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# taz.de -- Williams „Es werden schöne Tage kommen“: Amerikanischer Albtra…
> Zach Williams zeichnet in seinem literarischen Debüt ein düsteres,
> paranoides Bild von den USA: Storys von modernen Losern.
Bild: Zach Williams' Geschichten spiegeln die Resignation der Post-Obama-Jahre …
Auf eine Weise verkörpert Zach Williams viel von der großen sozialen
Erzählung, die seit jeher Teil des amerikanischen Selbstverständnisses ist:
Williams, der erst mit Mitte dreißig und nach der Geburt seines ersten
Kindes zum Schreiben gefunden hat, ist als literarischer Newcomer mit
seinem Debüt plötzlich überall.
Nach Vorveröffentlichungen im New Yorker, der Paris Review und McSweeney’s
sowie hymnischen Besprechungen ist Williams’ Erzählband „Es werden schöne
Tage kommen“ auch noch auf Barack Obamas alljährlicher „Summer Reading
List“ gelandet.
Das Bild, das die zehn nun von Bettina Abarbanell und [1][Clemens Setz]
übersetzten Storys vom „Land of the Free“ zeichnen, sollte dem
Ex-Präsidenten und der Galionsfigur des progressiven Großstadt-Amerikas
allerdings tonnenschwer im Magen liegen.
## Resignation der Post-Obama-Jahre
Denn über Williams’ Stories liegt bleiern die Resignation der
Post-Obama-Jahre, ein düsteres, paranoides Abbild von Amerika, das eher an
die überlangen Zinken der Heugabel in „American Gothic“, dem emblematischen
Gemälde von Grant Wood, denken lässt als an [2][Obamas blumenumranktes
Präsidentenporträt von Kehinde Wiley.] Der linksliberale Geist der
Yes-We-Can-Ära ist der Erkenntnis gewichen, dass man sich als Einzelne*r
in diesem We an einer Stelle wiederfindet, die einem höchstwahrscheinlich
ganz und gar nicht behagt.
Vieles der amerikanischen Short-Story-Tradition hallt in Williams wider:
die knappe, ökonomische Poesie der Sprache, die vielfach offenen Enden, die
Auseinandersetzung mit dem Menschen in der Natur, aber auch ein magischer
Realismus im Stile [3][Jorge Luis Borges’]. In den besten Geschichten
findet Williams, wie bei Raymond Carver, den letztmöglichen Zeitpunkt für
den Storyeinstieg und zeichnet seine Figuren mit wenigen, aber vieldeutigen
Pinselzügen. Man weiß selten mehr als die Protagonist*innen und ist
ihnen sofort nah.
In der längeren Erzählung „Sauerkleehaus“ wird das Schicksal einer jungen
Familie geschildert, die sich nach einer nicht näher ausgeführten
Apokalypse in ein abgelegenes Landhaus zurückgezogen hat und sich plötzlich
in einer Art Zeitschleife wiederfindet, in der nur sie selbst, nicht aber
ihr Sohn altern kann. Was zuvor passiert ist, erfährt man nicht, allerdings
viel über das komplexe Innenleben der Figuren und das Verdrängte einer Ehe.
## Spiel mit den Kipppunkten der Realität
Es dauert viele Seiten, bis der Wahnsinn aus der arkadischen Waldflucht
hervortritt und Ronna, die Mutter, erfasst: „Sie füttert Max nicht mehr.
Sie lässt ihn tagelang im Wald. Sie hat einen Käfig an einem Seil, wie eine
Krebsfalle, und versenkt Max darin im See.“ Williams weiß mit den
Kipppunkten der Realität zu spielen, und vor allem die längeren Geschichten
lassen einen mit einem rätselhaften Unbehagen zurück, das man auch Tage
nach dem Lesen nicht los wird.
Anders als Raymond Carver erzählt Williams nicht von den Problemen einer
arbeitenden Unterschicht, die seit Generationen an Ort und Stelle
festgenagelt ist. Stehen bei Carver die Figuren noch am Rand des Abgrunds
des amerikanischen Traums, so sind sie bei Williams bereits an der Talsohle
angekommen.
Die Protagonist*innen sind hier die Kinder der Babyboomer, denen nicht
einmal mehr das Kopieren der sinnentleerten Existenzen ihrer Eltern als
Möglichkeit bleibt. Williams' Stories handeln von Menschen, die gelernt
haben, dass es immer etwas gibt, das größer und mächtiger ist als sie
selbst, und dass die Rettung auch in der Selbstverleugnung liegt. Es sind
moderne Loser, Absteiger auf der sozialen Leiter.
Williams findet seine Figuren in der Melancholie des Alltäglichen. Mal sind
es Nachtwächter, die in verwaisten Bürokomplexen vor dem semiotischen Chaos
der Postmoderne kapitulieren und sich über Verschwörungstheorien ein
letztes Maß an Selbstwirksamkeit erhalten wollen. Oft geht es ums
Elternsein, noch öfter um den Verlust von Partnern und die darauf folgende
Selbstisolation und Depression.
## Ein Amerika der zersplitternden Gewissheiten
Für all das zwischenmenschliche Leid eines Amerikas der zersplitternden
Gewissheiten, das sich seine Einwohner gegenseitig zufügen, für all die
nagenden Leerstellen und fehlende Wärme hat Williams beinahe zärtliches
Verständnis. In „Ghost Story“ bemerkt ein an seinen eigenen Ansprüchen
gescheiterter Künstler, dass sein aufwachsender Sohn mit dem schleimigen
Chef einer IT-Firma, für die er als Student gearbeitet hat, zu ein und
derselben Person zu verschmelzen droht – und das nicht im übertragenen
Sinn, sondern tatsächlich.
Es ist die Erkenntnis, dass man die Hölle auf eine Weise auch selbst mit
hervorgebracht hat, dass alles ein ewiger Kreislauf ist. Gleichzeitig ist
die Geschichte auch eine Meditation über Vaterschaft, Männlichkeit und die
zahlreichen Spurlinien von Gewalt, die das Trump'sche Amerika durchziehen.
Es ist schwierig, diese Storys in gängige literarische Kategorien zu
zwängen. Ob Horror, magischer Realismus oder spekulative Fiktion: Williams
schreibt auf eine Weise, die völlig vergessen lässt, dass es sich um ein
literarisches Debüt handelt.
## Fieberhaft und hellseherisch
Anders als bei Carver, der nicht nur der Großmeister des späten Einstiegs,
sondern auch des effektvollen plötzlichen Endes war, funktioniert Williams’
Erzählweise am besten auf der etwas längeren Distanz. Dann erhalten die
Storys etwas Fieberhaftes.
Gar hellseherisch werden sie, wenn man als Leser*in den Wissensstand der
Figuren erreicht hat, ihr Inneres auf die Ähnlichkeiten zu sich selbst
prüft und einem dämmert, wie nah die scheinbar übernatürlichen Szenarien
der eigenen Wirklichkeit sind – und wie wenige Stellschrauben man verändern
muss, um das Monströse unserer Zeit ganz nackt hervortreten zu lassen.
7 Feb 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Yannic Walter
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