# taz.de -- Pilz- und Hefeexperte über seine Arbeit: „Wir kennen zehn Prozen… | |
> Andrey Yurkov erforscht am Braunschweiger Leibniz-Institut Pilze und | |
> Hefen. Einige helfen sogar Plastik abzubauen, andere produzieren | |
> Lebensmittel. | |
Bild: Aus dem Wald kennt man seine gelben Hüte. Aber der honiggelbe Hallimasch… | |
taz: Herr Yurkov, welcher ist Ihr Lieblingspilz? | |
Andrey Yurkov: Ich denke, es ist der Saccharomyces cerevisiae, die Bierhefe | |
oder auch Bäckerhefe, weil der Hefepilz einfach so vielfältig ist. | |
Sie haben in Moskau Bodenkunde studiert und 2006 promoviert. Wie kamen Sie | |
darauf, Pilze zu erforschen? | |
In einem Praktikum habe ich in der Abteilung für Biologie des Bodens | |
gearbeitet und bin zufälligerweise auf ein Labor gestoßen, das sich mit | |
Bodenhefen befasste. Und die haben damals schon nicht nur Böden, sondern im | |
Prinzip alle Substrate erforscht. Dort durfte ich selbst entscheiden, woran | |
ich forsche. So habe ich angefangen, mich mit Hefen, die in Hochmooren | |
lebten, zu beschäftigen. Danach ging es weiter, und so bin ich in der | |
Arbeitsgruppe für Hefen geblieben. | |
Wie kamen Sie als Wissenschaftler nach Deutschland? | |
Ich bin 2007 mit einem DAAD-Stipendium als Postdoktorand nach Deutschland | |
gekommen. Ich hatte bereits Auslandserfahrung, da ich als Doktorand schon | |
in Portugal moderne molekularbiologische Methoden erlernen durfte, und | |
meine Kenntnisse jetzt weiter vertiefen wollte. Ich hatte Glück, eine gute | |
Arbeitsgruppe zu finden, die an einem Projekt in | |
DFG-[1][Biodiversitäts-Exploratorien] arbeitete, und konnte mein Wissen | |
über Bodenhefen einbringen. Ich bin für diese Möglichkeit sehr dankbar. | |
Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit? | |
Ich finde es spannend, dass wir im Moment maximal zehn Prozent der Pilz- | |
und Hefe-Arten entdeckt haben. Und dass man auch bei uns in | |
Norddeutschland, in einem gut erforschten System, noch neue Arten von | |
Pilzen oder Hefen entdecken kann. Um neue Arten zu entdecken, muss man | |
nicht notwendigerweise in abgelegene Regionen wie den Amazonas fahren. Denn | |
bislang unbekannte Hefen können buchstäblich in einem Hinterhof gefunden | |
werden. | |
Wieso sind Pilze und Hefen für den Menschen relevant? | |
Weil sie viele verschiedene Auswirkungen auf uns haben können. Etwa in Form | |
von Produzenten von Lebensmitteln, nützlichen Biostoffen oder | |
opportunistischen Pathogenen, also Krankheitserregern, die für Menschen mit | |
geschwächtem Immunsystem gefährlich sein können. Im Moment sehen wir, dass | |
Letztere nicht mehr [2][nur bekannte Pilze] oder Hefen sind, sondern dass | |
es immer öfter neue Organismen sind. Das bringt Herausforderungen mit sich, | |
auch für die Medizin. Denn diese Arten können gefährlich sein, und man muss | |
sie kennen und beherrschen können. Auch, weil wir inzwischen mehr anfällige | |
Menschen und allgemein eine Bevölkerung haben, die älter wird. | |
Was können Pilze noch? | |
Sie sind biotechnologisch relevant als Produzenten von Proteinen, | |
organischen Säuren, Farbstoffen, Vitaminen und Enzymen. Zum Beispiel werden | |
Hefen in der Erforschung von kalt-resistenten Enzymen angewendet, aus denen | |
man Waschmittel für Kleidung entwickeln kann, das auch bei niedrigen | |
Temperaturen funktioniert. | |
Bodenhefen können also auch nützlich sein? | |
Genau. Man kann sie auch für Futtermittel benutzen, um damit | |
landwirtschaftliche Abfälle zu fermentieren, und zu Tierfutter machen. All | |
das sind bekannte Prozesse, nur die Diversität von Organismen, die man | |
dafür nutzt, ist derzeit noch gering. Man könnte dort noch passendere und | |
potentere Organismen finden. | |
Können Pilze auch Umwelt-schädigendes zersetzen? | |
Ja, da geht es um den Abbau von Stoffen, das ist ein bisschen wie | |
Recycling. Es sind mehrere Bodenhefen bekannt, die komplexe Moleküle | |
abbauen können, etwa künstliche Stoffe. Sie helfen sogar dabei, einige | |
Typen von Plastik in Laborexperimenten abzubauen. Pilze, die starke Enzyme | |
besitzen und damit komplexe Stoffe wie Zellulose abbauen können, sind für | |
den Plastikabbau vielversprechend. | |
Und welchen Nutzen haben wiederum Hefen? | |
Mit Hefen lässt sich biotechnologisch meist leichter arbeiten als mit | |
