# taz.de -- Geschlechtsidentität: Stoptaste für die Pubertät | |
> Pubertätsblocker sind umstritten – aber wie funktionieren die Medikamente | |
> eigentlich, und welche Folgen haben sie für Kinder und Jugendliche? | |
Bild: „Die Freiheit zu entscheiden, wann und vor allem wem sie sich als trans… | |
## Was sind Pubertätsblocker? | |
Pubertätsblocker sind Medikamente, die einem menschlichen Hormon ähneln. | |
Sie verhindern, dass das Gehirn bestimmte Botenstoffe ausschüttet. Diese | |
wandern in die Hoden und Eierstöcke und sorgen dort dafür, dass in den | |
Hoden Testosteron und in den Eierstöcken Östrogen produziert wird – lösen | |
also die Pubertät aus. Pubertätsblocker hindern sie daran. Sie werden schon | |
seit mehreren Jahrzehnten eingesetzt und per Spritze verabreicht. | |
## Wem werden sie verschrieben? | |
Kindern, bei denen die Pubertät zu früh einsetzt, die zum Beispiel mit acht | |
Jahren schon ihre Regel haben. Eine weitere Gruppe sind Kinder und | |
Jugendliche, deren zugeschriebenes Geschlecht nicht dem empfundenen | |
Geschlecht entspricht. Sie gewinnen damit Zeit, um sich zu entscheiden, wie | |
sich zum Beispiel ihre Stimme, ihre Brüste, ihr Körperbau verändern. Denn | |
anders als eine Hormontherapie ist die Einnahme von Pubertätsblockern | |
reversibel. | |
## Was heißt reversibel? | |
Wer Pubertätsblocker absetzt, bei dem*der geht die körperliche Entwicklung | |
weiter: Das Gehirn schüttet Botenstoffe aus, die Pubertät beginnt oder geht | |
weiter. Nehmen Jugendliche Pubertätsblocker heißt das also nicht, dass sie | |
eine Entscheidung getroffen haben, die sich nicht mehr rückgängig machen | |
lässt. Anders ist es, wenn keine Pubertätsblocker genommen werden. | |
Dann verändert sich der Körper auf eine Weise, die sich nicht mehr umkehren | |
lässt – es entwickelt sich Brustgewebe oder eine tiefere Stimme. „Es ist | |
eine enorme Erleichterung für die Jugendlichen, wenn sie nicht jeden Tag | |
beim Blick in den Spiegel Sorge haben müssen, dass es mit ihrem Körper | |
immer schlimmer wird“, sagt Mari Günther, Fachreferentin beim Bundesverband | |
Trans*. „Der geschlechtsdysphorische Leidensdruck wird entaktualisiert.“ | |
## Geschlechtsdysphorie? Wie bitte? | |
Zwei wichtige Fachbegriffe: Geschlechtsinkongruenz bedeutet, dass die | |
Kinder und Jugendlichen sich dauerhaft nicht mit dem Geschlecht | |
identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde. Das aus der | |
falschen Zuschreibung entstehende psychische Leiden wird als | |
Geschlechtsdysphorie bezeichnet. | |
## Ab wann darf man sie nehmen? | |
Expert*innen zufolge soll das frühestens ab der Entwicklungsphase | |
beginnen, in der die Pubertät gerade begonnen hat. Weil das je nach Kind zu | |
einem unterschiedlichen Zeitpunkt der Fall ist, ergibt es mehr Sinn, sich | |
an körperlicher und seelischer Entwicklung zu orientieren als am Alter. | |
## Was sind die Voraussetzungen? | |
„Dafür muss zunächst einmal die Diagnose Geschlechtsinkongruenz vorliegen�… | |
erklärt Sascha Bos, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in der | |
Spezialsprechstunde für Fragen der Geschlechtsidentität im Kindes- und | |
Jugendalter der Berliner Charité. Zudem müssten die Jugendlichen selbst | |
einwilligungsfähig sein. „Dann brauchen die Jugendlichen die Zustimmung der | |
Eltern, die medizinische Einwilligung eine*r Endokrinolog*in und | |
mindestens eine, aber eher zwei psychotherapeutische Stellungnahmen“, | |
erklärt Mari Günther. Die systemische Therapeutin begleitet trans Kinder | |
und Jugendliche. Jeder Stellungnahme geht eine Einzelfallprüfung voraus. | |
Laut Georg Romer, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in | |
Münster, kann diese sechs bis neun Monate dauern. „Wenn wir von | |
Einzelfällen hören, dass Kollegen bereits nach einmaliger Konsultation | |
Pubertätsblocker verschreiben, nehmen wir das mit größter Sorge zur | |
Kenntnis“, erklärt er im Interview mit RiffReporter. Genau aus diesen | |
Gründen brauche es anerkannte medizinische Leitlinien für Pubertätsblocker, | |
die Sorgfaltsregeln definieren. | |
## Warum sind sie so umstritten? | |
Es gibt bislang wenig gesicherte Informationen zu Langzeitwirkungen und | |
Nebenwirkungen. Bei der Diskussion über Pubertätsblocker geht es aber nicht | |
nur um das Wohlergehen von trans Kindern und Jugendlichen. Hinzu kommen | |
