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# taz.de -- Vergewaltigungsprozess in Frankreich: Er könnte wieder freikommen
> In Frankreich verhängt ein Gericht 20 Jahre Haft im Fall Le Scouarnec
> wegen sexueller Gewalt gegen Kinder in 299 Fällen. Viele Opfer sind
> enttäuscht.
Bild: Die Urteilsverkündung im Falle Le Scouarnec wird von Demos begleitet, mi…
Paris taz | Der frühere Chirurg Joël Le Scouarnec ist am Mittwoch vom
Gericht in Vannes (Bretagne) wegen Vergewaltigungen und sexueller Gewalt
gegen Kinder in 299 Fällen schuldig erklärt und zu 20 Jahren Haft
verurteilt worden. [1][Der Prozess hatte wegen der Person des Täters und
der erschreckenden Zahl seiner minderjährigen Opfer Frankreich aufgewühlt]
und über Frankeich hinaus Beachtung gefunden.
Das Gericht hat als Zusatzstrafe angeordnet, dass der Verurteilte während
zwei Dritteln dieser Zeit zum Schutz der Gesellschaft inhaftiert bleiben
muss und somit nicht vorher (also theoretisch nach rund 13 Jahren
Haftverbüßung) auf freien Fuß kommen kann.
Dass nicht eine längere Sicherheitsmaßnahme angeordnet wurde, hat einige
Opfer des vor Gericht geständigen Straftäters schockiert. Sehr enttäuscht
von der Urteilsverkündung hat Amélie Lévêque reagiert, sie war im Alter von
9 Jahren von Le Scouarnec sexuell missbraucht worden. Sie hatte neben der
im Strafgesetz als Höchststrafe möglichen Gefängnisstrafe von 20 Jahren
auch eine ebensolange Sicherheitsverwahrung erwartet.
„Ich habe das Gefühl, dass ich während sechs Jahren für nichts gekämpft
habe“, erklärte Lévêque den sehr zahlreich anwesenden Medien. Denn es
erschrecke und empöre sie zu wissen, dass der heute 74-jährige Le Scouarnec
eventuell nach diesem Urteil eines Tages nach einer Haftentlassung auf der
Straße spazieren gehen und womöglich ehemaligen Opfern begegnen könnte. Im
selben Sinne hat sich die Vorsitzende des Vereins Face à l’inceste, Solène
Podevin Favre, geäußert. Im Gerichtssaal hatten die Zivilkläger auf die
Urteilsverkündung mit betroffenem Schweigen, Tränen und einigen Rufen
„Honte à la justice!“ („Die Justiz muss sich schämen!“) reagiert.
## Über die Taten Notizbücher angelegt
Francesca Satta, die Anwältin eines Teils der zivilen
Nebenkläger*innen fordert gestützt auf den Fall Le Scouarnec und die
enorme Zahl seiner Untaten, dass das mögliche Strafmaß nach oben korrigiert
werden müsse. Sie erklärte zudem, dass sie keineswegs überzeugt davon sei,
dass Le Scouarnec „von seinen pädophilen Problematik geheilt“ und heute so
einsichtig sei, wie er dies zuletzt aufgrund der dem Gericht vorliegenden
Beweise und Aussagen sagte.
Er hatte selber in Notizbüchern mit Daten und Namen seiner Opfer
aufgeschrieben, was er im Verlauf seiner Tätigkeit als Chirurg in der
Pädiatrie in verschiedenen Krankenhäusern getan hat.
Der Verurteilte war beim Prozess geständig. Er hatte am Ende der
Verhandlungen einige Worte der Reue gefunden. Er hat bereits gesagt, dass
er keine Berufung einlegen wolle, damit die für seine heute erwachsenen
Opfer traumatisierenden Anhörungen vor Gericht nicht wiederholt werden
müssten.
Für viele von ihnen war der Prozess effektiv eine schmerzliche Prüfung, und
es war kein Trost zu wissen, dass so viele andere ebenfalls von diesem Arzt
missbraucht worden waren. Der Prozess Le Scouarnec ging allein schon wegen
der Zahl der Opfer des pädophilen Verbrechers in die Kriminalgeschichte
ein.
## Es fehlt eine „nationale Politik der Prävention“
Welche Lehren kann die französische Gesellschaft aus diesem Prozess ziehen,
und insbesondere das Gesundheitswesen, unter dessen Schutzmantel sich Le
Scouarnec von 1989 bis 2014 an fast 300 Kindern vergriffen hat, von denen
einige nach einem chirurgischen Eingriff noch betäubt waren?
Céline Mahuteau war 1991 im Alter von 7 Jahren von Le Scouarnec in einer
Klinik vergewaltigt worden. Nach diesem Prozess kann sie es nicht
verstehen, dass die Staatsführung, „die Politik“, einfach schweige. Laut
der Regionalzeitung La Nouvelle République hat sie dem Staatspräsidenten,
Emmanuel Macron, einen offenen Brief geschickt, in dem sie ihn daran
erinnert, dass „alle Kinder des Landes in legitimer Weise erwarten dürften,
dass der Präsident das Übel an der Wurzel packt“.
Zu diesem Zweck müsse eine „nationale Politik der Prävention“ entwickelt
werden, außerdem müssten die Berufstätigen im Pflegebereich speziell für
den Kontakt mit pädophilen Sexualtätern ausgebildet werden. Beim Prozess
ist bekannt geworden, dass schon relativ früh ein Verdacht gegen Le
Scouarnec wegen seiner perversen Neigungen aufkam, was ihn aber nicht daran
hinderte, dank der Protektion gewisser Vorgesetzter seine Karriere als
geachteter Chirurg fortzusetzen und dabei unzählige weitere Kinder sexuell
zu missbrauchen.
29 May 2025
## LINKS
[1] /Prozesse-gegen-Sexualstraftaeter/!6070427
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
Vergewaltigung
sexueller Missbrauch
Pädophilie
Sexuelle Gewalt
Schwerpunkt Frankreich
Pelicot-Prozess
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