| # taz.de -- Krieg in der DR Kongo: Tshisekedi vor den Scherben seiner Amtszeit | |
| > Nach den spektakulären Erfolgen der M23-Rebellen droht der Krieg das | |
| > ganze Land zu erfassen. Kongos Präsident Felix Tshisekedi steht mit dem | |
| > Rücken zur Wand. | |
| Bild: Gilt als rundlich, gemütlich und gesellig: Der kongolesische Präsident … | |
| Berlin taz | Als Félix Tshisekedi im Januar 2019 Präsident der | |
| Demokratischen Republik Kongo wurde, wusste alle Welt: Das war nicht in | |
| Ordnung. Tshisekedi hatte die Wahlen vom Dezember 2018 gar nicht gewonnen. | |
| Aber der scheidende Präsident Joseph Kabila wollte einen leicht | |
| kontrollierbaren Nachfolger, also kürte der damalige Wahlkommissionschef | |
| Corneille Nangaa Tshisekedi zum Sieger. | |
| Sechs Jahre später führt ebendieser Corneille Nangaa die | |
| [1][Rebellenkoalition AFC (Allianz des Kongo-Flusses)], deren bewaffneter | |
| Arm M23 (Bewegung des 23. März) im Osten der DR Kongo einen Sieg nach dem | |
| anderen erzielt. „Unser Ziel ist Kinshasa“, rief er Ende Januar im frisch | |
| eroberten Goma und verwies auf seine historische Verantwortung: „Félix | |
| Tshisekedi hat die Wahl nie gewonnen. Ich habe das Monster geschaffen, also | |
| ist es meine Aufgabe, das Monster zu erledigen.“ | |
| [2][Am 27. Januar eroberten die M23-Kämpfer Goma], am [3][16. Februar | |
| Ostkongos zweite große Stadt Bukavu]. Noch nie seit Ende der großen | |
| Kongokriege 2003 waren Rebellen in der DR Kongo so stark und noch nie war | |
| die internationale Angst vor einem neuen großen Krieg in Afrika so groß. Am | |
| Ausgang dieser Konfrontation hängt das Schicksal des halben Kontinents. Der | |
| kongolesische Präsident jedoch schweigt. | |
| Zwei afrikanischen Krisengipfeln blieb Tshisekedi fern. Als Goma fiel, | |
| weilte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos, der M23-Einmarsch in Bukavu | |
| überraschte ihn bei der Münchner Sicherheitskonferenz. | |
| ## Enttäuschte Hoffnungen | |
| Félix Tshisekedi ist die tragische Figur dieses Krieges, ein schwacher | |
| Führer, dem das Land entgleitet. Sein einziges politisches Kapital, als er | |
| 2019 unerwartet Präsident wurde, war sein Name. Étienne Tshisekedi, sein | |
| Vater, Gründer der Untergrundpartei UDPS (Union für Demokratie und sozialen | |
| Fortschritt), war einst Held der Demokratiebewegung gegen die | |
| Mobutu-Diktatur in Zaire, wie die DR Kongo bis zu dessen Sturz 1997 hieß. | |
| Doch Mobutus Fall brachte keine Demokratie, sondern die Machtergreifung des | |
| Rebellenführers Laurent-Désiré Kabila, auf den später sein Sohn Joseph | |
| Kabila folgte. Die UDPS blieb außen vor und fühlte sich betrogen. Étienne | |
| Tshisekedi starb hochbetagt und frustriert 2017, Sohn Félix übernahm. | |
| „Fatshi“ wurde der in Brüssel groß gewordene Lebemann nach seinen Initial… | |
| genant, rundlich, gemütlich und gesellig – aber kaum geeignet für das | |
| Haifischbecken der kongolesischen Politik in Kinshasa, wo Kongos immense | |
| Reichtümer und deren Erträge immer neu unter einer kleinen Elite aufgeteilt | |
| werden. | |
| Als Kongos Opposition einen gemeinsamen Kandidaten für die [4][mehrfach | |
| verschobenen Wahlen 2018] suchte, zog Tshisekedi den Kürzeren – und trat | |
| prompt allein an. Das nährte damals schon den Verdacht eines Deals mit | |
| Kabila. Und so kam es denn auch. Der gemeinsame Oppositionskandidat Martin | |
| Fayulu lag klar vorn, aber Kabila fädelte ein, dass stattdessen Tshisekedi | |
| Präsident von seinen Gnaden wurde. | |
| ## Endlich ein wahrer Sieg | |
| Dass Tshisekedi das mitmachte, haben ihm viele einstige Weggefährten nie | |
| verziehen. Für die UDPS aber war der schmutzige Deal ein notwendiges Übel, | |
| ihre Machtergreifung ein Akt historischer Gerechtigkeit. Die Partei hatte | |
| Großes nachzuholen. Kongos Warlordstaat sollte endlich ein ziviles System | |
| werden, das etwas für das Volk tut: kostenlose Grundschulbildung, | |
| kostenlose Basisgesundheit, Sozialwohnungen, staatliche Präsenz in allen | |
