Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Stadionsprecher über 50 Jahre im Job: „Ich habe kein Spiel verp…
> Jubilar Robert Moonen, Stadionsprecher bei Alemannia Aachen, spricht über
> die Eventisierung im Fußball, die Magie eines Pokalfinales und Katar.
Bild: Schwachmaten, die glauben Pyros abbrennen zu müssen, Fans vom Alemannia …
Stadionsprecher haben bisweilen einige Prominenz: Arnd Zeigler redet in
Bremen, Norbert Dickel in Dortmund. Matthias Opdenhövel war Sprecher in
Mönchengladbach, Werner Hansch auf Schalke, Reiner Calmund quatschte mal
LeserkusenerInnen zu. Und bei Olympia 1972 am Mikrofon: Joachim
Fuchsberger.
wochentaz: Herr Moonen, Sie sind seit 1972/73, da war Willy Brandt noch
deutscher Bundeskanzler, Stadionsprecher bei Alemannia Aachen, also seit 50
Jahren. Welches war denn das erste Spiel?
Robert Moonen: Tja, kann ich gar nicht mehr sagen. Im Herbst 1972 habe ich
vertretungsweise ein, zwei Spiele gemacht, stringent war das dann ab Anfang
1973. Aber genaues Datum und Gegner weiß ich nicht mehr.
Wie schade – also ein Jubiläumsspiel kriegen Sie nicht definiert?
Leider nicht.
Aber Sie haben seit 1973 kein Spiel verpasst?
Nein, keines. Auch vorher nicht, höchstens bei meiner Kommunion. Ich gehe
seit 1956 zum Tivoli, da war ich zehn.
War es irgendwann knapp? Haben Sie sich mal krank zum Mikro geschleppt?
Nee, einmal war ich heiser und konnte kaum sprechen. Als ich danach die
Pressekonferenz moderieren wollte, war die Stimme komplett weg.
Ist 50 eigentlich Weltrekord, oder kennen Sie langjährigere Kollegen,
vielleicht einen John Abercrombie beim englischen Drittligisten FC Alltime
United London?
Weiß ich nicht, keine Ahnung.
Über 50 Cheftrainer haben Sie seit 1972/73 ansagen dürfen in sieben
verschiedenen Ligen. Dazu 2004/2005 vier Spiele Uefa-Cup in Köln – war das
das Highlight?
Ja, war es. Allein schon weil es die ersten internationalen Spiele waren
und dann als Zweitligist im Stadion des verhassten 1. FC Köln. Das Spiel
gegen den französischen Vizemeister Lille (1:0, d. Red.) hat sich bei mir
besonders eingefressen, weil es das wahrscheinlich beste Spiel war, das je
eine Alemannia-Mannschaft gemacht hat. [1][Und da war das Pokalendspiel
2004 in Berlin.] Da sind ja immer die Stadionsprecher beider Mannschaften,
damals Arnd Zeigler von Werder Bremen und ich halt. Ich war schon sechs
Tage vorher in Berlin, hab für den Verein ein paar administrative Sachen
miterledigt und Tag für Tag mehr erlebt, welch großes Ereignis so ein
Pokalendspiel ist. Diese unvorstellbare Friedlichkeit der Fanmassen. Als
Fußballfan läuft dir da das Herz über. Ich glaube, es liegt an der riesigen
Tradition und dass beide Fanlager die gleiche lange und emotionale Strecke
bis zu diesem Tag gegangen sind. Das verbindet.
Früher waren Sprecher in der Kabine unsichtbar, heute moderieren sie am
Spielfeldrand. Besser?
Definitiv. Du kriegst die Emotionen besser mit, kannst auch mal einen
Trainer runterholen, wenn es zu aggressiv wird. Ich kann da schon was
bewirken. Neulich hatten wir einen Becherwurf, Linienrichter getroffen,
Spielabbruch. Wenn das schon passiert ist, kann ich mir sparen
durchzusagen: Bitte unterlassen Sie … Dann kommt nur der Nächste auf die
Idee. Vor Jahren hatten sich nach einer Niederlage mal ein paar hundert
Fans sehr aggressiv vor der Tribüne versammelt, weil sie, na ja: den
Vorstand sprechen wollten. Der leitende Polizeibeamte hat mich gebeten: Auf
dich hören die! Ich sollte aus dem sicheren Polizeiauto sprechen. Hab ich
gesagt: Mach ich nicht, sondern bin mit Megafon direkt da hin und hab erst
mal gesagt: Nehmt mal bitte die Vermummung runter, sonst rede ich nicht.