vielen Pilzen. Zudem enthalten manche Bodenhefen prozentual große Mengen an | |
Fettsäuren, weshalb man mit diesen Hefen aus nachhaltigen Rohstoffen | |
Fettsäure gewinnen und daraus Bioplastik oder Biodiesel herstellen kann, | |
ohne pflanzliche Fette zu verwenden. In anderen europäischen Ländern ist | |
man mit dieser Forschung schon weiter als in Deutschland. Ich hoffe, dass | |
sich das noch entwickelt und die Industrie mehr Interesse zeigt. Denn | |
Hefe-Kulturen haben wir genug. | |
Welche Veränderungen durch den Klimawandel beobachten Sie? | |
Man kann davon ausgehen, dass wir jetzt Organismen hier haben, die wir | |
früher nicht hatten. Durch den Klimawandel ändert sich die Verbreitung von | |
Pilzen, ähnlich wie bei Pflanzen oder Tieren. Allerdings werden Pilze und | |
andere Mikroorganismen weniger beobachtet, sodass wir viele gar nicht | |
kennen. Die Verbreitung von neuen Pflanzenschädlingen und | |
Krankheitserregern ist ein komplexes Problem. Einerseits kann sich ein | |
Krankheitserreger durch Wirtswechsel in neuen Wirtsgruppen ansiedeln. | |
Zusätzlich öffnen die veränderten Umweltfaktoren und die Verbreitung von | |
nicht-heimischen Pflanzen und Tieren die Tür für neue Arten von Pilzen und | |
Hefen, die wir noch nicht kennen. Man findet auch Isolate schon bekannter | |
Arten, die neue Eigenschaften haben, die es dem Pilz ermöglichen, das | |
Immunsystem zu umgehen und eine Infektion auszulösen. | |
Wie wirken steigende Temperaturen auf Pilze und Hefen? | |
Mit steigenden Temperaturen können Arten mit höheren Wachstumstemperaturen | |
häufiger auftreten. Das Wachstum bei Körpertemperatur ist oft der | |
entscheidende Faktor für Krankheitserreger. Leider wissen wir oft nicht, | |
welche Organismen wir ins Visier nehmen sollen, um uns und die Medizin | |
vorzubereiten. Es ist eine Black Box, denn wir müssen auch bislang nicht | |
als Erreger bekannte Organismen beobachten, die in Zukunft gefährlich | |
werden können. | |
Und welchen Part spielen „invasive Arten“? | |
Auch neue Pflanzen- oder Tier-Arten, die durch den Klimawandel zu uns | |
kommen und auch Mikroorganismen mitbringen, können Probleme erzeugen. Oder | |
das Aussterben von Arten. Denn dann würden auch Organismen aussterben, die | |
mit bestimmten Pflanzen oder Insekten- und Tier-Gruppen stark assoziiert | |
sind. Und wenn man über Artenschutz spricht, werden Mikroorganismen trotz | |
ihrer Vielfalt selten mitbetrachtet. Wir können viele Prozesse nicht | |
stoppen, aber wir können immerhin Mikroorganismen sammeln, bevor sie | |
verschwinden, um sie für spätere Generationen sicher zu lagern. Wir haben | |
hier die größte Sammlung von Mikroorganismen in Deutschland und eine der | |
größten weltweit. | |
Welches sind Ihre nächsten Projekte? | |
Im Moment untersuche ich in einem neuen Projekt mit Pflanzen und Insekten | |
Hefen, die in Blütennektar leben. Das erforschen wir zusammen mit dem | |
Braunschweiger Julius-Kühn-Institut für Bienenschutz. Insekten spüren den | |
Duft von Blüten und entscheiden, ob sie den Nektar trinken. So können sie | |
riechen, ob zum Beispiel Hefe in den Blüten ist. Die Moleküle im Nektar, | |
die die Insekten anlocken, beeinflussen, wie lange sie dort bleiben. Das | |
ist wiederum essentiell für die Bestäubung. Von den Hefen geht übrigens | |
keine Gefahr für die Bienen aus. Viel mehr konsumieren sie sie, wobei seit | |
Kurzem bekannt ist, dass Hefen sogar eine zusätzliche Stickstoffquelle | |
darstellen. | |
Besteht derzeit Kontakt mit russischen Kolleg*innen? | |
Unser Institut unterstützt [3][die Entscheidung der DFG], Förderprojekte | |
mit Russland [4][seit dem Krieg in der Ukraine] auszusetzen. Wir haben | |
seitdem keine laufenden Kooperationsprojekte mit Institutionen aus | |
Russland. Bisherige Kooperationen wurden beendet und keine neuen Projekte | |
initiiert. Unsere jüngsten Veröffentlichungen mit russischen Autoren sind | |
aus vorherigen Forschungsprojekten entstanden. | |
3 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Ein-Jahr-nach-Umweltkatastrophe-in-der-Oder/!5952844 | |
[2] /Radioaktive-Pilze-durch-Tschernobyl/!5956236 | |
[3] https://www.dfg.de/service/presse/pressemitteilungen/2022/pressemitteilung_… | |
[4] /Kriegswerbung-in-russischen-Staedten/!5952919 | |
## AUTOREN | |
Emmy Thume | |
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