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# taz.de -- Missbrauchsskandal in Frankreich: Nichts gewusst oder schlicht gelo…
> Der französische Premierminister Bayrou soll als Bildungsminister nicht
> auf Missbrauchsfälle in einem katholischen Internat reagiert haben.
Bild: Der französische Premierminister Francois Bayrou zusammen mit Alain Esqu…
Paris taz | „Bayrou kann nicht sagen, er habe nichts gewusst. Er ist ein
Lügner“, versichert Jean-Marie Delbos, ein ehemaliger Schüler des
katholischen Internats Notre-Dame de Bétharram in Pau gegenüber dem
Online-Medium Mediapart. Er selbst habe dem derzeitigen französischen
Premierminister im März 2024 in einem Schreiben geschildert, was in der
Schule hinter verschlossenen Türen geschah. Er sei selbst Opfer sexueller
Gewalt gewesen.
Hat [1][François Bayrou] gelogen, als er am 11. Februar vor den
französischen Abgeordneten angab, er habe als Bürgermeister des
südfranzösischen Pau, Parlamentarier und danach als Bildungsminister keine
Kenntnis gehabt von angeblichen Misshandlungen und Vergewaltigungen in dem
kirchlichen Jungeninternat? Diese Frage beschäftigt zurzeit viele in
Frankreich.
Bayrous eigene Kinder besuchten die als sehr streng geltende katholische
Privatschule unweit des Pilgerorts Lourdes. Seine Frau war dort als
Religionslehrerin tätig. Wegen des wachsenden Verdachts, er habe damals
nichts wissen wollen oder womöglich die Leitung gegenüber Anschuldigungen
gedeckt, ist Bayrou jetzt in die politische Schusslinie geraten. Die linke
Opposition fordert eine parlamentarische Untersuchung und den Rücktritt des
Regierungschefs.
## Bayrou war Bildungsminister zurzeit der ersten Klage
Was genau geschah in den vergangenen Jahrzehnten in der Nähe von Pau in den
südfranzösischen Pyrenäen? In der Gegend kursieren anscheinend schon seit
Langem Gerüchte über sexuellen Missbrauch und demütigende Strafen. Diese
scheinen sich nun zu einem der bedeutendsten Skandale zu verdichten, die
Frankreichs Kirche und ihr Schulsystem bisher hervorgebracht haben. Das
Investigativ-Magazin Mediapart grub die „Affäre“ aus und fragte Bayrou, was
er damals als führender Lokalpolitiker und Vater von Schülern des Internats
gewusst oder unternommen habe.
Die erste Klage wegen Vergewaltigung wurde 1998 eingereicht. Am vergangenen
Wochenende wurde jetzt bekannt, dass zwischen 1970 und 2018 inzwischen 114
Klagen wegen „sexueller Aggressionen“ eingereicht worden seien, wozu in
Frankreich auch etwa auch Exibitionismus zählt. Die meisten Opfer leben
noch, auch einige der beschuldigten Angestellten, bei denen es sich sowohl
um Lehrer als auch Geistliche handelt. Bayrou sagte vor der
Nationalversammlung, er sei „niemals informiert worden wegen
Gewalttätigkeiten oder erst recht wegen sexueller Gewalt“ in Bétharram.
Bayrou war in den fraglichen Jahren nicht nur ab 2014 Bürgermeister von
Pau, sondern auch zeitweilig Vorsitzender der Behörden seines Departements
Béarn und französischer Bildungsminister von 1993 bis 1997.
