# taz.de -- Extremismus bei Alemannia Aachen: Der rechte Flügel | |
> Im Prozess gegen einen Hooligan drängt sich die Frage auf, welche | |
> Verbindungen die Klubführung des Fußballdrittligisten zum rechtsextremen | |
> Milieu hat. | |
Bild: Unbeschwert ist die Stimmung bei Alemannia Aachen derzeit nicht wirklich | |
Erleichtert, geradezu befreit ist Heiner Backhaus, als er am vorigen | |
Dienstag den Saal 9 des Aachener Amtsgerichts verlässt, um sich endlich | |
wieder „auf den Fußball konzentrieren“ zu können. Gerade hat der Trainer | |
des Drittligateams von Alemannia Aachen eine fast zwei Stunden lange | |
Zeugenbefragung hinter sich, von der er eigentlich gehofft hatte, alle | |
Fragen schnell klären zu können. | |
Angeklagt ist der Hooligan Kevin P., dem versuchter Totschlag vorgeworfen | |
wird. Doch der Richter und die Staatsanwältin bohren tief, nachdem Backhaus | |
in den Weihnachtstagen von 2023 ein Video von Kevin P. erhalten hat, das | |
den Angeklagten zeigt, wie er während seiner Tätigkeit für einen | |
Sicherheitsdienst im Aachener Rotlichtmilieu einen Freier ins Krankenhaus | |
prügelt. Mit einem Schlagstock, mit Tritten an den Kopf des wehrlos auf dem | |
Boden liegenden Opfers. Der Mann hat einer Prostituierten ein Handy | |
geklaut. „Ich kümmere mich derweil weiter um respektlose Freier oder in | |
diesem Fall um Diebe“, schreibt Kevin P. unter das Video. Backhaus | |
antwortet: „Richtig so!!!!“ | |
Vor Gericht kann der Trainer glaubhaft versichern, dass er das Video nicht | |
angesehen hat. Er habe auch nicht gewusst, dass Kevin P. seit Jahren Gewalt | |
verherrlicht, anwendet und zumindest in der Vergangenheit rechtsextreme | |
Haltungen verbreitete, sagt Backhaus. Den Hooligan habe er nur einmal | |
getroffen. | |
Kevin P. ist auch sozial engagiert, betreibt eine Suppenküche für | |
Obdachlose, die von der Alemannia unterstützt wird. Dort habe er den | |
Hooligan als Kümmerer kennengelernt, berichtet Backhaus, und als er dann | |
das Wort „kümmern“ in der Weihnachtsnachricht gelesen habe, habe er eben | |
„Richtig so!!!!“ ins Handy getippt. | |
## Besorgte Oberbürgermeisterin | |
Diese Sache ist schnell geklärt und vielleicht sogar eine | |
Privatangelegenheit. Doch hinter dem Prozess schwingen Fragen mit, die die | |
ganze Stadt bewegen. [1][Was ist Alemannia Aachen eigentlich für ein Verein | |
geworden?] Was hat es auf sich mit den angeblichen Verbindungen von | |
Klubverantwortlichen in rechtsextreme und gewaltaffine Milieus, über die | |
immer wieder in unterschiedlichen Medien berichtet wird? Sind die Sorgen um | |
die eigene Sicherheit berechtigt, von denen manche Stadionbesucher | |
erzählen? | |
Schon 2023 sagt die parteilose Aachener Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen | |
[2][gegenüber dem WDR-Magazin „Sport Inside“] in Anspielung auf die | |
Hooligangruppe Boxstaffel 520 und deren Anführer Kevin P.: „Mir fehlt die | |
klare Positionierung gegenüber diesen Menschen, weil sie gehören für mich | |
nicht ins Stadion.“ Die Liste der fragwürdigen Vorfälle rund um den Klub | |
ist lang. | |
Als im Januar des vergangenen Jahres in Folge der Correctiv-Recherchen | |
[3][zu den „Remigrations“-Plänen der AfD] Millionen Menschen auf die | |
Straße gehen, erklärt der Verein, man werde solchen Aktionen fernbleiben: | |
„An der Spaltung der Gesellschaft werden wir ausdrücklich nicht | |
teilnehmen.“ [4][Kurz darauf rudert die Alemannia zurück,] räumt einen | |
„Fehler“ ein und versichert, niemand in der Klubführung sei | |
fremdenfeindlich oder sympathisiere mit der AfD. | |
Es gibt aber auch Berichte von einem Ex-Hooligan mit einem tätowierten | |
SS-Totenkopf auf dem Oberarm, der in einer Loge mit Funktionären der | |
Alemannia gesehen wurde. Der von dem Fußballklub unterstützte Profiboxer | |
