| # taz.de -- Aktivistin über „Dessau Nazifrei“: „Es wurde damals schlimm�… | |
| > Das Bündnis „Dessau Nazifrei“ hat kleine Erfolge erzielt. Doch ausruhen | |
| > können sich die Aktivisten nicht. Mitglied Antje Tietz über ihr | |
| > Engagement. | |
| Bild: Demonstrantin am Dessauer Gedenkort für Alberto Adriano 2018 | |
| taz: Frau Tietz, 2014 hat sich „Dessau Nazifrei“ gegründet. Wie nah sind | |
| Sie schon am [1][nazifreien Dessau] dran? | |
| Antje Tietz: Damals wollten wir vor allem die sogenannten „Trauermärsche“ | |
| stoppen – also wirklich stoppen. Bei denen ging es um die Bombardierung | |
| Dessaus am 7. März 1945 durch die Alliierten. Wir wollten da weiter gehen | |
| als die bürgerlichen Proteste und diese Märsche blockieren und verhindern. | |
| Zu Hochzeiten [2][waren 400 Nazis] da. Nun: Seit ein paar Jahren | |
| marschieren die zumindest nicht mehr. | |
| Aber Neonazis und Rechtsextreme gibt es in Dessau immer noch? | |
| Leider ja. | |
| Dessau-Roßlau ist die drittgrößte Stadt in Sachsen-Anhalt, aktuell leben | |
| etwa 80.000 Menschen da. Zu einer Demonstration [3][gegen die AfD] kamen im | |
| Januar etwa 200 Menschen. Wie fanden Sie das? | |
| Da waren wir begeistert. Wir hatten uns das erst am Sonnabend überlegt und | |
| zu Montag mobilisiert. So schnell konnten wir aber gar nichts drucken, | |
| darum haben wir telefoniert und kleine Kärtchen verteilt. Wir wollten die | |
| radikale Antifa genauso erreichen wie einfache Leute, die keinen Bock auf | |
| die AfD haben. Für Dessauer Verhältnisse waren dann 200 Menschen richtig | |
| viel. Da kamen Student*innen, Beamte und queere Menschen aus der Stadt. | |
| Am 27. April haben Sie noch eine Demo mit dem Titel „Nie wieder 1932“ | |
| angemeldet. Was meinen Sie damit? | |
| Am 24. April 1932 haben die Nazis bei der Landtagswahl im damaligen | |
| Freistaat Anhalt 40 Prozent bekommen. Viele sprechen von einer | |
| „Machtergreifung der Faschisten“. Aber die wurden gewählt – und in Anhalt | |
| schon 1932, nicht erst 33. Darauf wollen wir aufmerksam machen, indem wir | |
| an historische Orte gehen und erzählen, was kurz nach der Wahl passiert | |
| ist. | |
| Was denn? | |
| Es gab Verbote, zum Beispiel durften die Farben der Weimarer Republik nicht | |
| mehr gehisst werden, das Bauhaus wurde geschlossen. Der damalige | |
| Ministerpräsident Alfred Freyberg (NSDAP) erließ einen Schulerlass, der | |
| das „Germanentum“ nach ganz oben auf den Lehrplan stellen sollte – und es | |
| kam zu Verhaftungen. Wir wollen klarmachen, wie schnell das gehen kann. Das | |
| versuchen wir schon seit vorigem Jahr, und mich entsetzt, dass manche | |
| abwehrend reagieren und sagen: „Es wird nicht so schlimm werden“. Aber wir | |
| können uns nicht in Sicherheit wiegen. Es wurde damals schlimm. | |
| Können Sie sagen, wie die Stimmung 1932 in Anhalt war? | |
| Im Stadtarchiv habe ich von Gerhart Seger, der war Chefradakteur des | |
| Volksblatts für Anhalt und als Sozialdemokrat im Reichstag, gelesen. Der | |
| hat damals sinngemäß geschrieben: Die nationalsozialistische Bewegung ist | |
| in den großen Städten schon im Rückgang und der wird sich fortsetzen, wenn | |
| sie erst in der Regierung sind. Dort werden sie sich entzaubern. Der hat | |
| damals offenbar auch gedacht, so schlimm wird es nicht. Er hat sich geirrt. | |
| Wenig später wurde Seger verhaftet und das Volksblatt wurde für zehn Tage | |
| verboten. Später stellte er sich gegen das Ermächtigungsgesetz und kam dann | |
| 1933 ins KZ Oranienburg. | |
| Lässt sich das wirklich mit der Situation heute vergleichen? | |
| Wir haben heute noch Vorteile gegenüber damals. Dass die Justiz unabhängig | |
| ist, zum Beispiel, oder, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter der AfD nicht | |
| so hinterherrennen. Ich denke trotzdem, ein paar Parallelen lassen sich | |
| aufmachen. | |
| Aber Sie begeben sich auf dünnes Eis, wenn Sie die AfD mit der NS-Diktatur | |
| direkt in Verbindung bringen. Kann das nicht die NS-Diktatur auch | |
| verharmlosen? | |
| Ja, das ist eine große Streitfrage. Ich finde, ein großer Teil der Partei | |
| ist faschistisch und der andere ist naiv. Man darf die NSDAP nicht | |
| verharmlosen. Aber ich glaube nicht, dass ich das tue. Die AfD argumentiert | |
| völkisch, rassistisch, frauenfeindlich. | |
| Auch wenn es die Aufmärsche nicht mehr gibt, in Dessau sind heute andere | |
| Neonazis unterwegs, etwa von der [4][Kleinstpartei Dritter Weg]. Wie sind | |
| Rechtsextreme in der Stadt präsent? | |
| Unterschiedlich. Vorige Woche habe ich dreimal bei der Polizei | |
| Hakenkreuzschmierereien gemeldet. In Dessau-Süd kleben oft Nazi-Sticker. | |
| Selbst bei den bürgerlichen Demonstrationen stehen stadtbekannte Neonazis | |
| am Rand und machen Fotos. Die provozieren und bedrohen. Da gibt es dann | |
| immer mal wieder kleinere Rempeleien. | |
| Was motiviert Sie, dabei zu bleiben? | |
| Wenn man sich mit Geschichte beschäftigt hat, dann weiß man, dass das | |
| wieder passieren kann. Und das darf nicht wieder passieren. Mein Großvater | |
| war im KZ Buchenwald inhaftiert. Ich muss das weitermachen, ich wäre ja | |
| froh, wenn ich es nicht müsste. Und ähnlich geht es meinen | |
| Mitstreiter*innen auch. Wir könnten erst aufhören, wenn es solche | |
| menschenverachtenden Einstellungen nicht mehr gäbe. | |
| Sie waren ab 1992 für die PDS sechs Jahre lang Mitglied des Landtags | |
| Sachsen-Anhalt. Warum sind Sie nun bei der Partei nicht mehr aktiv, sondern | |
| engagieren sich bei Dessau Nazifrei? | |
| Sie haben recht, ich bin immer noch Mitglied der Linken, aber ich bin jetzt | |
| nicht mehr aktiv. Mir passiert lokal zu wenig Antifaschistisches. Aktuell | |
| sehe ich meine Aufgabe im Bündnis. Ich möchte beim Kampf gegen die Nazis | |
| mit allen zusammenarbeiten, mit Historikern, Menschen von der Linken, den | |
| Grünen oder der CDU. Auch wenn ich deren Politik teilweise nicht in Ordnung | |
| finde, gegen die Nazis müssen wir zusammenstehen. | |
| 25 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| David Muschenich | |
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