Hat sofort geklappt, und wir haben uns gut unterhalten.
Ein Stadionsprecher ist also auch Sozialarbeiter?
Kann man so sagen. Und DJ. Anfangs hatten wir zehn Jahre die gleiche
Kassette. Heute stellen meine Lebensgefährtin und ich die Stücke jedes Mal
zusammen. Musik ist sehr wichtig geworden. Mich kann auch jeder mit
Vorschlägen ansprechen. Ich muss ja die Ultras bedienen, die Sponsoren, die
normalen Besucher. Wenn Musik im Hintergrund läuft, etwa „You ’ll never
walk alone“, funktioniert das Singen besser als ohne. Andererseits war die
spontane Kreativität der Fans früher deutlich höher.
Sie sprechen Ultras schon mal als Schwachmaten an, einer Ihrer
Lieblingsbegriffe.
Sag ich auch mal durch, wenn ich richtig am Dampfen bin. Aber nur indirekt.
Nicht: Ihr Schwachmaten, hört auf. Sondern: Es gibt immer noch
Schwachmaten, die glauben Pyros abbrennen zu müssen. So was. Und:
Schwachmaten greift jemanden nicht total an, klingt doch eher flapsig.
[2][Alemannia ist auch in der Regionalliga ein hochemotional] aufgeladener
Traditionsverein mit oft 10.000 ZuschauerInnen bei Regionalligaspielen.
Aber der Stadionsprecher Moonen ist ’ne coole zurückhaltende Socke, ohne
mehrfaches Gebrülle des Torschützen wie woanders. Vielfach ist das
Ansagertum selbst zur Show geworden?
Ja, furchtbar. Sprecher machen sich selbst zum Event. Neulich war ich
München, sechs Tore, jeder Torschützenname wird dreimal gebrüllt, immer
lauter. Oder der Sprecher brüllt nach einer Torwartparade herum: Unsere
Nummer 1 … schrecklich. Es gibt ja sogar Sprecher, wie in Leipzig, die sich
extra verkleiden, rotes Sakko und so. Und dann Tanzeinlagen machen. Ich
bleibe lieber sachlich. Die Show entfernt von der Basis, die die Vereine ja
überall erreichen wollen. Der DFB reist bei Länderspielen überall mit
eigenem Team an, mit eigenem Event-Stadionsprecher. Die vor Ort bleiben
außen vor. So ist alles immer gleich, und dann kommt die Bitte, so, jetzt
mal die Fähnchen rauszuholen. Solche Versuche von Stimmungsmache. Als hier
in Aachen mal ein Länderspiel war, wurde ich gebeten, als Reserve zu
kommen, falls was passiert. Dafür gab es sogar einen Obolus. Ansonsten 50
Jahre nur Ehrenamt.
Heute müssen Sie auch Werbeansagen machen, da werden Auswechslungen
präsentiert oder ein Torerfolg: „Und wieder liegt der Gegner hinten …
… ein tolles Tor dank Nobis Printen.“
Ist der Reim von der Bäckerei vorgegeben? Oder haben Sie poetisch
mitgewirkt?
Ich wandle den Spruch schon mal ab: Ein super Tor, ein toller Schuss – wie
Nobis Printen ein Genuss. Das ist von mir.
Ihr Markenzeichen: Nach der Durchsage des Torschützen, und neuem Spielstand
sagen Sie „danke, danke“ und die Tribünen antworten „bitte, bitte“ sta…
„danke“, „bitte“ wie woanders.
Die Idee hatte morgens ein Kunde in meinem Geschäft. Nachmittags direkt
probiert. Und es kam sofort „bitte, bitte“ zurück.
Haben Sie beim ersten deutschen Geisterspiel, 2004 Alemannia – Nürnberg,
auch wie immer in der zweiten Halbzeit die Zuschauerzahl durchgegeben?