Toni Estorer, der seine größten Erfolge in der in mehreren Ländern | |
verbotenen Kampfsportart Bare-Knuckle-Boxing feiert, erregt ebenfalls | |
Aufsehen. Es gibt ein Video, das Estorer beim Feiern mit einem Mann mit | |
Hakenkreuztattoo auf der Brust zeigt; ein anderer Mann in dem Film deutet | |
einen Hitlergruß an. | |
## Hooligangruppe mit Infostand im Stadion | |
Der in der vergangenen Woche aufgrund eines Ermittlungsverfahrens | |
vorübergehend zurückgetretene Aufsichtsratschef Marcel Moberz lässt sich | |
nach einer Wette in Estorers Tattoostudio ein Alemannia-Wappen stechen. Die | |
Aachener Zeitung bezeichnet das Verhältnis der Männer als | |
„freundschaftlich“. Und dann ist da noch diese alte Geschichte mit der | |
Karlsbande. | |
[5][Diese weiterhin existierende Fangruppierung vertreibt vor gut zehn | |
Jahren die für Vielfalt und Toleranz engagierten „Aachen Ultras 1999“] | |
unter Gewaltanwendung aus der Kurve. Bis weit ins vergangene Jahr hinein | |
hing das Banner der Boxstaffel in der Kurve, hinter dem auch schon ein | |
bekannter NPD-Funktionär zu sehen war. Dennoch genehmigt der Verein der | |
Boxstaffel einen Verkaufsstand im Stadion, weil mit dessen Erlösen die | |
Suppenküche von Kevin P. unterstützt werden soll. | |
Im Rahmen verschiedener Recherchen tauchen noch etliche weitere | |
Verstrickungen auf, die auf zweifelhafte Verbindungen hindeuten. Patrick | |
Arnold, der Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte | |
in NRW, sagt vor einigen Monaten: „Der Verein Alemannia Aachen kann sich | |
glücklicherweise auf Gewaltfreiheit berufen, dieses Ziel ist in der Satzung | |
mehrfach handlungsleitend festgehalten.“ Zugleich weist Arnold aber darauf | |
hin, „dass es in Deutschland keinen anderen Klub gibt, wo sich eine | |
Hooligangruppe mit einem eigenen Infostand im Stadion präsentieren darf“. | |
Der heutige Trainer Backhaus erzählt vor Gericht von Warnungen „von Leuten, | |
die den Klub seit 50 Jahren kennen“: „Du machst das gut, aber du darfst | |
nicht zu nah an gewisse Prozesse rankommen.“ Mehrfach hätten Leute zu ihm | |
gesagt: „Pass auf dich auf.“ Jetzt wird klar, was damit gemeint ist. | |
Reichlich unglücklich erscheint überdies, dass der Klubjustiziar und | |
Alemannia-Aufsichtsrat Osama Momen einer der Verteidiger von Kevin P. ist, | |
der noch 2024 einen Aussteiger aus der Neonaziszene als „Verräter“ | |
beschimpft und auf dessen Handy mehr als ein Dutzend weiterer Videos | |
gefunden werden, die seine Gewalttaten zeigen. | |
## Selbsternannter Chef | |
Im Verein selbst wird der Vorwurf, man pflege zu enge Verbindungen in ein | |
problematisches Milieu, jedoch konsequent zurückgewiesen. Erst vorige Woche | |
erklärte der Aufsichtsrat Moberz: „In unserem Verein gab und gibt es nie | |
Platz für rechtsradikale Arschlöcher, Extremisten und Spalter. Das | |
vielleicht noch mal für jeden, der das immer noch nicht kapiert hat. | |
Deutlicher geht es nicht.“ Moberz ist eine Schlüsselfigur in diesem | |
Alemannia-Drama, das gerade immer weiter eskaliert. | |
Der IT-Unternehmer ist das Mastermind hinter dem sportlichen Aufschwung, er | |
nennt sich selbst „Chef“, findet Sponsoren, ist an klugen | |
Personalentscheidungen beteiligt, ist der Hoffnungsträger vieler Fans, die | |
von der Rückkehr in die Bundesliga träumen. Eigentlich soll auch der | |
IT-Unternehmer in dem Prozess als Zeuge aussagen, allerdings ist er | |
inzwischen selbst mit einem Ermittlungsverfahren konfrontiert, weshalb er | |
sein Amt ruhen lässt und von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch | |
macht. | |
Genau wie Backhaus hat die Untersuchung des im Zuge der Verhaftung | |
beschlagnahmten Kryptohandys von Kevin P. ergeben, dass er das Video mit | |
der Gewalt gegen den Freier erhalten hat. Im Fall von Moberz besteht der | |
Verdacht, dass er die Aufnahmen weiterverbreitet hat, was strafbar wäre. | |
