| # taz.de -- Debütfilm von Constanze Klaue: Mit den harten Jungs abhängen | |
| > Romanverfilmung: „Mit der Faust in die Welt schlagen“ (Perspectives) | |
| > betrachtet nüchtern das Heranwachsen im Ostdeutschland der Neunziger. | |
| Bild: Philipp (Anton Franke) hängt bald mit den älteren Jungs herum | |
| Wenn Constanze Klaues Romanverfilmung „Mit der Faust in die Welt schlagen“, | |
| die eine Woche vor der Bundestagswahl ihre Premiere auf der Berlinale | |
| hatte, gut einen Monat nach der Bundestagswahl in die Kinos kommt, dürfte | |
| sie angesichts eines erwartbar starken Ergebnisses der AfD zur | |
| Ursachenforschung herangezogen werden. | |
| So wie seit vielen Jahren üblich bei neuen Büchern, Filmen und Songs, die | |
| sich mit dem Osten der Republik beschäftigen. Eine klare Antwort auf die | |
| drängenden Fragen der Gegenwart ist allerdings nicht zu erwarten, und so | |
| ist es auch eine der größten Stärken von Klaues Film, dass er gar nicht | |
| versucht, Antworten zu geben, sondern einfach beobachtet. | |
| Bevor sie zum Film kam und nun mit 40 Jahren ihren Debütfilm realisieren | |
| konnte, war die im damaligen Ostberlin geborene Klaue als Jazzsängerin | |
| erfolgreich und hatte sich schon mit ihrem Kurzfilm „Lychen 92“ mit der | |
| Nachwendezeit in Ostdeutschland beschäftigt. | |
| Ursprünglich wollte sie auch ihren ersten Langfilm auf der Basis eigener | |
| Erfahrungen schreiben, doch dann stieß Klaue auf den [1][2018 erschienenen | |
| Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ von Lukas Rietzschel], einer der | |
| vielen literarischen Versuche, sich mit den sogenannten | |
| Baseballschlägerjahren auseinanderzusetzen, mit dem Aufwachsen in den neuen | |
| Bundesländern, in den nicht wirklich blühenden Landschaften, in einer Welt, | |
| in der Freunde und Mitschüler auf einmal Glatze tragen und Nazi-Parolen | |
| skandieren. | |
| ## Ein Genre im Entstehen | |
| In der Literatur kann man angesichts der Vielzahl der Veröffentlichung | |
| inzwischen von einem eigenen Genre sprechen, im deutschen Kino scheint | |
| dieses gerade zu entstehen: In Kürze kommt Laura Laabs’ schon beim | |
| Max-Ophüls-Festival ausgezeichneter Film „Rote Sterne überm Feld“ ins Kin… | |
| ebenfalls ein Film einer 1985 in Ostberlin geborenen, dann in der Provinz | |
| aufgewachsenen Regisseurin. | |
| Vielleicht kein Zufall, dass sowohl Laabs als auch Klaue ähnlich an ihre | |
| Sujets herangehen, wobei Laabs weiter in die Vergangenheit blickt, als es | |
| Klaue tut. Klaues Film beginnt 2006, irgendwo in der Oberlausitz, ein | |
| genauer Ort wird nicht genannt, so wie viele zeitliche Marker – von 9/11, | |
| über das Oderhochwasser 2002 bis zur Fußball-WM in Deutschland –, die | |
| Rietzschels Roman noch genau in einer bestimmten Realität verorteten, | |
| verschwunden sind. | |
| Bewusst offen bleibt Klaue in ihrem Blick auf die beiden Brüder Philipp | |
| (Anton Franke) und Tobi (Camille Moltzen), anfangs zirka zwölf und neun | |
| Jahre, die aufwachsen, frei und weitestgehend ohne Kontrolle. Ihre Eltern, | |
| die Mutter Sabine (Anja Schneider) und Vater Stefan (Christian Näthe), | |
| arbeiten als Krankenschwester beziehungsweise Elektriker und versuchen, | |
| sich etwas aufzubauen. | |
| Doch die Realität ist trist, bald wird Stefan entlassen, die Schule ist | |
| öde, die Jungs driften herum, machen den Blödsinn, den Jungs in diesem | |
| Alter eben so machen, und dann beginnt Philipp, „Jude“ auf seine Schulhefte | |
| zu schreiben und mit den etwas älteren, den harten Jungs abzuhängen. | |
| Betont nüchtern beobachtet Constanze Klaue das Leben der Brüder, gefilmt in | |
| Breitwandbildern, die besonders gut die Weite, aber auch die Leere der | |
| Provinz einfangen, ein Leben, in dem nicht viel passiert, in dem man gerade | |
| als angehender Teenager leicht abgelenkt werden, auf die sprichwörtlich | |
| schiefe Bahn geraten kann. Im Gegensatz zum Roman verzichtet Klaue auf | |
| deutliche Bilder der Gewalt gegen Migranten, vieles bleibt vage, passiert | |
| im Off der elliptischen Erzählweise. Ohne dabei zu verharmlosen, zeichnet | |
| sie ein realistisches Bild einer Welt, wohlgemerkt nicht nur einer | |
| ostdeutschen, in der fehlende Perspektive leicht zu falschen | |
| Entscheidungen führen kann. | |
| 18 Feb 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Portraet-des-Autors-Lukas-Rietzschel/!5985461 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Meyns | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Berlinale | |
| Osten | |
| Rechtsextremismus | |
| Film | |
| Kanada | |
| Korea | |
| Schwerpunkt Berlinale | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Film über sächsische Provinz: Übersehenwerden als Grunderfahrung | |
| Franziska Klaues Debütfilm „Mit der Faust in die Welt schlagen“ erzählt v… | |
| Aufwachsen in der sächsischen Provinz in den Nuller und Zehner Jahren. | |
| Denis Côté über „Paul“: „Er hat mir nie in die Augen geschaut“ | |
| Denis Côté folgt in seinem Dokumentarfilm „Paul“ (Panorama) einem | |
| schwergewichtigen Mann. Seine Ängste überwindet der, indem er für Dominas | |
| putzt. | |
| „Mickey 17“ von Bong Joon Ho: Im Kosmos der Kaltherzigen | |
| Bong Joon Ho kehrt mit einer kapitalismuskritischen Weltraumodyssee zurück: | |
| „Mickey 17“ zeigt scharfsinnige Sci-Fi und absurden Humor. | |
| „Dreams“ von Michel Franco: Die Grenzen der Zuneigung | |
| Der Film „Dreams“ ist ein Liebes- und ein Migrationsdrama. Michel Franco | |
| seziert die Folgen ungleicher Machtverhältnisse für eine Beziehung. |