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# taz.de -- Verkehrssicherheit in Berlin: Jede Zahl ein Menschenleben
> Dem schwarz-roten Senat liegt die Sicherheit der BerlinerInnen am Herzen?
> Nicht, wenn es um den Straßenverkehr geht, meint Antje Kapek (Grüne).
Bild: Spuren eines tödlichen Unfalls: Im März 2024 überfuhr ein Autofahrer e…
Täglich sind wir auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule, nach Hause – zu Fuß,
auf dem Rad, mit Bus, Bahn oder im Auto. Egal wie – wir alle haben das
Recht, sicher von A nach B zu kommen.
Doch die traurige Bilanz des letzten Jahres müsste einen Aufschrei
auslösen: 55 Verkehrstote und mehr als 15.000 Verletzte. Das entspricht
etwa der Größe von zwei Schulklassen. Gäbe es irgendwo anders so viele
Verunglückte, wäre der Ruf nach Konsequenzen vorprogrammiert. Bei
Verkehrstoten aber herrscht Stille.
Stattdessen wird so getan, als gehe es nur um Zahlen und Statistiken.
Vergessen wird, dass hinter jeder Zahl ein individuelles Schicksal steht:
Die junge Mutter, die mit ihrem vierjährigen Kind auf der Leipziger Straße
überfahren wird. Die Arbeitskollegin, die nach einem Unfall mit einem Lkw
den Rest ihres Lebens im Rollstuhl sitzt. Der Nachbar, der mit 42 Jahren an
der Ampel überfahren wird, nach Wochen seinen Verletzungen erliegt und eine
Frau mit drei Kindern sich selbst überlässt.
Selbst Menschen, die „nur“ leicht verletzt wurden, sind oft ein Leben lang
traumatisiert. Auch ihre Angehörigen sind Opfer.
Die Regierung von CDU und SPD befand im Koalitionsvertrag, dass die
Verkehrssicherheit erhöht werden müsse. In der Praxis werden bestehende
Gelder hierfür gekürzt. Denn für die Berliner CDU ist die Verkehrswende
Ideologie und kein notwendiger Weg zu mehr Sicherheit.
Damit sitzen sie die schlimme Entwicklung einfach aus – und das, obwohl
Verkehrsunfälle in den meisten Fällen vermeidbar wären, wenn Infrastruktur
und Verkehrslenkung berücksichtigen, dass auch Menschen Fehler machen. Die
Verkehrssicherheit sollte deshalb endlich politische Priorität werden und
den sicheren Umbau fördern.
## Nicht einmal Anteilnahme
Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner selbst ist mit dem Versprechen
angetreten, Berlin sicherer zu machen. Das gilt aber scheinbar nur, wenn es
zur politischen Agenda passt. Wenn es um die Opfer von Verkehrsunfällen
geht, dann bekommen sie nicht einmal seine Anteilnahme, geschweige denn ein
echtes Sicherheitskonzept.
Im Koalitionsvertrag verpflichtete sich Schwarz-Rot zu dem ohnehin schon im
Mobilitätsgesetz festgeschriebenen Grundsatz der Vision Zero und versprach
hierfür die Vorlage eines Verkehrssicherheitskonzeptes. Was seitdem
passiert ist, ist ein Armutszeugnis: Zu den ersten Amtshandlungen der neuen
CDU-Verkehrssenatorinnen zählten der Radwegestopp und die Ankündigung, die
Tempo-30-Anordnungen an Hauptverkehrsstraßen zurückzunehmen – beides
torpediert nachweislich die Verkehrssicherheit.
Unsere Vorschläge für mehr Blitzer, Bremskissen, Verschwenkungen und
Schwerpunktkontrollen an typischen Raserstrecken, Tempo 30 vor Schulen und
Kitas, Schulstraßen oder schlicht der sichere Kreuzungsumbau werden
abgelehnt. Völlig unbeeindruckt beobachtet man, wie illegale Autorennen,
Raser-Ereignisse und vor allem die Zahl der Verkehrsopfer in Berlin in die
Höhe schnellen. Statt Berlin sicherer zu machen, gilt auf den Straßen
gefühlte Anarchie.
