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# taz.de -- Missbrauchsskandal in Frankreich: „Nicht auch noch Abbé Pierre!�…
> Der französische Armenpriester war eine Ikone. Nun wurde bekannt: Abbé
> Pierre soll Frauen über Jahrzehnte hinweg sexuell belästigt haben.
Bild: Der katholische Priester Abbé Pierre nach einem Treffen mit Jacques Chir…
Paris taz | Der Gründer der Emmaus-Gemeinschaft, [1][Abbé Pierre,] wurde in
Frankreich wegen seines Kampfs für die Armen und Obdachlosen fast wie ein
Nationalheiliger verehrt. 17 Jahre nach seinem Tod zerstört ein Bericht
über sexuelle Aggressionen eine Legende. In Frankreich ist der Schock groß.
Die von Abbé Pierre gegründete [2][Emmaus-Stiftung] ist konsterniert,
möchte aber den mutmaßlichen Opfern glauben und sie unterstützen.
„Gewöhnlich weiß ich mich zu verteidigen, aber da war das ja so gut wie der
Herrgott. Was kannst du machen, wenn dieser Herrgott dir so etwas antut?“
Das sagte im Verlauf einer Befragung eines von bisher sieben mutmaßlichen
Opfern sexueller Aggressionen und Belästigungen durch den 2007 verstorbenen
Armenpriester Abbé Pierre. Ihre gravierenden Vorwürfe betreffen eine sehr
lange Periode von den 1970er Jahren bis 2005, das heißt bis zwei Jahre vor
seinem Tod im hohen Alter von 94 Jahren.
Vermutlich lagen die Informationen schon seit Längerem vor. Die von Abbé
Pierre gegründete Emmaus-Bewegung hatte eine unabhängige Untersuchung in
Auftrag gegeben und jetzt die Ergebnisse des Berichts publiziert. Darin
wird die Anonymität von sieben mutmaßlichen Opfern gewahrt.
Sie sprechen von anzüglichen Bemerkungen und unanständigen
Annäherungsversuchen, aber auch von unerwünschten Küssen und Berührungen
der Brüste durch den Priester. In allen Fällen handelte es sich um Frauen
im unmittelbaren Umkreis des Geistlichen, um Mitarbeiterinnen der
Gemeinschaft oder um von Emmaus unterstützte Personen. Eines der
mutmaßlichen Opfer war zur Tatzeit minderjährig.
## Nie allein zum Armenpriester
Alle erklärten, sie seien vom Verhalten des Abbés derart überrascht
gewesen, dass sie sich wehrlos gefühlt hätten. Im Nachhinein erfährt man
aus diesem Bericht aber auch, dass schon sehr früh die weiblichen
Kolleginnen unter sich den Rat weitergegeben hätten, nie allein zum
Armenpriester zu gehen.
Für die französische Öffentlichkeit dagegen kommen diese Enthüllungen
unerwartet. „Nein, nicht auch noch der Abbé Pierre!“, lautet die
erschütterte Reaktion vieler Franzosen. Denn der 1912 in Lyon unter seinem
bürgerlichen Namen Henri Grouès geborene Emmaus-Gründer war eine Art
Nationalheiliger und für viele ein Idol oder Vorbild einer praktizierten
christlichen Nächstenliebe.
Dass nun auch er von der [3][#MeToo-Welle] eingeholt und von seinem
Denkmalsockel gespült wird, hatten die Wenigsten erwartet. Und dies obwohl
Abbé Pierre selber zwei Jahre vor seinem Tod in einem Buch gestanden hatte,
dass er es in seinem Priesterleben mit dem Keuschheitsgelübde nicht immer
so Ernst genommen und gelegentlich der „Macht der Versuchung nachgegeben“
habe. Er sei „kein Mythos“, hatte er selber gesagt.
Abbé Pierre gehört zu den am meisten verehrten Persönlichkeiten der
Nachkriegszeit. Er hatte sich während des Zweiten Weltkriegs in der
Résistance, der Widerstandsbewegung gegen die Nazibesetzung, engagiert,
hatte Kinder verfolgter jüdischer Familien aufgenommen und anderen zur
Flucht verholfen. Danach dient er als Feldprediger in den Streitkräften der
France libre und wurde von General de Gaulle als Kriegsheld ausgezeichnet.
## Der Fall des „Nationalheiligen“
Als Priester stieg er 1945 in die Politik ein. Drei Mal wurde er für die
christdemokratische Partei MRP als Abgeordneter ins nationale Parlament
gewählt. Legendär wurde er wegen seines jahrzehntelangen Kampfs für die
Obdachlosen und wegen seines historischen Appells im Radio zu einem
„Aufstand der Güte“ im harten Winter von 1954.
Dank dieses Aufrufs kamen 500 Millionen Francs zusammen. Mit den Spenden
wurden Nahrungsmittel gekauft und Notunterkünfte für Obdachlose gebaut. Die
von ihm 1949 gegründeten Emmaus-Gemeinschaften, existieren heute in mehr
als 40 Ländern. Frankreich hat mit dem Fall seines „Nationalheiligen“ einen
Mythos weniger.
18 Jul 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
sexueller Missbrauch
sexuelle Belästigung
Katholische Kirche
GNS
Schwerpunkt Frankreich
Harvey Weinstein
sexueller Missbrauch
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes
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