| 145 Distrikten des verelendeten Landes. | |
| Tshisekedi lernte schnell. Im Bergbau und in der Justiz platzierte er | |
| Günstlinge. Das Zweckbündnis mit Kabila kündigte er nach zwei Jahren auf. | |
| Kabila ging ins Exil. Bei den [5][Wahlen Ende 2023 triumphierte Tshisekedi | |
| mit 74 Prozent der Stimmen]. Es war endlich sein eigener Sieg, er hatte es | |
| geschafft. | |
| Aber den wichtigsten Bereich hatte Tshisekedi nie in den Griff bekommen – | |
| das Militär und den Sicherheitsapparat. Kongos mächtigste Generäle | |
| verdanken ihre Karriere und ihre teils erheblichen Reichtümer fast alle | |
| Joseph Kabila. Mit einem Zivilisten als Staatschef, dem ersten seit den | |
| 1960er Jahren, konnten und wollten sie nichts anfangen. Tshisekedi blieben | |
| zwei schlechte Optionen: sie unangetastet lassen – oder auswechseln und zu | |
| Gegnern machen. | |
| Er entschied sich für beides, abwechselnd und auch parallel. In zwei von | |
| Gewalt geprägten ostkongolesischen Provinzen verhängte er 2021 das | |
| Kriegsrecht, aber zentrale Posten in Kinshasa besetzte er mit Generälen | |
| seiner eigenen Baluba-Ethnie ohne Kriegserfahrung, es gab häufige | |
| Rotationen. Das Ergebnis: ein dysfunktionaler Militärapparat voller | |
| Intrigen, mit vielen kaltgestellten Akteuren, die aber noch erheblichen | |
| Einfluss behielten. | |
| ## Tshisekedi vermutet Rache Kabilas | |
| Das Tshisekedi-Lager ist davon überzeugt, dass der ganze Krieg mit der M23 | |
| auf diese Weise entstand. Die von Ruanda unterstützten kongolesischen | |
| Tutsi-Rebellen waren nach ihrer ersten Kriegsrunde 2012/13 ins Exil | |
| gegangen. Tshisekedi hatte diskrete Gespräche über ihre Rückkehr | |
| aufgenommen, und er wollte auch die historischen Spannungen mit Ruanda | |
| beenden. Aber noch während der Geheimgespräche in Kinshasa griff ein | |
| Kabila-treuer Armeegeneral im November 2021 auf eigene Faust die | |
| verbliebenen M23-Basen in Ostkongo an. Der Konflikt flammte neu auf. | |
| War das Kabilas Rache dafür, dass er aus der Politik herausgedrängt wurde? | |
| Mehrfach hat Tshisekedi Joseph Kabila als den Verursacher des M23-Krieges | |
| genannt, zuletzt in München. Und es ist kein Zufall, dass ausgerechnet | |
| Kabilas einstiger Wahlkommisisonschef Corneille Nangaa, Architekt des | |
| schmutzigen Deals von 2019, eine Woche vor Tshisekedis Wiederwahl im | |
| Dezember 2023 in Kenias Hauptstadt Nairobi die Gründung der Rebellenallianz | |
| AFC mit der M23 als Kern ausrief. | |
| Im M23-Krieg wurde das Armeechaos offensichtlich. Langsam, aber sicher | |
| setzten sich die Rebellen durch. Tshisekedi holte Eingreiftruppen aus | |
| Burundi und Südafrika ins Land, auch private Militärfirmen aus Rumänien und | |
| Bulgarien mit französischen Fremdenlegionären. | |
| Studenten wurden mobilisiert, lokale Milizen unter dem Sammelbegriff | |
| „wazalendo“ (Patrioten) als Hilfstruppen der Armee beigestellt, dazu die | |
| von Ruandas Völkermordtätern gegründete Hutu-Miliz FDLR (Demokratische | |
| Kräfte zur Befreiung Ruandas). Diese abenteuerliche Koalition hatte kein | |
| geeintes Kommando, nur einen gemeinsamen Feind. Aber den gutausgebildeten | |
| M23-Kämpfern und den Spezialkräften aus Ruanda an ihrer Spitze hatte sie | |
| wenig entgegenzusetzen. | |
| ## Wichtige Oppostionelle aus Katanga | |
| Viele kongolesische Beobachter erwarten, dass die M23 nach dem Sieg in | |
| Ostkongos Kivu-Provinzen nun den Sprung Richtung Katanga wagen will – die | |
| ökonomisch wichtigste Region des Landes, mit ihren riesigen Kupfer- und | |
| Kobaltminen das Rückgrat der kongolesischen Wirtschaft, und politisch der | |
| einzige Landesteil, der 2023 nicht für Tshisekedi stimmte. | |
| Denn aus Katanga stammen sowohl Joseph Kabila als auch [6][Moïse Katumbi], | |
| Tshisekedis wichtigster Gegenkandidat bei den Wahlen 2023. Katumbi wurde im | |
| Wahlkampf als Handlanger der M23 beschimpft und endete mit verdächtig | |
| geringen 18 Prozent. Er hat sich seitdem weitgehend zurückgezogen. | |