Zu den Hauptursachen von Verkehrsunfällen zählen das Fahren mit überhöhter
Geschwindigkeit, Fahren über Rot und Alkohol am Steuer. Die Physik sagt es
voraus: je höher die Geschwindigkeit, desto tödlicher der Zusammenstoß. Das
Risiko, bei einem Unfall zu sterben, sinkt bei Tempo 30 um 75 Prozent im
Vergleich zu Tempo 50. Geschwindigkeitsbegrenzungen wären zudem schnell
umsetzbar und wirken sofort.
Lyon hat beispielsweise vor 2 Jahren flächendeckend Tempo 30 erlassen und
innerhalb kürzester Zeit die Verkehrsunfälle um mehr als ein Drittel
reduziert. Einen ähnlich positiven Effekt haben geschützte Rad- und
Fußwege. Berlin geht leider derzeit genau in die umgekehrte Richtung.
## Es trifft die Schwächsten
Zu Fuß gehende Menschen und Radfahrende haben keinen Schutzpanzer, sie
erleiden deutlich häufiger lebensbedrohliche Verletzungen bei einem
Verkehrsunfall. So trifft es die Schwächsten in der Gesellschaft: Kinder
und ältere Menschen. Warum wird beim Straßenbau eigentlich nicht an den
Schutz von Kindern und Älteren gedacht?
Durch bauliche Trennungen vom motorisierten Verkehr und Ampelschaltungen,
die es ermöglichen, auch wirklich in einer Grünphase von einer Gehwegseite
zur anderen zu kommen, wäre allen geholfen. Doch auch hier ist der
Autofluss wichtiger und werden die Gelder für den sicheren Umbau von
Fußgängerüberwegen, Radinfrastruktur, den Kreuzungsumbau oder Blitzer
weggekürzt.
Obwohl verlässliche Kontrollen und die Ahndung von Verkehrsdelikten
gefährdendes Verhalten im Straßenverkehr nachweislich reduzieren und sogar
Geld in den Landeshaushalt bringen würden. Es sollte nicht die Ausnahme,
sondern die Regel sein, dass an Ampeln Geschwindigkeitsüberschreitungen und
Rotlichtverstöße erfasst werden.
Stattdessen tendiert die Wahrscheinlichkeit, bei Verkehrsdelikten auf
Berlins Straßen erwischt zu werden, quasi gegen null. Kein Wunder also,
dass ein Viertel aller Autofahrenden zu schnell unterwegs ist – Tendenz
steigend. Auch bleiben schon heute 50.000 Bußgeldbescheide jedes Jahr
liegen, weil das Personal für die Bearbeitung der Knöllchen fehlt. Eine
Digitalisierung der Prozesse wäre auch hier überfällig, die Polizei weiß
das, die Politik anscheinend nicht.
Andere Städte zeigen längst, wie es geht. Helsinki hat es mit Tempo 30 als
Standard, Bremskissen, sicheren Kreuzungsumbauten, getrennten Verkehrswegen
für Fuß-, Rad- und Autoverkehr geschafft, die Vision Zero regelmäßig zu
erreichen.
Während in Berlin weiterhin die größte Gefahr für Leib und Leben immer noch
im Straßenverkehr besteht. So bleibt es beim Aufstellen von weißen
Fahrrädern an Unfallorten. Aber niemand, der bereit ist, die
Verkehrssicherheit zur obersten Priorität zu machen.
Was wäre, wenn der Regierende oder die Verkehrssenatorin Bonde selbst sehen
würden, dass Verkehrsopfer mehr sind als eine Zahl? Dass sie ein Gesicht
und eine Geschichte haben? Würde Kai Wegner dann zu seinem Versprechen
stehen und erkennen: Wer Sicherheit verspricht, muss auch den
Straßenverkehr sicher machen?
Antje Kapek ist verkehrspolitische Sprecherin der Grünenfraktion im
Berliner Abgeordnetenhaus. Von 2012 bis 2022 war sie zusammen mit Silke
Gebel Fraktionsvorsitzende.
10 Feb 2025
## AUTOREN
Antje Kapek
## TAGS
Gastbeitrag
Antje Kapek
Verkehrssicherheit
Kai Wegner
Ute Bonde
Vision Zero
Blitzer
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Verkehr
Schwarz-rote Koalition in Berlin
Antje Kapek
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