findet sich in der
Literatur, in filmischen Produkten, wo niederbayerischen Gegenden eine
etwas lässigere und eigensinnige Form des Daseins zugeschrieben wird, aber
auch parteipolitisch. Im ausgehenden 19., beginnenden 20. Jahrhundert
bekommt dort die Bayerische Zentrumspartei immer deutlich weniger Stimme
als im Durchschnitt, weil es im Niederbayerischen immer eine starke
bäuerliche Partei gegeben hat. Der Bayerische Bauernbund ist das zuerst
gewesen. In der Weimarer Republik sind das auch Parteien, die sehr schnell
ins Radikale umschlagen. Da würde ich durchaus eine Linie zu den
Erfolgsinseln der heutigen Freien Wähler ziehen. Historisch war
beziehungsweise ist das eine Parteiströmung, die deutlich antiklerikaler
und interessenpolitischer ist. Da kommt der Zug des Bäuerlichen zum
Materialistischen noch stärker zum Ausdruck als in anderen Gegenden: „Das
Heu muss rein, wenn es trocken ist.“ Ein selbstbewusster Menschenschlag,
auch liberal und anarchisch, den staatlichen Institutionen mit
Selbstbewusstsein, manchmal mit Distanz begegnend. Ein Charakterzug, der
durchaus offen ist für eine Form von radikaler, pointierter Politik, aber
dabei immer Interessenpolitik betreibt, schon [7][auch anfällig für
populistische Tendenzen].
taz: Die bayerische Staatserzählung, die Sie als Wissenschaftler in Ihrem
Buch dekonstruieren, bleibt eine gelungene Erzählung. Das hat nicht zuletzt
mit Ihrem Metier zu tun.
Löffler: Mein Anliegen ist in der Tat die Selbstreflexion der eigenen
Profession. Es gibt kein Bundesland, das ähnlich mit landeshistorischen
Professuren ausgestattet ist wie Bayern, nicht mal annähernd. In Bayern ist
an jeder Uni mindestens eine solche Professur vorhanden. [8][Das ist ein
sehr bewusstes Institutionalisieren.] Das ist gesellschaftspolitisch
gewollt, dass man sich mit diesem Thema beschäftigt: aus der historischen
Tradition heraus zu legitimieren, was Bayern ausmachen soll, nämlich diese
lange Staatlichkeit, die starke föderative Position. Dieses Wissen wird
etwa konkret verankert im Staatsexamen, die Lehrerbildung ist ein wichtiger
Multiplikator. Die Besetzung der Gymnasiallehrer und Gymnasialdirektoren
oder auch die Besetzung von Museen, die Positionen im Bayerischen Rundfunk:
Dahin wurden oftmals Akteure lanciert, die entsprechende Geschichtsbilder
vermitteln. Und das sehr erfolgreich.
27 Feb 2025
## LINKS
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[4] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/zum-tod-des-parteien…
[5] /Ilse-Aigner-ueber-Debattenkultur/!5961480
[6] /CSU-nach-der-Wahl/!6071992
[7] /Braune-Tradition-zwischen-Main-und-Alpen/!5956403
[8] https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-150120
## AUTOREN
Ambros Waibel
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