# taz.de -- TV-Duell vs. Serie gucken: Abschalten? Umschalten! | |
> Unser Autor hat das TV-Duell zwischen Merz und Scholz geschwänzt – und | |
> sich lieber eine Folge der Serie „Ted Lasso“ angeschaut. Die bessere | |
> Wahl? | |
Bild: Ein Knopf für das Gute | |
Beginnen wir mit einer medientheoretischen Überlegung: Wenn alle sich immer | |
alles anschauen können, ob nun live oder in den Mediatheken, den sozialen | |
Medien und auf Blogging-Plattformen – warum sollte man dann noch etwas | |
darüber lesen wollen? Also etwas unmittelbar Erlebtes über das indirekte | |
Medium Schrift noch mal aufnehmen? | |
Mit dem späten Goethe könnten wir argumentieren „Man erblickt nur, was man | |
schon weiß und versteht.“ Aber – um auf unser Thema zu kommen: Was wissen | |
wir noch nicht von Olaf Scholz und Friedrich Merz? Welchen Erkenntnisgewinn | |
hätte ich haben können, wenn ich mir am vergangenen Sonntag das „TV-Duell“ | |
der beiden angeschaut hätte? Was ich, um das einmal klar zu sagen, bewusst | |
nicht getan habe. | |
Seit der Machtübergabe an Donald Trump und den Amokläufen von | |
[1][Magdeburg] und [2][Aschaffenburg] habe ich kein Buch mehr lesen können. | |
Das liegt, soweit ich das analysieren kann, einerseits an einem unguten, | |
ziemlich kaninchenartig-gebannten Ausschauhalten nach der nächsten | |
Katastrophe – die dann mit der neuen Erpressungsmehrheit von Union und AfD | |
bei der Abstimmung im Bundestag am 29. Januar auch nicht auf sich warten | |
ließ. | |
Anderseits stellt sich gerade bei Belletristik ein grundsätzlicher Zweifel | |
ein, was mir denn jemand angesichts dieser Gegenwart noch erzählen will. Es | |
handelt sich bei beiden Verhaltensweisen nicht um etwas, was ich mir | |
bewusst ausgesucht hätte; sondern um einen physiologischen Zustand, der | |
mich jedes Buch nach spätestens zwei Seiten zur Seite legen lässt und mich | |
zum dumpfen Scroller reduziert – die Jüngeren sprechen in diesem | |
Zusammenhang nicht umsonst von [3][„Brain Rot“, zu Deutsch „Gammelhirn“… | |
## Wie das Gute seinen Platz behauptet | |
Es gibt allerdings ein Kunstwerk, dem ich jeden Abend unmittelbar nach | |
Abschluss meiner 14-stündigen Eltern-/Arbeits-Schicht mich nicht nur mit | |
Vorfreude und Begeisterung, sondern mit voller Konzentration und | |
anschließendem Diskussionsbedarf zuwenden kann – so auch am Abend des | |
„TV-Duells“: Es handelt sich um die TV-Serie „[4][Ted Lasso]“, das für… | |
größte TV-Ereignis seit den „Sopranos“. | |
Ging es bei diesen darum, wie man in einer grundsätzlichen guten oder | |
jedenfalls immer besser werdenden Welt eigentlich noch oldschool böse sein | |
kann, so erzählt „Ted Lasso“, insbesondere in Form des namengebenden | |
Protagonisten, davon, wie in einer bösen oder jedenfalls immer gemeiner | |
werdenden Welt das Gute nicht nur seinen Platz behauptet, sondern die | |
einzige Lösung für alle zwischenmenschlichen wie gesellschaftlichen | |
Konflikte darstellt. | |
Sowenig es in den „Sopranos“ um die Mafia ging, so falsch wäre es, sich Ted | |
Lasso entgehen zu lassen, weil es viel um Fußball geht. „Everyone Loves Ted | |
Lasso“, „Everyone Needs Ted Lasso In Their Life“, „Why Does Everyone Lo… | |
Ted Lasso?“ – die Schlagzeilen, deren Aufzählung beliebig erweiterbar wär… | |
zeigen, dass die Serie nicht nur mich persönlich abholt, sondern ein – was | |
die westliche Welt angeht – weiterreichendes Phänomen ist. | |
Ted Lasso ist nicht nur ein Coach für einen wankelmütigen Club der | |
englischen Premier League; er ist unser aller Coach. Er hat wenig Ahnung | |
von europäischem Fußball, er weiß auch nicht immer, was richtig und falsch | |
ist, er macht Fehler und er hat Schwächen; und er muss persönlich auf die | |
harte Tour die Lektion lernen, die für uns alle ansteht: „The truth shall | |
set you free. But first it will piss you off.“ | |
## Friedrich Merz ist Nate Shelley | |
Der einfache Gedankensprung wäre nun, zu sagen: Ted Lasso for | |
Bundeskanzler. Also jemanden an der Spitze des ewigen | |
Vermittlungsprozesses, den wir Politik nennen, zu haben, der fähig ist, | |
Gefühle zu zeigen. Das kann Friedrich Merz allerdings auch, wenn wir einem | |
FAZ-Bericht glauben wollen: Als die örtliche CSU-Abgeordnete vor der | |
Unionsfraktion Details aus dem Polizeibericht über die Morde von | |
Aschaffenburg vortrug, „rang Merz mit den Tränen, wie Teilnehmer | |
berichten“. | |
Was Friedrich Merz nicht kann, ist, seine Gefühle zu übersetzen – in einen | |
guten Plan, in einen Plan für das Gute, in Güte. Was Friedrich Merz nicht | |
kann – und was seltsamerweise auch kaum thematisiert wird – ist, einen | |
einzigen Menschen vor dem Terror zu retten. Ins Lasso-Universum übersetzt | |
ist Friedrich Merz Nate Shelley, ein Platzwart, den Lasso zu seinem | |
Assistenztrainer macht und der die Zuwendung, die er erfährt, dann nur mit | |
Abwenden und Abrechnen mit seinem Förderer vergelten kann: Nate denunziert | |
Lasso, wird Trainer eines Konkurrenzclubs. Vor allem aber schafft er lange | |
Zeit den Schritt nicht, das Gute, das in ihm steckt, auch zuzulassen: aus | |
Unsicherheit, aus falsch verstandener Härte, aus Hybris. | |
Was Ted Lasso uns also tatsächlich lehrt, ist, dass der eigentliche Kampf | |
erst nach diesem Wahlkampf beginnt. Und dass es dabei nicht in erster Linie | |
darum geht, sich selbst zu retten, sondern andere zu unterstützen, das | |
Beste in sich wiederzuentdecken und freizusetzen. | |
Der einzige Impuls, der mich hätte verlocken können, am Sonntagabend meine | |
begrenzten und noch wachen freien Stunden dem „TV-Duell“ anstatt einer | |
Folge „Ted Lasso“ zu widmen, wäre kein guter gewesen: Nämlich live dabei … | |
sein, wie Merz über sein Nate-Shelley-tum stolpert, wie seine negativen | |
Energien ihn aus dem Rennen werfen, wie wir doch noch gewinnen können. Ted | |
Lasso aber sagt: „Success is not about the wins and losses.“ Für das, was | |
uns bevorsteht, ist das wohl nicht nur die gute, sondern auch die | |
realistische Herangehensweise. | |
10 Feb 2025 | |
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[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Ted_Lasso | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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