Hab ich. Sinngemäß: Und hier die Zuschauerzahl – die Alemannia bedankt sich
bei 21 Pressevertretern und etwa 60 Sicherheitskräften. Und hab mich wie
immer fürs Kommen bedankt.
Ihr schönster Fehler?
Als Gegner habe ich mal Wismut Aue begrüßt, kurz nach der Wende. Da hießen
die längst Erzgebirge Aue.
Es gibt Schlimmeres. [3][Der Sprecher von Waldhof Mannheim] ist nach 29
Jahren gerade zurückgetreten, weil er, wohl unbeabsichtigt, einem
gestorbenen Neonazi eine Ansage gewidmet hat.
Ach, der wusste doch um die Hintergründe. Da musst du immer sehr vorsichtig
sein, wen du da erwähnst.
Auch bei Union Berlin werden Nachrufe verlesen, bei Alemannia auch
Fan-Geburtstage. Ist das alles spielrelevant?
Ach, Geburtstage sind doch okay. Einmal hatte ich eine Frau neben mir
stehen, die wollte ihren Freund aus dem S-Block rufen lassen. Der kam auch.
Sie fragte: Willst du mich heiraten? Sagt der: Nee, ähh …, nicht hier
öffentlich, so plötzlich. Das muss ich mir überlegen … Der arme Kerl. So
was haben wir dann gelassen.
Abschlussfrage, Herr Moonen: Was machen wir mit Katar? Gucken, ignorieren,
boykottieren? Oder 5 Euro pro gegucktem WM-Spiel an Amnesty spenden?
[4][Fünf Euro an Amnesty?] Super, bin ich sofort dabei, versprochen. Aber
Boykott? Das macht die Menschenrechtslage nicht besser. Ich kann ja nicht
ein ganzes Land an die Wand nageln. Ich müsste an den Grund des Übels gehen
– und das ist die Abgehobenheit des Fußballs: Infantino, die Fifa.
Vielleicht gucke ich die deutschen Spiele. Es wird auch unheimlich viele
Menschen in den arabischen Ländern geben, die stolz wie Bolle sind. Aber
durch die Debatten ist ja bei Abermillionen Erdenbewohnern angekommen, was
in diesem Land los ist. Und ansonsten: Regionalliga läuft ja weiter.
27 Nov 2022
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!745465&s=alemannia+aachen+pokalfinale&SuchRahmen=Pri…
[2] /Archiv-Suche/!227784&s=alemannia+aachen&SuchRahmen=Print/
[3] /Neonazi-Gedenken-bei-SV-Waldhof-Mannheim/!5885559
[4] /Diskussion-um-Boykott/!5894090
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
Schwerpunkt Boykott Katar
Alemannia Aachen
Stadion
GNS
Alemannia Aachen
Alemannia Aachen
Kolumne Eingelocht
DFB-Pokal
Tihange
## ARTIKEL ZUM THEMA
Extremismus bei Alemannia Aachen: Der rechte Flügel
Im Prozess gegen einen Hooligan drängt sich die Frage auf, welche
Verbindungen die Klubführung des Fußballdrittligisten zum rechtsextremen
Milieu hat.
Alemannia Aachen vor Aufstieg in 3. Liga: Die Kampfschweinbrigade
Die lange versunkene Alemannia aus Aachen steht vor dem Aufstieg in die 3.
Liga. Doch der Klub schockiert mit fortgesetzter Nähe zu Rechtsradikalen.
Kicker Delzepich am Golfball: Der Rasenpflüger
Eine Golfrunde mit Günter Delzepich, Alemannia Aachens legendärem
Zweimeter-Zweizentner-Zweitligabriegel.
Erste Runde im DFB-Pokal: Kleinverein Alemannia profitiert
Der Sieg im DFB-Pokal geht meist an einen großen Klub. Aber auch kleine
Pleite-Vereine wie Alemannia Aachen gewinnen.
Anti-Atom-Fußballspiel in Aachen: Tore gegen Tihange
Am Samstag spielen Alemannia Aachen und 1. FC Köln II gemeinsam gegen ein
belgisches Atomkraftwerk – in „Stop Tihange“-Trikots.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.