gesellschaftliche Entwicklungen, nicht nur in Deutschland. In den USA | |
möchte Donald Trump geschlechtsangleichende Maßnahmen verunmöglichen. In | |
Deutschland will die Union, die wahrscheinlich den nächsten Kanzler stellen | |
wird, das Selbstbestimmungsgesetz in Bezug auf den Geschlechtseintrag | |
rückabwickeln. | |
## Wie ist die Terminlage? | |
Laut Mari Günther vom Bundesverband Trans* hänge das sehr von der | |
Versorgungslage in der Region ab. Auf drei bis fünf Monate Wartezeit auf | |
ein Erstgespräch bei eine*r Psychotherapeut*in müssten die | |
Jugendlichen sich demnach mindestens einstellen. | |
## Kann es dann schon zu spät sein? | |
Das kommt auf den Einzelfall an. „Die Pubertätsblocker können die | |
geschlechtliche Vereindeutigung anhalten, aber nicht rückgängig machen“, | |
sagt Sascha Bos. „Es kommt darauf an, mit welchem Körperteil es eine | |
Dysphorie gibt. Der Bartwuchs beginnt bei manchen spät, dann kann es auch | |
zu einem späten Zeitpunkt noch helfen, Pubertätsblocker zu geben.“ In der | |
Sprechstunde werde empfohlen, die Pubertätsblocker „so kurz wie möglich zu | |
geben, weil der Körper die Sexualhormone unter anderem für die | |
Hirnentwicklung braucht. „Bei uns im Haus sind zwei Jahre das absolute | |
Maximum.“ | |
## Welche Nebenwirkungen gibt es? | |
Pubertätsblocker können zu langsamerem Wachstum führen – allerdings bleiben | |
die Wachstumsfugen in den Knochen länger offen. Gerade bei trans Frauen | |
kann dies nachteilig sein, da sie dadurch unter Umständen noch größer | |
werden als ohne blockierte Pubertät. Mehrere Studien zeigen außerdem, dass | |
die Knochendichte während der Einnahme von Pubertätsblockern deutlich | |
sinkt. | |
Wissenschaftler*innen sind sich uneinig, ob die Knochendichte der | |
trans Jugendlichen im Verlauf der dann folgenden geschlechtsangleichenden | |
Hormonbehandlung das gleiche Niveau wie die Vergleichsgruppe an | |
Cis-Jugendlichen erreicht oder dahinter zurückbleibt, und welche | |
Unterschiede es zwischen trans Mädchen und Jungen gibt. | |
## Und was ist mit Hitzewallungen? | |
Nehmen Jugendliche Pubertätsblocker zu einem relativ späten Zeitpunkt ein, | |
sind Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen möglich. Gleichzeitig gilt: | |
Viele der Studien, die es gibt, basieren auf veralteten | |
Durchführungsprotokollen, sodass sie wenig aussagekräftig sind. In | |
Großbritannien und Schweden wurde ihre Verschreibung auch wegen der | |
unklaren Studienlage stark eingeschränkt. | |
Die neue Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie bei Kindern und | |
Jugendlichen, die demnächst veröffentlicht werden soll, handhabt den | |
Einsatz von Pubertätsblockern weniger restriktiv. Denn es gibt auch viele | |
Erfahrungen aus der klinischen Praxis, an denen man sich orientieren kann. | |
Am Ende ist es immer eine Risiko-Nutzen-Abwägung im Einzelfall, ob | |
Pubertätsblocker die richtige Entscheidung sind. | |
## Wie ist also das Fazit? | |
Auf der einen Seite stehen die möglichen Nebenwirkungen von | |
Pubertätsblockern. Auf der anderen die psychischen und körperlichen Folgen, | |
wenn Jugendliche die Pubertät in einem Körper durchlaufen, der sich nicht | |
wie der richtige anfühlt. „Für trans Kinder und Jugendliche, die eine | |
Hormontherapie nach rechtzeitig angehaltener Pubertät durchlaufen, bedeutet | |
das später die Freiheit zu entscheiden, wann und vor wem sie sich als trans | |
outen wollen“, erklärt Günther. „Sie haben dann einen besseren Zugang zu | |
ihrem Körper. Sexualität und Intimität mit anderen Menschen fallen viel | |
leichter und sind weniger mit geschlechtsdysphorischen Gefühlen verbunden.“ | |
Zugleich erspare rechtzeitiges Blockieren der Pubertät einen Teil der | |
geschlechtsangleichenden Operationen. Von Mitmenschen so wahrgenommen zu | |
werden, wie man auch wirklich ist, schütze zudem vor Diskriminierung – in | |
der Arbeitswelt, beim Sport, im öffentlichen Raum. Diskriminierung, die | |
nicht nur psychisch belastend, sondern auch körperlich gefährlich sein | |
könne. Studien aus den USA belegen, dass das extrem erhöhte Suizidrisiko | |
von trans Personen massiv sinkt, wenn sie ab dem Jugendalter Zugang zu | |
geschlechtsangleichenden Hormonen haben. Dem geht in vielen Fällen eine | |
Behandlung durch Pubertätsblocker voraus. | |
7 Mar 2025 | |
## AUTOREN | |
Franziska Schindler | |
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