# taz.de -- Hopecore reanimiert virale Videos: „Ah ja, alle tot“ | |
> Hopecore verwandelt melancholische Internet-Momente in emotionale Memes. | |
> Zwischen nostalgischer Ästhetik und trostspendender Ironie. | |
Bild: Video, in dem Altkanzler Gerhard Schröder „menschelt“ | |
Ex-Kanzler [1][Gerhard Schröder] (SPD) steht in einem blauen Jackett und | |
mit Ansteckmikrofon vor einem Gutshaus [2][in Niedersachsen] und unterhält | |
sich mit zwei Anwohnerinnen: | |
„Ich war mal hier vor ein paar Jahren, da wohnten noch die polnischen hier, | |
wie hießen se noch?“, fragt er. | |
„Vladek.“ „ | |
„Gibt’s die noch?“ | |
„Nee, die sind alle tot.“ | |
„Ah ja, Mensch, Arnold auch?“ | |
„Arnold ist auch schon tot.“ | |
„Ah ja, Mensch.“ | |
„Elisabeth? Auch tot!“ | |
Dieser Clip stammt aus einer [3][ARD-Reportage] über Schröder | |
„Macht.Mensch.Schröder“ von 2014, geht aber aktuell auf Social Media viral. | |
Woran liegt das? Vielleicht, weil der Altkanzler in dem Video ein bisschen | |
zu menscheln versucht. Vielleicht liegt es aber nicht nur an dem eigentlich | |
deprimierenden Clip, sondern daran, dass es #hopecore gibt. Ein Trend zur | |
Bearbeitung von teils schon früher ikonisch gewordenen Videos. | |
Auf Instagram wurde das Schröder-Video vom Nutzer „Der Lampenputzer“ für | |
den Trend mit melancholischer Gitarrenmusik unterlegt und träumerische | |
Landschaften aus der Vogelperspektive wurden eingeblendet. Die gesprochenen | |
Worte erscheinen in pastelllfarbener Comic-Sans-Schrift auf dem Bildschirm, | |
die Ästhetik erinnert an eine Powerpoint-Präsentation aus den 2010er | |
Jahren. | |
## Wie schnulzige Filmtrailer | |
Genau dahin sollen wir mit #hopecore sentimental zurückversetzt werden. | |
Laut Aesthetics Wiki geht es beim Hopecore-Trend um eine Art Philosophie, | |
die auf Hoffnung und Menschlichkeit basiert. Es geht um die besonderen, | |
alltäglichen Interaktionen mit Menschen, Natur und leblosen Objekten. Nicht | |
unbedingt religiös, aber schon spirituell. | |
Auf Tiktok und Instagram sind es meistens kleine Videos, die lustige oder | |
traurige Ausschnitte des menschlichen Daseins zeigen: Ein | |
Krankenhauspatient, der nach dem Vollsuff fragt, wann er endlich nach Hause | |
dürfe, eine schief singende DSDS-Kandidatin, die Bushido als größte Ikone | |
hat, ein Mann, der ins Telefon brüllt, weil er Thomas am anderen Ende nicht | |
verstehen kann. | |
Durch Hopecore werden diese Momente zu schnulzigen Filmtrailern. Es geht | |
gar nicht um die Inhalte, sondern nur um das Gefühl. Selbst Schröders | |
hilfloses „Ah ja, Mensch“ hat so Potenzial, zum Spruch auf einem | |
Wandkalender zu werden. | |
Das Konzept ist eigentlich nicht neu. Manche erinnern sich vielleicht noch | |
an den Facebook-Trend „[4][Nachdenkliche Sprüche mit Bildern“ von Willy | |
Nachdenklich], das 2017 ziemlich gefeiert wurde. Aber #hopecore hat dieses | |
Jahr in Deutschland ein kleines Revival gefeiert, Tausende Videos mit der | |
Ästhetik wurden in den letzten Wochen erstellt und geteilt. | |
Angesichts der aktuell dunklen Zeiten und der noch schlechteren Aussicht | |
nach der jetzigen Bundestagswahl, zumindest für diejenigen, die Migrant*in, | |
Frau, queer, behindert oder anders marginalisiert sind, ist das vielleicht | |
auch gar kein Zufall. | |
Die Linken-Politikerin und Social-Media-Ikone Heidi Reichinnek jedenfalls | |
ist schon früh auf den Trend aufgesprungen. Am 31. Dezember postete sie ein | |
Video von einer ihrer Reden: „Konzentrieren wir uns auf das, was uns | |
ausmacht“, sagt sie darin. Dazu werden ein süßer Wombat, saftiges Gras und | |
Hundewelpen eingeblendet. Manchmal ist es in dunklen Zeiten eben auch nur | |
das: ein bisschen Hoffnung finden. | |
25 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /ARD-Doku-ueber-Gerhard-Schroeder/!6000042 | |
[2] /Stadtraete-revidieren-Parteiwechsel/!6067140 | |
[3] /Reportage-Reihe-in-der-ARD/!5084949 | |
[4] /Netzsprech-Schoepfer-in-der-Kritik/!5418765 | |
## AUTOREN | |
Ann-Kathrin Leclere | |
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