# taz.de -- A-capella-Band Bodies: Frauenmarsch am Vorabend der Französischen … | |
> Acht Stimmen, viele Klänge: Das Vokalensemble „Bodies“ um Musikerin Kat | |
> Frankie lotet alle Möglichkeiten des Gesangs aus. Und klingt dabei | |
> minimalistisch. | |
Bild: Kat Frankie, 3.v.l., Ana-Lucia Rupp, Barbara Greshake, E.Emerson, Fama M�… | |
Berlin taz | Es gibt sie noch, die gute Wahl! Denn die Stimme wurde zum | |
Musikinstrument des Jahres 2025 gewählt! Ein Werkzeug, das fast alle | |
Menschen besitzen und das vielleicht deshalb nicht hinreichend geschätzt | |
wird. Da kommt es doch wie gerufen, wenn die australische Musikerin Kat | |
Frankie mit „Bodies“, einem bemerkenswerten A-cappella-Projekt, aktuell | |
durch hiesige Konzertsäale tourt. | |
Mit sieben Vokalistinnen an ihrer Seite trat Frankie, durch zwei Jahrzehnte | |
Musikschaffen im Berliner Singer-Songwriter-Underground bestens vernetzt, | |
am Montagabend in ihrer Wahlheimat auf. Und zwar nicht auf irgendeiner | |
Bühne, sondern ganz fett in der ausverkauften Philharmonie. | |
Der Abend erwies sich, jenseits ihres Lokalmatadorinnen-Status, als | |
eindrückliche Demonstration, dass wir als Spezies offenbar darauf gepolt | |
sind, Stimmen mit besonderer Aufmerksamkeit zu lauschen. Und dabei Herz und | |
Ohren weit aufzusperren – schon gar, wenn diese Stimmen auf derart | |
ungewöhnliche Weise in Szene gesetzt werden. | |
Was man über gut anderthalb Stunden erleben durfte, war doch ziemlich | |
anders als das, was man sonst von A-cappella-Ensembles zu hören bekommt – | |
etwa im klassischen Chorkontext. Anders als bei einem Chor steht bei | |
„Bodies“ nämlich nicht die Gruppe im Vordergrund. Vielmehr kommen die | |
individuellen Stärken der acht Performerinnen zur Geltung. So überrascht | |
kaum, dass Frankie ihre Mitstreiterinnen als „Band“ vorstellte. | |
Acht Frauen – das sind nicht nur acht Stimmen, sondern auch acht Körper, | |
die noch ganz andere Klänge erzeugen: klatschend, klopfend, schnaubend, | |
trampelnd. Allesamt sind die Sängerinnen als Soloistinnen aktiv, in | |
unterschiedlichsten Gefilden: Tara Nome Doyle, Kreuzbergerin mit | |
irisch-norwegischen Wurzeln, etwa bringt in ihrer Musik Kammerpop mit | |
erwartbarer Schwermut zusammen, erzeugt durch schräge Konzepte aber dennoch | |
reichlich produktive Reibung. Auf ihrem letzten Album „Værmin“ widmetet sie | |
sich zum Beispiel dem Thema Ungeziefer. Die deutsch-senegalesische | |
Musikerin Fama M’Boup arbeitet derweil mit Loops an der Schnittstelle von | |
Jazz und experimentellem Gesang. | |
## Der Kunstwille ist arg ausgeprägt | |
Trotz unterschiedlicher Stärken der Sängerinnen durchweht ein | |
kollektivistischer Geist den Raum. Was hier auf dieser Bühne entsteht, ist | |
mehr als die Summe der einzelnen Teile. Und auch mehr, als die unlängst auf | |
Grönland Records erschienene EP „Bodies“ über dieses Projekt verrät. Mit | |
gut 30 Minuten überzeugen die Songs zwar durch ihre Schnörkellosigkeit; | |
bisweilen jedoch scheint auf dem Mini-Album der Kunstwille etwas arg | |
ausgeprägt; manchmal ersehnt man eine Brechung. | |
Im Konzert stellt sich ein emotionalerer Zugang ein, es klingt viel | |
ungefilterter. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Kat Frankie ihr Programm | |
mit warmherzigem Charme und trockenem Humor moderiert. Thematisch wird | |
einiges geboten: Der Track „Versailles“ erzählt hymnisch von einem | |
Frauenmarsch am [1][Vorabend der Französischen Revolution]. „A Body of | |
Work“ widmet sich dagegen den Untiefen, die immer durchökonomisiertere | |
Arbeitswelten den Menschen aufzwingen. Kat Frankie steht ganz alleine auf | |
einer Seite der Bühne, gegenüber alle anderen, die ihr aber wenig | |
Erbauliches entgegenrufen – die Situation erinnert an ein | |
Vorstellungsgespräch. Eine Ode an den häufig diskreditierten, zumindest | |
aber gerne [2][übersehenen Ostberliner Stadtteil Marzahn] ist ebenfalls | |
Teil des Repertoires. | |
Dass die Musik nie ins allzu Gospelige kippt, dafür sorgt der latent | |
spröde, wohldosierte Minimalismus der Arrangements. Und auch der vergnügte | |
Spieltrieb, den die 46-Jährige auf die Bühne bringt: etwa wenn sie | |
inbrünstig in Ventilatoren hineinsingt, was ihre Stimme knarzen und | |
manchmal auch leiern lässt. Entgegen dem Klischee, so erläutert Frankie den | |
Hintergrund, ist nämlich nicht jede:r Australier:in zum Surfen geboren. | |
Sie selbst sei zwar nahe Sydney aufgewachsen, lebte aber trotzdem zwei | |
Autostunden vom Meer entfernt – was ihre Freizeitoptionen in den | |
Sommermonaten arg einschränkte. Sie konnte als Jugendliche entweder in der | |
klimatisierten Mall abhängen, sich ins überfüllte Freibad quetschen – oder | |
eben zu Hause in den stets rotierenden Ventilator hinein singen. Offenbar | |
war das ein so großer Spaß, dass sie das nun hier auf der großen Bühne | |
nachstellt. | |
Am Ende verschenkt sie dann einen weiteren Hauch von Sommer in dieser | |
kalten Winternacht und bringt dem Publikum ein eher rares Fremdwort bei, | |
mit dem sie einen Song betitelt hat: Petrichor. Der Begriff beschreibt den | |
köstlichen Geruch, der entsteht, wenn sanfter Sommerregen auf eine von | |
Hitze durchgekochte Straße fällt. Eingelullt in so viel auf ungezwungene | |
Weise ersungene Wärme und gestählt durch Anekdoten aus anderen Klimazonen, | |
fühlt sich der Heimweg durch die Frostnacht dann auch gar nicht mehr so | |
schlimm an. | |
23 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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