Auf die Gewaltvideos und eine dazugehörige Sprachnachricht von Kevin P. | |
soll der Aufsichtsrat geantwortet haben, dass jemand, der Prostituierte | |
„auch noch beklaut“, es „in die Fresse verdient“ habe. | |
Am Dienstag erklärt er dazu auf Facebook: „Das hat nichts mit Befürwortung | |
von Gewalt zu tun oder mit etwas gegen den Rechtsstaat, sondern mit Werten | |
die aus meiner Sicht jeder in sich tragen sollte.“ Er sei eben der Ansicht, | |
„dass man eine in die Fresse verdient hat, wenn man diese gebeutelten | |
Frauen auch noch beklaut. Nicht mehr und nicht weniger“, wobei: „Das | |
rechtfertigt natürlich nicht, dass man jemanden schwer verletzt. Hätte ich | |
das rechtzeitig gewusst, wäre diese Aussage so nicht in dieser Deutlichkeit | |
gefallen.“ | |
## Fehlende Selbstkritik | |
Wenige Tage vorher schreibt Moberz noch auf den Kanälen der Alemannia, bei | |
den Ermittlungen gegen seine Person handle es sich um ein „Verfahren, das | |
es nie geben dürfte“. Er habe sich nicht vorstellen können, dass so etwas | |
„in unserem Land möglich“ sei. Selbstkritik fehlt fast vollständig. | |
Dabei hätte Moberz spätestens nach dem Erhalt des Gewaltvideos Ende 2023 | |
klar sein müssen, dass die Sache mit der zweiten Chance für den Kriminellen | |
Kevin P. nicht in einer Art und Weise verläuft, die mit dem | |
rechtsstaatlichen Rahmen in Einklang zu bringen ist. Wobei Moberz’ | |
Vertrauen in diesen Staat grundsätzlich beschädigt ist, jedenfalls schreibt | |
er in einem älteren Social-Media-Post: „Meine private[n] Wünsche zur | |
politischen Situation in unserem Land würden wahrscheinlich zu einer | |
lebenslangen Sperre ‚im besten Deutschland, das es je gab‘ führen. Deswegen | |
lassen wir das.“ | |
Anlässlich seines vorläufigen Rücktritts beschließt er diese Tage, die | |
Kommunikation in den sozialen Medien stark einzuschränken, und regt an, die | |
Außendarstellung der Alemannia zu professionalisieren, verbunden mit einer | |
klaren Botschaft: „Wer es übrigens noch nicht verstanden hat: dieser | |
gesamte Fall hat nichts mit Alemannia oder Gremien oder Trainer oder dem | |
Alemannia Hooligan zu tun.“ Dass auch Dieter Lübbers, der Vorsitzende des | |
Verwaltungsrats der Alemannia, sein Amt ruhen lässt, weil der Verdacht | |
besteht, dass er Kevin P. als Schläger beauftragt hat, ist in Moberz’ Augen | |
ebenso wenig ein Alemannia-Thema wie die Tatsache, dass der Aufsichtsrat | |
Momen einer der Verteidiger von Kevin P. ist. | |
Wohl in der kommenden Woche tagen die Gremien, wollen eine Grundsatzdebatte | |
führen. Auf taz-Nachfrage, ob es eine Strategie des Klubs für eine | |
deutlichere Distanzierung von Kriminellen und Extremisten gebe, bleibt die | |
Antwort jedoch vage: „Alemannia Aachen setzt sich aktiv dafür ein, dass | |
gewaltsames oder diskriminierendes Verhalten nicht mit den Werten des | |
Vereins ein Einklang steht.“ Es gebe einen „Austausch mit dem Fanbeirat“ | |
und: „Alemannia Aachen distanziert sich deutlich von extremistischen oder | |
gewaltbereiten Verhalten sowie Personen.“ | |
Das klingt nicht nach einer Kehrtwende. Und doch schöpfen die vielen | |
Anhänger, die sich einen Neustart ihrer Alemannia wünschen, die nach elf | |
Jahren in der Viertklassigkeit einfach wieder Spiele gegen 1860 München, | |
Arminia Bielefeld oder Dynamo Dresden genießen wollen, zumindest ein klein | |
wenig Hoffnung. | |
22 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Alemannia-Aachen-vor-Aufstieg-in-3-Liga/!6003627 | |
[2] https://www.ardmediathek.de/video/sportschau/alemannia-aachen-und-das-probl… | |
[3] /Debatte-um-Ausbuergerung/!6058227 | |
[4] /Alemannia-Aachen-zum-Rechtsextremismus/!5985516 | |
[5] /Aachener-Ultra-ueber-Nazifans/!5074794 | |
## AUTOREN | |
Daniel Theweleit | |
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