# taz.de -- Geschichte des Champignons: They are the Champions | |
> Kein Pilz dominiert Pilzpfannen in deutschen Küchen so sehr wie der | |
> Champignon. Dabei galt er lange als Luxusartikel französischer Adliger. | |
Berlin taz | [1][Sorry an alle Pilzfans da draußen], aber lange Zeit hatte | |
auch ich nur einen Kulturpilz auf dem Schirm. Den Champignon. Das änderte | |
sich erst, als ein Freund bei unseren gemeinsamen Kochabenden vorschlug, | |
über den Pilzpfannenrand hinauszublicken. Schon bald zauberten wir aus | |
Austernseitlingen vegane Hähnchenkeulen, weil sie sich durch ihre | |
Konsistenz gut als Fleischersatz eignen. Und auch beim Einkaufen entdeckte | |
ich immer mehr Kulturpilze: Enoki, Shiitake und weitere Seitlinge. | |
Überhaupt gibt es viele Speisepilze, aber [2][nicht alle lassen sich | |
kultivieren]. Das gelingt nur mit sogenannten Zersetzern – Pilzen, die auf | |
Stroh, Holz oder Erde wachsen. Symbiosepilze dagegen, die in einem | |
Nährstoffaustausch mit einem Baum stehen, kann man nicht in großen Mengen | |
züchten. Die Symbiose nachzustellen, ist zu kompliziert. Deshalb lassen | |
sich etwa [3][Steinpilze oder Pfifferlinge] nur in der Natur finden, sie | |
sind nur saisonal erhältlich. Zersetzer wie Austernpilze, Shiitake, | |
Seitlinge oder Enoki kann man das ganze Jahr über kaufen. | |
Unter ihnen hält sich der Champignon als weltweiter Marktführer. Dabei hat | |
es von über 200 Champignonsorten nur eine einzige in die Supermärkte | |
geschafft: der Zuchtchampignon in Braun und Weiß, unter Pilzkennern auch | |
als Zweisporiger Egerling bekannt. Im Jahr 2023 machte er fast 98 Prozent | |
der gesamten deutschen Speisepilzproduktion aus. Wie kam es aber, dass | |
dieser eine Pilz so beliebt wurde? | |
Seinen Ursprung hat er in Frankreich, genauer gesagt in Paris. Darauf | |
verweist auch die französische Bezeichnung „Champignon de Paris“. Dazu muss | |
man wissen: In Frankreich ist Champignon schlicht das Wort für Pilz. In | |
Paris entdeckten ihn Gärtner im 17. Jahrhundert, zur Zeit des Sonnenkönigs, | |
auf dem Kompost. Am liebsten wächst er auf Pferdemist und Hühnergülle. Und | |
kultivieren lässt er sich besonders gut in dunklen Kellern und Gewölben mit | |
gleichbleibender Temperatur. | |
Die Pariser Katakomben, in denen er angebaut wurde, waren dafür bestens | |
geeignet. Mit zunehmender Kultivierung war der Champignon Anfang des 20. | |
Jahrhunderts nicht nur für Adelige ein Genuss. In Deutschland hingegen | |
blieb der Genuss von Pilzen lange ein Luxus oder Sammlern vorbehalten. | |
Erschwinglicher, als den teuren Champignon aus dem Nachbarland zu beziehen, | |
war es, in den Wäldern Pfifferlinge zu sammeln, die überall wuchsen. Dass | |
sie ein „Arme-Leute-Gericht“ waren, zeigt die Redewendung „Das ist doch | |
keinen Pfifferling wert.“ | |
Schon damals gab es in Deutschland bereits Zuchtversuche mit dem | |
[4][Shiitake], der auf dem asiatischen Kontinent seit vielen Jahrhunderten | |
angebaut wird. Doch die Nachfrage fehlte. Die Zucht von Champignons | |
hingegen breitete sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Deutschland aus. | |
In Güllegebieten siedelten sich Champignonfarmen an. Dort werden große | |
Mengen an Pferdemist und Hühnergülle erhitzt, um Fermentationsprozesse zu | |
aktivieren. Der Kompost wird anschließend in riesigen Beeten auf Regalen | |
übereinander geschichtet und mit dem unterirdischen Geflecht des Pilzes, | |
dem Pilzmyzel, geimpft. Dann wird er mit einer Torfschicht bedeckt. Nach | |
wenigen Wochen kann geerntet werden. | |
Wer den Champignon liebt, möchte ihn vielleicht auch zuhause pflücken. | |
[5][Tamara Pilz-Hunter] ist Sprecherin des Arbeitskreises Pilzkunde & | |
Ökologie beim BUND und lehrt an der Volkshochschule Berlin, wie man Pilze | |
selber züchtet. Dafür wird ein Pilz aus dem Supermarkt oder der Natur | |
genutzt, indem man ein Stück davon auf ein geeignetes Substrat legt und so | |
ein Myzelsystem erzeugt. „Der Champignon lässt sich daheim nicht so leicht | |
kultivieren, da er Kompost und eine bedeckende Erdschicht braucht“, sagt | |
sie. Andere Kulturpilze wie Austernseitlinge, Limonenseitlinge oder | |
Shiitake seien besser geeignet, da sie sich auf Stroh und Holz einfach | |
anbauen ließen. | |
Tamara Pilz-Hunter findet den Champignon übrigens nicht langweilig und kann | |
seine Beliebtheit verstehen: „Er wächst auch hier in der Natur, ist | |
schmackhaft, ziemlich lange haltbar, fleischig und lässt sich, anders als | |
viele andere Kulturpilze wie der Austernseitling, sogar noch roh genießen“, | |
sagt sie. „Das macht ihn zu einem wahrhaften Champion!“ | |
18 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Johanna Weinz | |
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