| Während Kabila und Katumbi lange Zeit einander spinnefeind waren – unter | |
| Kabila durfte der populäre Fußballmäzen nie zu Wahlen antreten –, haben | |
| sich jetzt beide gegen Tshisekedi vereint und im Dezember 2024 in | |
| Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba ein Bündnis geschmiedet. Nun stehen die | |
| beiden wichtigsten Politiker Katangas gemeinsam in Opposition zum | |
| Präsidenten, beide als Rebellensympathisanten geschmäht. | |
| Im Zentrum ihrer Kritik steht Tshisekedis Projekt einer Verfassungsreform. | |
| Im Oktober hatte der Präsident erklärt, Kongos bestehende Verfassung aus | |
| dem Jahr 2006, Fundament der Nachkriegsordnung, entspreche nicht mehr den | |
| Erfordernissen der Gegenwart und sei zudem von Ausländern geschrieben | |
| worden. Was er stattdessen will, hat Tshisekedi nicht präzisiert. In der | |
| UDPS kursieren aber Forderungen nach einer dritten Amtszeit für den | |
| Präsidenten. | |
| ## M23 stößt nach Süden vor | |
| Das hat Empörung hervorgerufen, viele Oppositionelle rufen zum Widerstand, | |
| zur Verteidigung der Verfassung auf. Sie monieren darüber hinaus zunehmende | |
| politische Verfolgung. Viele Reformprojekte aus Tshisekedis ersten | |
| Amtsjahren sind versandet, bei der Ankündigung stehengeblieben oder nie | |
| über ein paar Pilotptojekte und Regierungsgremien hinausgekommen. Die | |
| Rebellenallianz AFC spricht jetzt von ihrem „verfassungsgemäßen Kampf“ | |
| gegen „schlechte Regierungsführung, Autoritarismus, Korruption, Tribalismus | |
| und den Zugriff einer einzigen Familie auf die Reichtümer des Landes“. | |
| Der Weg nach Katanga wäre für die M23 nicht weit. Die historische Region | |
| dieses Namens, die erst 2016 in fünf Provinzen aufgeteilt wurde, beginnt | |
| direkt südlich von Süd-Kivu, wo die Rebellen jetzt die Provinzhauptstadt | |
| Bukavu erobert haben und weiter nach Süden marschieren. Zuerst kommt Joseph | |
| Kabilas Heimatprovinz Tanganyika, wo dessen Bruder Zoe Kabila bis zum Bruch | |
| der Allianz mit Tshisekedi 2021 Provinzgouverneur war. | |
| Daran schließt sich Haut-Katanga an, Heimatprovinz des Oppositionellen | |
| Katumbi und Herz des kongolesischen Bergbaus. In der Provinzhauptstadt | |
| Lubumbashi gab es am Sonntag bei einem Fußballspiel Nangaa-Sprechchöre, | |
| diese Woche riefen namhafte katangische Politiker zum Widerstand gegen | |
| Tshisekedi auf. Südafrika, das den Präsidenten militärisch unterstützt, hat | |
| bereits Truppen nach Lubumbashi entsandt. | |
| ## Ohne gesichtswahrenden Ausweg | |
| Für einen Abwehrkampf fehlen Tshisekedi Autorität und Legitimität. Viele | |
| radikale Oppositionelle wollen Krieg mit Ruanda, einen Bruch mit dem Westen | |
| und eine Generalmobilmachung, für sie ist der Präsident lasch und | |
| zögerlich. Nach dem Fall Gomas [7][gab es in Kinshasa schwere Unruhen]. | |
| Nach dem Fall Bukavus haben einige der zuvor mobilisierten „patriotischen“ | |
| Milizen in Süd-Kivu begonnen, fliehende Soldaten zu jagen. | |
| Gibt es einen Ausweg? Die großen katholischen und protestantischen Kirchen | |
| der DR Kongo haben eine Dialoginitiative gestartet: Hohe Bischöfe aus | |
| beiden Kirchen reisten in der vergangenen Woche nach Goma zur M23, nach | |
| Ruanda und nach Brüssel. Dort trafen sie am Sonntag Moïse Katumbi und | |
| stellten ihren „Sozialpakt für den Frieden“ vor, der Gespräche zwischen | |
| Kongos Konfliktparteien als Voraussetzung für eine Befriedung des Landes | |
| vorsieht. Sie stießen auf viel Zuspruch. | |
| In Kinshasa könnten die Bischöfe theoretisch bei der Heimkehr verhaftet und | |
| wegen Hochverrats zum Tode verurteilt werden. Oder Tshisekedi müsste sich | |
| Gesprächen öffnen und sich damit einem möglichen Sturz durch radikale | |
| Kriegsbefürworter aussetzen. Nach drei Jahren, in denen seine Regierung die | |
| M23 als Terroristen verfemt und jeden Kontakt mit ihnen verboten hat, gibt | |
| es für den Präsidenten keinen gesichtswahrenden Ausweg mehr. | |
| 18 Feb 2025 | |
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