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# taz.de -- Solidarische Gemeinschaft: Durch ein Land der Mitte mit Maß
> Wer mit dem Zug strandet, dem begegnet schon mal das gute, alte
> Mittedeutschland. Es ist antihysterisch und halbwegs moderat.
Bild: Vor dem Zugfenster Wasser: Die Elbe im Wendland
Freitag, ein Nachmittag, Hauptbahnhof Berlin. Der ICE gen Frankfurt steht
fahrbereit, Menschen steigen ein, alle Plätze sind rasch vollends besetzt.
„Guten Tag, liebes Bahnpublikum, herzlich willkommen auf dem Weg in den
Süden. Vielleicht freuen Sie sich auf die Reise, so wie ich auch. Wir
werden pünktlich abfahren, aber schon jetzt weiß ich, dass wir in Halle mit
einer Stunde Verspätung ankommen werden, manche Gleise, über die wir fahren
sollten, sind verstopft, wir müssen so uns durch Brandenburg einen Weg
suchen, aber alle sind sicher.“
Mir egal: Nach Frankfurt ohnehin zwei Stunden Zeitpuffer eingebaut.
Dschungelartige Landschaft zu den Seiten, da kommt Jüterbog, schließlich
die Elbe, [1][jetzt Dessau]. Der Zug fährt langsamer, er kommt zum Halt.
„Wir halten hier jetzt, genau an einem Bahnhof, wie er heißt, weiß ich auch
noch nicht. Aber wir haben vor uns Menschen im Gleis, die wollen wir nicht
überfahren. Einige Türen in der Mitte werden geöffnet, die Raucher können
mal eine [2][schmöken] gehen.“
[3][Wir liegen schon 55 Minuten jenseits vom Fahrplan]. Doch niemand
meckert, keiner pöbelt oder ruft hysterische Dinge in ein Smartphone. Man
hilft sich aus der Tür auf den Bahnsteig, eine spontane
Solidargemeinschaft; es bilden sich erste Erzählrunden, alles gemischt, das
ganze moderne deutsche Potpourri aus Weißen und dunkleren Hautfarben. Es
wird sogar gelacht. Die Atmosphäre hat etwas Gesamtseufzendes: Kann man ja
nicht ändern.
Nach 54 Minuten geht’s weiter, wir passieren Erfurt, Fulda … So mag ich
unser Land: Sich mit dem Gegebenen auseinandersetzen, Lösungen finden, sich
arrangieren, irgendwie. So muss man sich wohl die deutsche Mitte
vorstellen: auch hinnehmend, kompromissfähig, situationsbewusst,
improvisationsfähig. Also antihysterisch und halbwegs moderat, quasi
triebgehemmt. Eine Mitte, die keine Extreme wünscht, die AfD für
unappetitlich hält und ultralinke Allüren als nervend nimmt – und halbwegs
aushält, dass nicht alles immer und überall nach eigenem Geschmack läuft.
Bloß kein Hass!
Das ist deutschgelerntes Verhalten aus vergangenen Jahrzehnten. Das
selbstverordnete Programm, so sei das genannt, lautet: Verzicht auf
Ideologisches, kein weltanschauliches Angebergelaber, der Laden muss nur
laufen, insgesamt und persönlich verstanden, die anderen sollen einen in
Frieden lassen. Deutschland ist so zum europäischen Mittelmaß geworden,
eine gelungene Therapie der Nachnazizeit. Nächstenliebe und Fernstenliebe
manchmal, aber nicht bedingungslos. Deutschland ist das Prinzip
Nachbarschaft (geworden). Halbwegs gelungen so.
3 Feb 2025
## LINKS
[1] /Tod-in-Dessauer-Polizeizelle/!6053758
[2] https://de.wiktionary.org/wiki/schm%C3%B6ken
[3] /Streit-ueber-Fahrgastrechte/!6064684
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Kolumne 90 Zeilen Herz
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Mitte
Deutsche Bahn
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