## Gehörschaden durch Ohrfeige
1996 reichten die Eltern eines brutal gezüchtigten Jungen eine Klage ein,
und ein Aufseher wurde wegen der Ohrfeige, die bei dem Knaben einen
Hörschaden hinterließ, gerichtlich verurteilt. Die regionale Presse begann,
Fragen zu den Erziehungsmethoden in Bétharram zu stellen. Bayrou, der heute
von alldem nichts gewusst haben will, nahm die katholische Institution in
einer Stellungnahme in der Zeitung Sud Ouest aus dem Jahr 1996 in Schutz:
„Viele Bürger in Béarn empfinden diese Attacken (gegen Bétharram) mit
Schmerzen und einem Gefühl der Ungerechtigkeit.“
Christian Mirande, der 1998 als Untersuchungsrichter die Ermittlungen bei
der ersten Vergewaltigungsklage eines Schülers leitete, hat sich inzwischen
aus seinem Ruhestand zu Wort gemeldet. Der damals beschuldigte ehemalige
Direktor des Pensionats, Pierre S., nahm sich nach einer zweiten Strafklage
das Leben.
Mirande habe Bayrou damals um eine Unterredung gebeten. Der habe gesagt,
als Vater eines Schülers der Institution sei er besorgt und wolle wissen,
was an den Vorwürfen dran sei, denn er könne nicht glauben, was dem
Ex-Schulleiter angelastet werde. Der ehemalige Richter fügte an, Bayrou sei
informiert worden, habe aber in keiner Weise Druck auf ihn ausgeübt.
Inzwischen Aussage relativiert
Bayrous Aussage, nichts gewusst zu haben, wird damit recht unglaubwürdig.
Inzwischen änderte er seine Position, indem er relativierte, er sei sich
lediglich der Tragweite bewusst gewesen. In der Tageszeitung Le Monde meint
der Sprecher der Vereinigung der Opfer von Notre-Dame de Bétharram, Alain
Esquerre, daraufhin: „Alle haben damals versagt, und François Bayrou war
nicht besser als die anderen.“
Am Samstag traf der unter Mediendruck stehende Bayrou einige Mitglieder der
Vereinigung der Opfer von Bétharram. Im Anschluss daran forderte er
zusätzliche Untersuchungen durch die Justiz. Er versicherte weiterhin, er
habe von gewaltsamen Misshandlungen keine Kenntnis gehabt, denn andernfalls
– so sein Argument – hätte er nicht drei seiner Kinder in diese Schule
geschickt.
Kann man bezüglich Bétharram noch von einem bedauerlichen Einzelfall reden?
2021 schätzte die von der französischen Bischofskonferenz eingesetzte
Kommission CIASE die Zahl der Opfer sexueller Belästigung von
Minderjährigen durch Priester in Frankreich auf 216.000.
## Bayrou unter großem Druck
Die Kommission ging davon aus, dass 2,6 bis 2,8 Prozent aller Geistlicher
sich zum Zeitpunkt des Berichts schuldig gemacht hatten. Im Juli 2024 wurde
mit einem erschütternden Bericht der Emmaus-Stiftung enthüllt, dass der
2007 verstorbene populäre [2][Obdachlosenpriester Abbé Pierre], eine Ikone
in Frankreich, jahrzehntelang Dutzende von Frauen und Mädchen sexuell
belästigt hatte.
Durch die Enthüllungen in den Medien, die Opferaussagen und Prozesse der
vergangenen Jahre sind in Frankreich die Anforderungen an das Verhalten von
politischen Verantwortlichen gestiegen. Für die linke Opposition hat sich
Bayrou selber in eine unmögliche Lage gebracht. Und auch im politischen
Umfeld des Premierministers bemühen sich nur noch wenige darum, ihn zu
unterstützen.
Zu sehr befürchten sie wohl, selbst Ziel von Vertuschungsvorwürfen zum
„dunkelsten Kapitel“ der Kirche zu werden. Falls Präsident Emmanuel Macron
in den kommenden Wochen einen Grund benötigen sollte, um [3][Bayrou als
Regierungschef abzulösen], hat ihm der nun einen guten geliefert.
16 Feb 2025
## LINKS
[1] /Misstrauensvoten-in-Frankreich/!6067768
[2] /Missbrauchsskandal-in-Frankreich/!6024567
[3] /Frankreich/!6059039
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
Missbrauch
sexueller Missbrauch
François Bayrou
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